Philip Glass
"Tabus – also Dinge, die eigentlich verboten sein sollten – sind oft am interessantesten. In meinem Fall sind das musikalische Materialien, die im Alltäglichen zu finden sind." Mit genau diesem Ansatz katapultiert sich Glass im Verlauf seiner Karriere lässig auf ein und dieselbe Stufe mit anderen Musikgenies. Zusammen mit Steve Reich, Terry Riley und La Monte Young gilt er als Pionier der Minimal Music und als einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten.
Wie kaum ein anderer hebt Glass die auch hierzulande recht strikte Trennung zwischen E-Musik, U-Musik und weltmusikalischer Folklore auf. Jegliche Berührungsangst ist dem praktizierenden Buddhisten fremd. Maßgeblichen Einfluss auf diese künstlerische Philosophie hat vor allem Ravi Shankar, dem er 1965 in Paris begegnet.
Der indische Komponist nimmt dort Musik für den Film "Chappaqua" auf und möchte seine Werke auch für Musiker westlicher Tradition und Schulung spielbar gestalten. Für die notwendigen Transkriptionen wählt er Glass aus. Dieser erste Kontakt zur indischen Musik und Denktradition in Verbindung mit dem asiatischen Rhythmus- und Zeitverständnis fasziniert und prägt Glass vollkommen. Der tief beeindruckte Amerikaner trifft Tendzin Gyatsho, den vierzehnten Dalai Lama und wird Buddhist. Seit diesem Treffen gilt Glass nicht nur als wichtiger Unterstützer des tibetischen Freiheitskampfes. Zusammen mit dem Shankar Erlebnis verändert die buddhistische Philosophie die Strukturen der Komposition in Glass' Werk entscheidend.
Die Stücke geraten mehr und mehr hypnotisch-repetitiv. Medien und Kritiker vergeben rasch das Etikett Minimal Music. Eine Musik, die meist auf einfachen Akkorden und Arpeggien beruht, die manchmal von Soloinstrumenten, aber auch von großen Orchestern in kreisenden Mustern gespielt wird. Atonalität vermeidet Glass dabei meist. Ein Kritiker: "Bei Glass ist es ein bisschen wie bei einer Zugfahrt einmal quer durch Amerika: Wenn Sie aus dem Fenster sehen, scheint sich stundenlang nichts zu verändern, doch wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie, dass sich die Landschaft sehr wohl verändert – langsam, fast unmerklich."
Diese zugängliche und gut hörbare Bildhaftigkeit seiner Klanglandschaften
macht Glass höchst attraktiv für Popkultur und Filmwerke. Unzählige Soundtracks hat er geschrieben. Sogar Horrormovies wie Clive Barkers "Candyman" bedienen sich gern seiner Kunst. Tonnenweise Werbeclips und Radiojingles kopieren epigonal, was der Meister aus Baltimore vorgibt.
Ein besonders glühender Fan von Glass Werk ist David Bowie, der seit Jahrzehnten nicht müde wird, Glass Platten einem breiteren Publikum gegenüber anzupreisen. Die Bewunderung beruht in diesem Falle auf Gegenseitigkeit. In den 90ern bastelt Glass aus Bowies ersten beiden Teilen der Berlin Trilogie, "Low" und "Heroes", zwei superbe Sinfonien. Vor allem die "Low-Symphony" mit dem enigmatisch-melancholischen "Warszawa" als einsamer Höhepunkt bringt Glass viel Lorbeer.
Auch im hohen Alter jenseits der 70 ist der Genius noch ungebrochen aktiv und umtriebig. 2013 erscheint seine erneut genreverbindende Platte "Four Movements For Two Pianos". Das Nichtaufhören passt gut zum zweiten Teil seiner künstlerischen Philosophie. "Eines habe ich bemerkt: Menschen, die tun, was sie lieben und damit nicht aufhören, leben einfach länger."
© Laut
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