Quantic
Es gibt sie scheinbar wirklich, diese Arbeitstiere, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als Musik zu machen oder zumindest darüber nachzudenken, welche Musik sie denn als nächstes machen wollen. Will Holland alias Quantic ist offensichtlich ein Vertreter dieser Spezies.
Zumindest sprechen fünf Soloalben, zwei Alben mit dem Quantic Soul Orchestra, eine Platte mit den Limp Twins, eine Scheibe mit dem Flowering Inferno, die musikalische Untermalung und Produktion von "I'm Thankful" von Spanky Wilson, verschiedene Kollaborationen (u.a. mit Sharon Jones) und unzählige Remixe eine deutliche Sprache. Der Umstand, dass Quantic erst 2001 sein Debüt veröffentlichte, macht diese Diskografie noch beeindruckender. Doch alles der Reihe nach:
Als Teenager spielt der in Brighton, UK lebende Holland noch mehr oder weniger erfolgreich als Gitarrist in verschiedenen Rockbands, als er langsam seine Zuneigung zu Broken Beats und House entdeckt. Verbunden mit seiner Liebe zu Musik jeglicher Fasson entsteht 2001 auf Tru Thoughts sein Debütalbum "The Fifth Exotic", ein zwölf Tracks starkes Original, das einst auch Richard Dorfmeister als eines der besten Alben betitelte, die er seit langem hören durfte.
Besonders die Titel "Life In The Rain" und "Common Knowledge", die dem Debüt als EP vorausging, kratzen bereits am Klassikerstatus, "Time Is The Enemy" schafft es auf die neunte Auflage der Café del Mar-Reihe.
Viel Zeit, den Mix unterschiedlichster Stile zu erfassen lässt Quantic seiner Hörerschaft allerdings nicht. Nicht einmal ein Jahr später erscheint sein zweites Album "Apricot Morning". Die gesamte Scheibe kommt sehr viel unterschiedlicher daher, teils deutlich schneller und aufbrausender, teils völlig ruhig und entspannt.
Letzteres ist nicht zuletzt Alice Russells Verdienst, von der sich Quantic, neben dem Sänger EQ und den Rappern von Aspects, erstmals auch gesanglich unterstützen lässt. Bei der Produktion benutzt Holland beinahe ausnahmslos Jazz- und vor allem uralte Funk-Samples. Ein Umstand, der wenig später in die erste Veröffentlichung des Quantic Soul Orchestras münden soll.
"Putting something back" ist laut eigener Aussage nämlich die Motivation gewesen, das QSO ins Leben zu rufen. Ohne Samples, nur mit Live eingespielten Instrumenten veröffentlicht Tru Thoughts 2003 "Stampede", eine Aufnahme, die in Sachen Soul und Funk den Projekten der goldenen 60ern und 70ern kaum nachsteht. In der sechsköpfigen Truppe spielt Quantic selbst Bass, Gitarre und Percussions.
Auch Alice Russell ist wieder als Sängerin vertreten. Als sie sich mit "Hold It Down" der 4 Heros warm singt, begeistert sie Holland so sehr, dass sie neben ihren beiden zunächst angedachten Features auch das Cover des besagten Songs einsingen darf. Die zweite Platte des QSO erscheint 2005 unter dem Namen "Pushin On".
Vorher wirft Quantic jedoch noch die erste Veröffentlichung seines dritten Projektes auf den Markt. Zusammen mit dem befreundeten Sänger Russ Porter erscheinen 2003 unter dem Namen The Limp Twins die "Tales From Beyond The Groove". Der Name der Platte ist Programm, Ziel des Projektes sei es laut Holland gewesen, das auszufüllen, was auf britischen Tanzflächen fehle. Offensichtlich scheint dies eine Symbiose aus Soul, Folk und Funk gewesen zu sein.
Fast wie nebenbei stellt Holland außerdem sein drittes Soloalbum fertig. Mittlerweile auf den Geschmack gekommen, erweist sich eines der Vocalfeatures auf "Mishaps Happening" (2004) als Volltreffer: Die Zusammenarbeit mit Soullegende Spanky Wilson funktioniert so gut und erfolgreich, dass selbige zwei Jahre später mit Unterstützung des Quantic Soul Orchestras die LP "I'm Thankful" aufnimmt. Die jahrelange Suche Hollands nach Wilson hat sich mehr als gelohnt.
"An Announcement to Answer" (2006) beschreibt das vierte Soloalbum und tendiert zwar mehr in Richtung Hip Hop als die vorherigen Veröffentlichungen, vergisst aber nie wo die Wurzeln liegen: Im Soul und Funk. Mittlerweile hat Will Holland auch ein eigenes Label gegründet. Magnetic Fields richtet sich an Künstler, die sich dem Heavy Soul und Deep Funk verschrieben haben.
Selbstverständlich geht der Wahnsinn 2007 weiter. Zwischenzeitlich hat der Engländer sogar sein Heimatland verlassen und ist nach Südamerika, genauer: Kolumbien gezogen. Folgerichtig macht Holland mal wieder etwas ganz anderes. Statt mit dem Quantic Soul Orchestra weitere Funk-Hits rauszuhauen, erweitert er das Spektrum der Band und nimmt sich mit "Tropidelico" dieses Mal Latin vor. Featuregast J-Live sorgt dabei für den nötigen Schuss Hip Hop.
Im Juli 2008 mündet sein Umzug schließlich in "Flowering Inferno", seinem mittlerweile vierten Projekt. "Death Of The Revolution" markiert dabei sein zehntes Album in sieben Jahren - allesamt auf Tru Thoughts veröffentlicht. Nach "Dog With A Rope" und "1000 Watts" unter diesem Namen (Quantic presenta Flower Inferno), Tantiemen aus einem TV-Werbesong und den Alben "Tradition In Transition" (Quantic And His Combo Bárbaro) und "Magnetic" zieht Will wieder um: nach New York, wo er einige Jahre lang an "Atlantic Oscillations" arbeitet.
"Es fühlt sich so an, als ob dieses Album nach und nach entstanden ist, während ich immer tiefer in New York City eintauchte und die Stadt immer besser kennenlernte", so empfindet der Songwriter den Schaffensprozess. Gegen den Bedeutungsverlust des Album-Formats in Zeiten von Streamingdiensten und deren Playlists setzt Will Holland ein in sich verzweigtes Album. Der selbstproduzierende Künstler bezieht Einflüsse aus lateinamerikanischer, westafrikanischer Musik und Disco in die Klangfärbung ein. "Atlantic Oscillations" soll eine Reise suggerieren.
Um dabei möglichst viel Emotion spürbar zu machen, lässt Quantic im langen Verlauf der Entstehung Elektronik immer mehr beiseite. Live-Gäste bevölkern die Platte in Jam-Session-artigen Momenten. Aus vielen Puzzleteilen fügt der Tüftler schließlich ein Album zusammen, das in seiner Bandbreite wie ein Sampler anmutet. "Atlantic Oscillations" erscheint am 21. Juni 2019.
© Laut
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