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Erasure und die Pet Shop Boys befinden sich mittlerweile auf der Zielgeraden im Rennen um den Titel "langlebigstes Synthie-Pop-Duo der Musikgeschichte". Qualitativ schien es zuletzt ein ungleiches Duell zu sein: Die Pet Shop Boys lieferten regelmäßig ab, Erasure leisteten sich auf Albumlänge immer mal wieder derbe Aussetzer.
Doch auch hier erleben wir eine Zeitenwende: Während die Pet Shop Boys gemeinsam mit Soft Cell eine Single fabrizierten, mit der sich kein vernünftiger Mensch solidarisch erklären kann, ziehen sich Erasure seit Jahren am eigenen Zopf aus dem Klischee-Sumpf. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete 2020 "The Neon", das in ihrer britischen Heimat verdientermaßen zu ihrem ersten Top Ten-Album seit den seligen 90er Jahren wurde. In einer Art weltabgewandter Nabelschau setzte "The Neon" den Fokus auf die eigenen Stärken, und klang dabei zurückgelehnt und selbstbewusst.
Große Teile dieser Platte sind noch vor Corona entstanden, wohingegen "Day-Glo (Based On A True Story)" nun Erasures Lockdown-Album darstellt. Synth-Guru Vince Clarke saß daheim in Brooklyn, Oktavenpfau Andy Bell in Miami, wo er irgendwann Post bekam: Sein Kollege hatte einfach zu viele Restideen und verworfene Songs, aus denen noch etwas werden könnte. Wobei: Songs im herkömmlichen Sinne sind es eigentlich nicht geworden. Das Duo präsentiert hier eher ein Skizzenalbum mit Remix-Charakter, dessen Beats und (sporadischer) Gesang spontan so schwer zusammen geht wie ein 500-Teile-Puzzle. Wenn sich die Bestandteile nach und nach zusammenfügen, ergibt sich ein interessantes Gemälde.
Der Titeltrack pluckert launig los, doch Bell denkt gar nicht dran, mehr als fern klingenden Harmoniegesang beizusteuern. Dazu sorgen die sphärischen Sounds und die Abwesenheit der gewohnten 4/4-Beats für Score-Atmosphäre. Mit dem nachfolgenden "Bop Beat" schießen Erasure dann den Vogel ab. Clarke kitzelt aus seinem Moog feinste Uptempo-Beats heraus, wohl in der Hoffnung, Bell würde daraus ein zweites "Love To Hate You" zimmern. Doch der kreiert stattdessen eine sich in höchste Höhen schraubende Dada-Line, die sich durch die komplette Nummer zieht. Scatman John hätte seine helle Freude daran. Ein früher Höhepunkt.
"Pin-Prick" erinnert erstmals daran, dass wir es hier mit einer Art Outtake-Album zu tun haben: Der Chorgesang tauchte schon in "Diamond Lies" auf "The Neon" auf. Das Dance-Konstrukt des Originals fehlt jedoch komplett, der düstere Song lebt vom Zusammenspiel der Sounds und Bells Backgroundvocals. Das fragile "The Conman" erinnert erstmals überhaupt an einen regulären Erasure-Song. Es kommt "Day-Glo (Based On A True Story)" ansonsten sehr zugute, dass man aufgrund der neuartigen Herangehensweise nicht ständig an die alten Klassiker denkt. Die soundtechnische Nähe zu "The Neon" bzw. "Chorus" (1991) verbindet Clarke mit Experimentierfreude und Zug zum Dancefloor.
"Inside Out" wäre auf seinem Techno-Projekt VCMG vor zehn Jahren die stärkste Nummer gewesen. Allerdings hatten Martin Gore und er damals auch keinen Andy Bell zur Verfügung, dessen Melodieideen für zusätzlichen Schub sorgen. Es ist in vielerlei Hinsicht sein Album, denn Clarkes elektronische Stimmungsbilder malt Bell für seine Verhältnisse unprätentiös und subtil aus.
So ganz ohne Hymne sollte die Scheibe dann aber auch nicht auslaufen, also zieht der bekannteste Korsettträger des 80s Pop in der Pathos-Ballade "3 Strikes And You're Out" nochmal alle Register und klettert nebenbei in Tonhöhen, als wäre noch 1988. Dabei ist auch Bell schon fast 60.
Danach rollt "Day-Glo (Based On A True Story)" mit sanft zirpenden Klängen aus und hinterlässt das gute Gefühl, dass auch Pop-Legenden mit beachtlichem Back-Catalogue noch mal faustdick überraschen können. Und das ganz ohne Kollaborationen mit anderen Überlebenden der Ära. Give a little respect.
© Laut
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Andy Bell, Composer - Vince Clarke, Composer - Erasure, Producer, MainArtist, MixingEngineer
2022 Mute Artists Ltd. 2022 Mute Artists Ltd.
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Andy Bell, Composer - Vince Clarke, Composer - Erasure, Producer, MainArtist, MixingEngineer
2022 Mute Artists Ltd. 2022 Mute Artists Ltd.
Albumbeschreibung
Erasure und die Pet Shop Boys befinden sich mittlerweile auf der Zielgeraden im Rennen um den Titel "langlebigstes Synthie-Pop-Duo der Musikgeschichte". Qualitativ schien es zuletzt ein ungleiches Duell zu sein: Die Pet Shop Boys lieferten regelmäßig ab, Erasure leisteten sich auf Albumlänge immer mal wieder derbe Aussetzer.
Doch auch hier erleben wir eine Zeitenwende: Während die Pet Shop Boys gemeinsam mit Soft Cell eine Single fabrizierten, mit der sich kein vernünftiger Mensch solidarisch erklären kann, ziehen sich Erasure seit Jahren am eigenen Zopf aus dem Klischee-Sumpf. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete 2020 "The Neon", das in ihrer britischen Heimat verdientermaßen zu ihrem ersten Top Ten-Album seit den seligen 90er Jahren wurde. In einer Art weltabgewandter Nabelschau setzte "The Neon" den Fokus auf die eigenen Stärken, und klang dabei zurückgelehnt und selbstbewusst.
Große Teile dieser Platte sind noch vor Corona entstanden, wohingegen "Day-Glo (Based On A True Story)" nun Erasures Lockdown-Album darstellt. Synth-Guru Vince Clarke saß daheim in Brooklyn, Oktavenpfau Andy Bell in Miami, wo er irgendwann Post bekam: Sein Kollege hatte einfach zu viele Restideen und verworfene Songs, aus denen noch etwas werden könnte. Wobei: Songs im herkömmlichen Sinne sind es eigentlich nicht geworden. Das Duo präsentiert hier eher ein Skizzenalbum mit Remix-Charakter, dessen Beats und (sporadischer) Gesang spontan so schwer zusammen geht wie ein 500-Teile-Puzzle. Wenn sich die Bestandteile nach und nach zusammenfügen, ergibt sich ein interessantes Gemälde.
Der Titeltrack pluckert launig los, doch Bell denkt gar nicht dran, mehr als fern klingenden Harmoniegesang beizusteuern. Dazu sorgen die sphärischen Sounds und die Abwesenheit der gewohnten 4/4-Beats für Score-Atmosphäre. Mit dem nachfolgenden "Bop Beat" schießen Erasure dann den Vogel ab. Clarke kitzelt aus seinem Moog feinste Uptempo-Beats heraus, wohl in der Hoffnung, Bell würde daraus ein zweites "Love To Hate You" zimmern. Doch der kreiert stattdessen eine sich in höchste Höhen schraubende Dada-Line, die sich durch die komplette Nummer zieht. Scatman John hätte seine helle Freude daran. Ein früher Höhepunkt.
"Pin-Prick" erinnert erstmals daran, dass wir es hier mit einer Art Outtake-Album zu tun haben: Der Chorgesang tauchte schon in "Diamond Lies" auf "The Neon" auf. Das Dance-Konstrukt des Originals fehlt jedoch komplett, der düstere Song lebt vom Zusammenspiel der Sounds und Bells Backgroundvocals. Das fragile "The Conman" erinnert erstmals überhaupt an einen regulären Erasure-Song. Es kommt "Day-Glo (Based On A True Story)" ansonsten sehr zugute, dass man aufgrund der neuartigen Herangehensweise nicht ständig an die alten Klassiker denkt. Die soundtechnische Nähe zu "The Neon" bzw. "Chorus" (1991) verbindet Clarke mit Experimentierfreude und Zug zum Dancefloor.
"Inside Out" wäre auf seinem Techno-Projekt VCMG vor zehn Jahren die stärkste Nummer gewesen. Allerdings hatten Martin Gore und er damals auch keinen Andy Bell zur Verfügung, dessen Melodieideen für zusätzlichen Schub sorgen. Es ist in vielerlei Hinsicht sein Album, denn Clarkes elektronische Stimmungsbilder malt Bell für seine Verhältnisse unprätentiös und subtil aus.
So ganz ohne Hymne sollte die Scheibe dann aber auch nicht auslaufen, also zieht der bekannteste Korsettträger des 80s Pop in der Pathos-Ballade "3 Strikes And You're Out" nochmal alle Register und klettert nebenbei in Tonhöhen, als wäre noch 1988. Dabei ist auch Bell schon fast 60.
Danach rollt "Day-Glo (Based On A True Story)" mit sanft zirpenden Klängen aus und hinterlässt das gute Gefühl, dass auch Pop-Legenden mit beachtlichem Back-Catalogue noch mal faustdick überraschen können. Und das ganz ohne Kollaborationen mit anderen Überlebenden der Ära. Give a little respect.
© Laut
Informationen zu dem Album
- 1 Disc(s) - 10 Track(s)
- Gesamte Laufzeit: 00:32:29
- Künstler: Erasure
- Komponist: Various Composers
- Label: Mute
- Genre: Electronic
2022 Mute Artists Ltd. 2022 Mute Artists Ltd.
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