Bruce Springsteen trifft für sein neues Album, "Letter to You", wieder auf den Klang seiner E Street Band. Ein Album, das den Geist der großen Klassiker der 70er und 80er Jahre wieder aufleben lässt...

Anlässlich seines 70. Geburtstages im Jahre 2019 bringt der Boss Western Stars auf den Markt, ein Album, das Springsteens eigenen Klischees eigentlich wiederspricht und das mit seinen vorangegangenen Einspielungen nichts zu tun hat. Schluss mit der E Street Band, diesem Kraftmeierverein, der ganze Stadien in Bewegung setzt, und Streicher, Bläser und Chorgesang hereinspaziert! Der Boss verwandelte sich mit dieser Platte in einen Glen Campbell des dritten Jahrtausends, der sich gerne von der Gegenwart lossagte und eher auf unvergängliche Ahnungslosigkeit und Lässigkeit als auf Widerstand und Argwohn setzte… Ein Jahr später ist es nicht mehr ganz dasselbe, denn Bruce Springsteen ist auf neue Ideen gekommen. Für dieses Letter to You hat er seine E Street Band zusammengetrommelt – oder das, was nach dem Tod von Danny Federici (2008) und Clarence Clemons (2011) davon noch übrig war – um in seinem Homestudio in New Jersey in nur fünf Tagen zwölf Songs live einzuspielen! Damit ist er meilenweit entfernt von den vierzehn Monaten, die 1974 für Born to Run nötig waren. Der Erfolg von Letter to You ist größtenteils diesen inoffiziellen und zwanglosen Umständen zu verdanken, wo man zusammensitzt, als wäre man unter Freunden.

© Annie Leibovitz

Mit der Ballade One Minute You're Here als Opener steht dieses zwanzigste Studioalbum unter dem Zeichen einer gewissen Nostalgie. Geradeso als würde Springsteen von Sepiatönen umgeben singen, denn man hat beim Zuhören das Gefühl, ein Fotoalbum mit dahingeschiedenen Verwandten und zerstörten oder verschwundenen Orten durchzublättern.

Eher vertraut er uns persönliche Dinge an, als von erfundenen Figuren zu sprechen. Die einschlägige Singleauskoppelung mit dem Albumtitel ist aber eine Garantie für die Fans aus dem Goldenen Zeitalter der E Street Band. Genauso das kraftstrotzende Burnin' Train, das man sich gut bei Megakonzerten vorstellen kann, wenn am Ende dann alle mitsingen oder das wahnsinnige Ghosts, das zum x-ten Mal beweist, wie leicht man aus (sehr) Alt Neu machen kann und wo er uns singend erzählt, wer er ist, was er tut und warum jeder bereit ist, mit ihm ins kalte Wasser zu springen.

Diese Energie hält er das gesamte Album lang aufrecht, so als ob es im Springsteen der Seventies wurzelt. Bei all dieser Energie aus simplem Rock’n’Roll gibt einzig und allein der Boss mit seiner nach all den Jahren angerauten Stimme zu verstehen, dass wir das Jahr 2020 schreiben, und nicht 1980. Das Cover für die oft hitähnlichen und introspektiven Songs, ist ebenso perfekt gelungen. Am meisten überrascht diese Platte eigentlich dadurch, dass Springsteen singend einen weiteren, noch höheren Gipfel seiner Kunst erklommen hat…

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