Es wird groovig! Ed Motta ist zurück und präsentiert uns sein neues Album “Behind the Tea Chronicles”. Der brasilianische Jazzmusiker verbindet seine Leidenschaft zum Kino mit Musik und lässt dabei den Funk und Soul nicht zu kurz kommen. In einem exklusiven Interview berichtet er uns über seine musikalischen Inspirationsquellen, seine Liebe zu Frankreich und seine Bilanz zum Jazz von heute.

Plattensammler, Weinexperte, Kinoliebhaber und zufällig auch noch Jazzmusiker. Ed Motta hat viele Leidenschaften, doch vor allem seine herzliche und offene Art ist es, die uns den brasilianischen Sänger und Komponisten in unser Herz schließen lässt. Und tatsächlich beruht diese Sympathie auch auf Gegenseitigkeit: “Ich sage das jetzt nicht, weil wir ein Interview zusammen machen, sondern weil ich das ganz ehrlich meine: Qobuz hat einfach die beste Soundqualität! Ich bin bereits Kunde!”, berichtet Motta stolz und fügt hinzu, “die Art und Weise, wie Qobuz mit Musik umgeht, ist dieselbe, wie Frankreich mit Wein. Für mich ist es der Bourgogne der digitalen Plattformen.” — Wow, bei so einem Kompliment sind wir selbst kurz sprachlos und versuchen, nicht komplett rot anzulaufen. Von Wein hat Motta nämlich viel Ahnung, er selbst war Weinkritiker für brasilianische Zeitschriften.

Die Art und Weise, wie Qobuz mit Musik umgeht, ist dieselbe, wie Frankreich mit Wein.

Doch zurück zur Musik, die Ed Motta schon früh in die Wiege gelegt wurde. Als Neffe des berühmten brasilianischen Soul- und Funkmusikers Tim Maia liegt das musikalische Erbe nicht fern, auch wenn die Liebe zur brasilianischen Musik erst später, im Laufe seines Studiums und außerhalb seines Vaterlandes, kommen sollte. Mit Mottas 1988 erschienen Debütalbum Ed Motta e Conexão Japeri zusammen mit der Band Conexão Japeri zeigt er der Welt, dass er nicht nur in die Funk-Fußstapfen seines Onkel tritt, sondern auch seinen eigenen musikalischen Beitrag leisten möchte. Spätestens seit seiner Solokarriere zwei Jahre später wurde klar, dass ein einzigartiger und unverwechselbarer grooviger Sound geboren ist — zwischen Funk, Soul, Jazz, Blues bis hin zu Dance und Pop und natürlich im brasilianischen Flair.

Neben der Musik hat Motta noch eine weitere große Leidenschaft — das Kino und besonders die Filme aus Frankreich: “Jacques Tati, Jean-Pierre Melville, Henri-Georges Clouzot, das alles waren großartige Filmmeister, die meine Musik beeinflusst haben”, erzählt er uns. Auf seinem neuen Album Behind the Tea Chronicles verbindet er nun die beiden Künste und lässt die Musik auf filmische Weise ihre Geschichten erzählen.

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© Ronaldo Castanheira

Können Sie sich an den Moment erinnern, an dem Sie zum ersten Mal Ihre Leidenschaft für Musik entdeckt haben?

Ich erinnere mich gut, es begann alles mit Earth, Wind and Fire. Ich hörte mit meiner älteren Schwester viel Radio und Musik aus den mittleren und späten siebziger Jahren. Aber als ein Freund mir eines Tages ein Earth, Wind and Fire-Album schenkte, veränderte sich mein Leben. Das Doppelalbum, einfach wow! Es war wie Offenbarung für den Sinn meines Lebens, der für mich zur Musik wurde.

Earth, Wind and Fire waren sozusagen meine erste Liebe zur Musik, auch wenn ich in einem Land geboren bin, in dem die lokale Musik eine so starke Rolle spielt. Doch das ist meine Persönlichkeit, ich mag keine Dinge, die mir direkt vor die Nase gehalten werden. Ich glaube, wenn ich in Frankreich geboren und aufgewachsen wäre, hätte ich Wein wahrscheinlich gehasst. Hundertprozentig, und ich hätte Orangensaft getrunken! Denn es ist einfach zu viel. Das ist wie mit dem Fußball in Brasilien, ich mag keinen Fußball. Und als ich jung war, war brasilianische Musik überhaupt nicht mein Ding.

Erst später entdeckte ich die brasilianische Musik durch Jazz und Bill Evans. Als ich Bill Evans hörte, klangen seine Akkorde brasilianisch und impressionistisch, das hatte viel von Fauré und Erik Satie, aber eben auch Einflüsse aus Brasilien. Nicht unbedingt der Rhythmus, das Klischee, wenn man an brasilianische Musik denkt, sondern eher die Akkorde. Villa-Lobos war beispielsweise auch in Frankreich und hat diese Einflüsse mit nach Hause gebracht.

Sie sind in Rio aufgewachsen — was waren Ihre musikalischen Einflüsse, wenn nicht unbedingt brasilianische Musik?

Von außen bin ich natürlich schon mit brasilianischer Musik aufgewachsen, aber nach Earth, Wind and Fire wurde ich zu einem richtigen Rock-Snob. Ich wuchs in den 80er-Jahren auf, also habe ich die Achtziger natürlich gehasst (lacht). Der Rock aus den 60er und 70er Jahren war mein Ding, vor allem Led Zeppelin und der Blues. Durch Jimmy Page habe ich so viele Blues-Künstler kennengelernt, Willie Dixon, Muddy Waters und all diese Musiker. Ich liebe Blues, er ist sehr stark in meinem Leben vertreten.

Sie wurden einmal als “Pop-Künstler mit der Seele eines Jazz-Musikers” beschrieben — was halten Sie von diesen Genre-Kategorien und wo ordnen Sie Ihre Musik selbst ein?

Ja, das ist schwer zu beschreiben. Ich akzeptiere diese Beschreibung mit Freude (lacht). Ich meine, alles ist Pop für mich, was nicht klassische Musik ist. Charlie Parker ist Pop, es ist populäre Musik. Was mich selbst angeht, habe ich zu viele Interessen. Zum Beispiel liebe ich den Broadway und die Broadway-Musicals. Ich liebe aber auch Musik aus Europa, besonders aus Frankreich (das sage ich nicht, um Ihnen zu gefallen!). Bei meinem neuen Album gibt es einen Song, den Walzer Of Good Strain. Dieser Walzer ist zum Beispiel ziemlich stark von dem französischen Musiker Michel Legrand beeinflusst, er ist einer meiner Lieblingskomponisten. Ich nehme all diese Einflüsse, ob Filmmusik, Soundtracks, oder andereund mache daraus meinen eigenen Melting Pot.

Sie selbst stammen aus einer berühmten Musikerfamilie, Ihr Onkel war der großartige Soulmusiker Tim Maia. Wurde Ihnen dieses musikalische Erbe von klein auf mitgegeben?

Natürlich, das liegt im Blut und ich versuche, die gleiche Qualität wiederzugeben. Aber meine Eltern waren tatsächlich nicht sehr musikbegeistert, dafür haben Sie das Kino geliebt, vor allem die europäischen Filme. Mein Vater war in dieser Hinsicht sehr radikal, nach dem Motto: “In mein Haus kommen keine Filme aus den USA!” (lacht) Ich erinnere mich, dass der erste Film, den ich mit meinem Vater gesehen habe, Mon Oncle von Jacques Tati war einer meiner Hauptinspirationsquellen aus dem Kino, die auch meine Musik und Texte beeinflusst haben, genauso wie Jean-Pierre Melville und Henri-Georges Clouzot. Das alles ist sehr stark mit meiner Musik verbunden.

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© Jorge Bispo

Ihr neues Album Behind the Tea Chronicles hat sich auch intensiv mit dem Film und Fernsehen beschäftigt…

Ja, ganz klar. Es ist definitiv ein Storytelling, jeder der Songs hat seine eigene Geschichte, sehr viel im Stil der Filme aus den 40er- und 50er-Jahren, über den Mob und die Mafia und all dieses Zeug. Es gibt so viele Zitate und Codes innerhalb der einzelnen Stücke. Auf dem Song Quatermass Has Told Us zum Beispiel. Quatermass war eine der ersten Sci-Fi-Fernsehserien der Welt von BBC. Und die Charaktere von Quatermass sind wie kleine Zitate im Song zu hören.

Wie ist dabei der Name Behind the Tea Chronicles zustande gekommen?

Ohh… die Namenswahl war sehr schwierig für mich. Mein Gott, ich hatte 50 verschiedene Möglichkeiten, auch, weil ich es vermeiden wollte, einen der Songs als Albumtitel zu verwenden. Ich finde wirklich, dass das eine sehr faule Sache ist… Das Album heißt Imagination, der erste Track heißt Imagination, wo ist da Fantasie?! Für mich ist der Albumtitel dazu da, dem Ganzen einen gewissen Status und eine gewisse Note hinter der ganzen Geschichte zu geben, so ähnlich wie ein Filmtitel, damit die Reise auch über die eigentliche Musik hinausgeht.

Mein erstes Album kam 1988 heraus und lange Zeit hatte ich Partner, die Texte für mich geschrieben haben, was eine sehr schöne Sache ist, aber es war nicht mein eigener Ausdruck, mein eigener Verstand, eigene Ideen, eigenes Leben, eigene Erfahrungen. Und schließlich, bei den letzten drei Alben, habe ich angefangen, meine eigenen Texte zu schreiben, hinzu zu der Musik und den Arrangements, die von mir stammen. Und erst jetzt erzähle ich wirklich die Geschichten, die ich erzählen möchte. Ich bin Musiker, Arrangeur und Geschichtenerzähler.

Ich bin Musiker, Arrangeur und Geschichtenerzähler.

Zwischen Behind the Tea Chronicles und Ihrem letzten Album Criterion of the Sense von 2018 ist eine Menge in der Welt passiert. Wie haben Sie die letzten fünf Jahre erlebt und hat diese Zeit Ihre Musik beeinflusst?

Ich glaube, das ist mein präzisestes Album, seitdem ich angefangen habe, Musik zu machen, und das liegt vor allem an der Pandemie. Denn zum Glück musste ich nicht reisen. Es ist furchtbar, das zu sagen, aber ich reise wirklich nicht gerne. Ich arbeite lieber im Studio, als dass ich Live-Konzerte spiele. Ich bin einfach kein großer Fan von Tourneen. Ich hatte also viel Zeit, um an diesem Material zu arbeiten, mit einem gewissen Bewusstsein für die Dinge und die Details, die ich normalerweise nicht haben konnte, wenn ich spielen und touren musste — Brasilien, Lateinamerika, Europa, Japan, die ganze Zeit! Es sind natürlich tolle Erfahrungen, aber ich bin auch sehr froh über diese Gelegenheit gewesen. Es gab nur mich und meine Frau, und wir sind während dieser ganzen Zeit absolut nicht einmal rausgegangen. Wir waren in unserem Haus eingeschlossen und haben dieses erst wieder verlassen, als der erste Impfstoff da war. Es klingt wirklich verrückt, aber ich sage die Wahrheit. Zwei verrückte Künstler:innen, die zusammen leben (lacht). Meine Frau Edna ist Comic-Zeichnerin, und wir beide liebten es, eingesperrt zu sein und niemanden zu sehen.

Die Stille konnte Ihnen in dieser Zeit wahrscheinlich helfen...

Sehr sogar! Die Aufnahmen dauerten ein Jahr. Ich habe mich immer sehr ehrgeizig um alle meine Aufnahmen gekümmert, aber ich hatte nie die Gelegenheit, ein ganzes Jahr lang an einer einzigen Aufnahme zu arbeiten. Songs wieder und wieder einzuspielen, verschiedene Mikrofone für die Stimme, für das Klavier, etc. auszuprobieren — teilweise alle Mikrofone, die wir hatten. Und das Ganze ging beim nächsten Song wieder von vorne los. Ich bin ein verrückter Perfektionist, wie Sie sehen können. Ich habe die Aufnahmen genossen, aber noch mehr genieße ich es, mir das Album anzuhören, wenn es fertig ist. Ich meine, wer arbeitet schon gerne, oder? Arbeit ist nicht schön, sie ist überhaupt keine tolle Erfindung. Die Leidenschaft für die Musik ist großartig, aber alles drum herum ist nur Verwaltung... Das ist eines der verrückten Paradoxa im Leben, oder? (lacht)

Behind the Tea Chronicles ist auch Ihr erstes Album mit dem ikonischen deutschen Jazzlabel MPS. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Die Zusammenarbeit begann dieses Jahr. Ich habe sie angerufen und ihnen gefiel die Idee, mich und mein Album unter Vertrag zu nehmen, und auch für mich ist das eine große Ehre. Sie sind für mich das Markenzeichen für die höchste Klangqualität, was für meine Musik unglaublich wichtig ist, aber sie haben auch das klarste Image, denn es gibt bei Ihnen keinen Hip-Hop. Da war für mich klar: Das ist der richtige Ort für mich. Meine Musik hat nichts mit diesem sogenannten “New Jazz” zu tun. Der neue Jazz mit Hip-Hop und allem. Jazz ist nicht tot, es gibt immer noch eine Menge Leute, die auf der ganzen Welt Jazz machen, doch sie haben keine Öffentlichkeit und heutzutage ist das richtige Auftreten viel wichtiger.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen Brasilien und anderen Ländern, was diese neue Jazzszene angeht?

Für mich ist das weltweit ziemlich ähnlich. Es mangelt an Kultur, an Tiefgang, an Intelligenz. Es fehlt an Sarkasmus, es fehlt an allem. Es ist eine Generation, die ohne Kultur aufgewachsen ist, ohne etwas Starkes, das sie umgibt. Ich bin mit Stevie Wonder aufgewachsen und der war kein DJ (lacht). Dieser neue Jazz ist für mich etwas zu oberflächlich. Ihre Klamotten und Frisuren sprechen lauter als die Musik. Jazz ist jetzt mehr eine Fashion-Sache geworden. Ich kaufe diese Idee nicht, sie klingt für mich zu unecht und modisch, es ist kein Lebensstil.

Ich glaube, wir haben bereits viel verloren — Kino, Filme, Literatur. Aber vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass ich 52 Jahre alt bin und eben andere Dinge mag (lacht). Ich mag Stevie Wonder, Steely Dan und Jacques Tati und eben all diese alten Sachen. Doch es macht mich nicht unglücklich, ich kann nachts ruhig schlafen und bestehe immer noch darauf, meinen Teil zu dem Ganzen beizutragen. Es gibt immer noch etwas zu sagen.

Das Interview wurde geführt von Lena Germann, 23. August 2023.

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