Zu Beginn der 2000er Jahre, als der Garage Rock das Sagen hatte, überraschte das zum Trio gewordene New Yorker Quartett, indem es die trübselige Postpunk-Romantik der achtziger Jahre neu belebte.

Paul Banks, Carlos Dengler, Daniel Kessler und Sam Fogarino haben wenig miteinander gemeinsam. Mit anderen auch. Zu Beginn dieses Jahrtausends machen sich in New York gerade The Strokes, The Rapture, Radio 4, The Walkmen, Liars, LCD Soundsystem oder auch die Yeah Yeah Yeahs einen Namen. In anderen Gegenden regieren The White Stripes mit Blues von früher, The Hives mit Garage Punk oder der Black Rebel Motorcycle Club mit Petrol Rock. Überall gibt es kunterbunten, vielfältigen Rock zu hören, der wie Unkraut immer weiter wächst. Und dann ist da Interpol - tiefgründig, gefühlsgeladen und schweißnass. Ihre Gitarren sauber, aber schmerzhaft. Ihre Nachdrücklichkeit schlau und verführerisch. Das Quartett schreit in den Himmel des Jahres 2002: Turn On The Bright Lights. Eine Postpunk-Epiphanie, bei der die Worte einen genauso starken Kontrast bilden wie ihre Anzüge, und die sogleich von Lob und hochfliegenden Vergleichen überhäuft wird (Joy Division wird oft zitiert). Indem sie bei jedem Auftritt den Schaum ihrer todschicken Formel abschöpfen, widerstehen Interpol nur schwer der Iteration. 

Bandgründung

New York, 1997. Daniel Kessler gelingt es endlich, eine Gruppe zu gründen. In den Reihen der Philosophiestudenten der NYU erspäht er den exzentrischen Carlos Dengler, einen ehemaligen Gitarristen, und lädt ihn zu seinen Proben mit Amateurmusikern ein, wo Greg Drudy - sein Kumpel aus dem Schlafsaal - am Schlagzeug herumprobiert. Carlos nimmt das, was gerade zu haben ist: einen Bass. Paul Banks, den er bei einem Sprachaufenthalt in Frankreich zuvor schon kennengelernt hatte und dem er im New Yorker Dschungel erneut über den Weg läuft, ist einverstanden, die zweite Gitarre zu übernehmen, nachdem er sich die PDA-Probeaufnahme angehört hatte. Der introvertierte Blonde teilt mit Kessler seine Leidenschaft für Filme – vor allem die von Melville – und Literatur: Henry Miller und Bukowski. In Sachen Musik ist das ganz anders. Kessler ist ein großer Fan von The Smiths, Dengler steht nur auf Postpunk, Banks hört unheimlich viel Hip-Hop, Dire Straits, Bob Dylan und Leonard Cohen. Kein Zweifel: Carlos gibt Interpol Auftrieb. Anfangs sind sie auf der Suche nach sich selbst. Banks weiß zuerst nicht recht, was er mit seiner Stimme machen soll. Er denkt an Simon and Garfunkel und Neil Young. Dann hört er sich selbst nicht - Drudy spielt nämlich zu laut. In Brooklyn spielt das noch anonyme Quartett in lauter muffigen Lokalen. Nach ein paar lächerlichen Bandnamen kommt Paul plötzlich mit „Interpol" an.

Vielleicht, weil Paul immer auf Reisen war. Er kam in Clacton-on-Sea zur Welt, einem hübsch klingenden, aber etwas langweiligen Badeort im Südosten Englands. Er zieht bald weg und reist mit seinen Eltern durch alle möglichen Länder. Da er keine festen Freunde und Bekannten hat, gewöhnt er sich an das Provisorische. Diese gezwungene Einsamkeit, zu der er sich später bekennt, ist dann für ihn die Möglichkeit, von seinen Ängsten, Reisen und unglücklichen Lieben zu reden, wobei er eine unverständliche, aber freie Sprache verwendet. Er ist scheinbar anwesend und abwesend zugleich, denn sein gebrochenes Bariton-Timbre und sein langsamer Redefluss wirken äußerst unbehaglich: Banks verkörpert Interpol.

Viele sehen in ihnen eine depressive Gruppe mit todtraurigen Melodien, die von einem gebrochenen Mann und einem komponierenden Gitarristen geleitet wird. Interpol ist jedoch eine kleine, demokratische Gesellschaft. Weder Banks noch Kessler sind die Leader: „Ich weiß nicht, wo Sie das herhaben, dass Daniel der einzige Komponist ist. Es war immer eine gemeinsame Arbeit. Daniel erzeugt den Rohstoff, mit dem die Gruppe arbeitet. Nach einer gewissen Zeit wird dieser in den Interpolprozess integriert", erwiderte Dengler völlig außer sich einem Journalisten gegenüber. Eine erste EP, Fuck I.D. #3, erscheint bei Chemikal Underground, einem schottischen Label, dank dessen sie im Jahre 2001 bei den Peel Sessions der BBC spielen können. Zu diesem Zeitpunkt hat Sam Fogarino mit seiner zehnjährigen Erfahrung schon Drudys Platz eingenommen. Nun beginnt der steile Aufstieg Interpols, der Band mit dem großem Ego, die aber von einem gewissen Streben nach dem Schönen und Lieblichen beseelt ist.

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