Bei Chic gibt es nicht nur „Freak“! Mitten im Disco-Wahn nähern sich Nile Rodgers und Bernard Edwards diesem Genre in ganz übermütiger Art. Sie sind lieber in den Kulissen als im Rampenlicht und veröffentlichen vor allem reihenweise Hits, die vom Funk geprägt sind und bis heute nichts von ihrer Wirksamkeit verloren haben. Nile Rodgers haucht als einziger Überlebender des Zweiergespanns Chic heute wieder neues Leben ein, nachdem er Daft Punk in „Get Lucky“ zur Seite gestanden hatte.

David Bowie, Madonna, Diana Ross, Mick Jagger, Daft Punk klopfen nicht ohne Grund Hilfe suchend bei jemandem an die Tür… Nile Rodgers offensichtlich geschickte Finger haben uns schon in den Seventies beeindruckt. Der heute 66-jährige New Yorker bietet alles Mögliche: einwandfreier Gitarrenriff, eingängige Melodien, effiziente Produktion, erquickliches Arrangement. Durch seinen überlangen Lebenslauf zieht sich aber ein roter Faden, der zu seinem Markenzeichen wurde und den man mit nur vier Buchstaben zusammenfassen kann: Chic. Mit seinem Weggefährten, dem 1996 im Alter von 43 Jahren allzu früh verstorbenen Bassisten Bernard Edwards, sollte Rodgers die ganze Welt zum Tanzen bringen. Ihm ist ein recht einflussreicher, an den Regeln der Popmusik inspirierter Disco-Sound-Funk zu verdanken. Aber Chic sollte nie eine richtige Gruppe im eigentlichen Sinn werden. Es handelte sich bloß um einen aus zwei Studiofreaks, zwei leidenschaftlichen Musikern bestehenden Verein, die lieber stundenlang jammten als die Leiter des Ruhms emporzuklettern. Mit den hitähnlichen Le Freak und Good Times hält Chic immerhin die obersten Chartplätze besetzt. Das reicht aus, das Zweiergespann Rodgers & Edwards neben Holland-Dozier-Holland sowie Gamble & Huff… einzureihen.

Das erste Kapitel der Nile-Rodgers-Geschichte könnte, als wäre es ein Märchen, direkt aus einem Buch von Dickens stammen. Als er nämlich am 19. September 1952 zur Welt kommt, ist seine Mutter erst 13 Jahre alt! Nile wächst in der bunt zusammengewürfelten Welt des Greenwich Village der fünfziger Jahre auf. Seine Eltern, also die Mutter mit schwarzer Hautfarbe, die noch ein Teenager ist, und sein weißer Vater jüdischer Abstammung aus der Bronx, sind beide heroinsüchtig. Lauter Gründe, das Dach der Familie im Alter von 15 Jahren zu verlassen, sich den Black Panthers zu nähern, vor allem aber mit seiner Gitarre in der Hand da und dort nach Jobs zu suchen. Anfang der 70er Jahre klimpert er regelmäßig innerhalb der hauseigenen Gruppe des Apollo Theater in Harlem, einer House-Band, die er später als eine der besten Schulen bezeichnen sollte. Dort läuft er einem gewissen Bernard Edwards über den Weg, dem sein Look und seine den Hippies recht nahekommende Haltung nicht besonders gefallen. Diese Begegnung ist also wirklich nicht das, was man love at first sight nennt… Die beiden Musiker kooperieren aber weiterhin, und zwar eher in Richtung Rock, zusammen mit dem Schlagzeuger Tony Thompson und unter dem Namen The Boys, und später dann The Big Apple Band. Sie sind vor allem mit der Gruppe New York City unterwegs, die dann einen Hit landen sollte: I’m Doing Fine Now. Es geht das Gerücht um, dass Rodgers und Edwards bei einem Roxy-Music-Konzert in London angeblich die Jungfrau Maria gesehen haben. Ein Schock, und das zu einem Zeitpunkt, als in den USA die geschminkte Metal-Rock-Band Kiss auftauchte und die beiden in ihren Bann zog, die sich bis dahin als unbedeutende, im Hintergrund stehende Studiomusiker betrachteten, und nicht als zukünftige… Stars.

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