Max Raabe kehrt mit seinem neuen Album genauso gut gelaunt zurück, wie er uns in Erinnerung geblieben ist. Zusammen mit dem Palast Orchester entführt er uns mit “Wer hat hier schlechte Laune” für einen Moment in seine zeitlose Welt deutscher Chansons. Wir durften uns dabei in einem exklusiven Interview mit ein paar Fragen an ihn wenden…

Wer hat hier schlechte Laune? fragt sich Max Raabe auf seinem neuen Album und kann sich dabei sicher sein, dass wir auf jeden Fall nicht dazu gehören! Trotz pandemiebedingten Konzertabsagen, Planungsänderungen oder sonstigen, allgegenwärtig schlechten Nachrichten aus der Welt, ist das Album ein zeitloses Augenzwinkern auf die kleinen Momente unseres Alltags, die das Leben lebenswert machen: Die Vergänglichkeit der jungen Liebe, Zufallsbegegnungen, banale Glücksmomente, Hoffnung und Zweifel — oder einfach eben schlechte Laune. Verpackt in die musikalische Stimmung der 20er und 30er Jahre, beweisen Max Raabe und sein Team ein weiteres Mal ihr Talent an intelligenter und humorvoller Textdichtung, gepaart mit der wunderbaren Begleitung “seines” Palast Orchesters sowie einigen weiteren Ensembles.

Im Interview mit dem Künstler erfahren wir mehr zum Entstehungsprozess des Albums, worauf es Max Raabe bei seiner Arbeit wirklich ankommt und was es eigentlich mit dem Zebra auf dem Cover auf sich hat…

Zwischen dem letzten Album “Der perfekte Moment… wird heut verpennt” von 2017 und heute ist ziemlich viel passiert. Wie hast du die letzten fünf Jahre wahrgenommen?

Zuerst haben wir 2019 noch Gäste eingeladen und MTV Unplugged produziert. Das war natürlich eine sehr aufwändige Vorbereitung und ein großer Glücksfall, mit so tollen Leuten spielen zu können. Darauf waren wir im März 2020 auf einer schönen England-Tour, die in Hinsicht auf meine Moderation sowie musikalische Vorbereitung auch sehr intensiv eingespielt war. Und dann fing das plötzlich mit dieser komischen Geschichte an, von der keiner genau wusste, was das ist — Corona? Wir dachten uns nur, hoffentlich lassen und die Amerikaner für unsere Amerika-Tournee einreisen, denn zu dem Zeitpunkt sind die Infektionszahlen in den USA bereits an die Decke gegangen, es hat aber leider nicht mehr geklappt. Wir wollten daraufhin einfach alle Konzerte in den Herbst verschieben, denn wir sind davon ausgegangen, dann ist der ganze Quatsch vorbei… aber Pustekuchen. Erst dieses Frühjahr haben wir einige Konzerte nachgeholt, die zum dritten und vierten Mal verschoben wurden und besonders für das Management war das eine enorme Arbeit und sehr nervtötend und zeitaufwendig. Aber es war rührend zu sehen, dass die Leute ihr Geld für die Karten nicht zurück verlangt haben, sondern positiv geblieben sind und meinten, das wird schon irgendwann klappen. Das war wirklich stark, als wir begriffen haben, dass wir so eine treue Hörerschaft haben.

Wie schafft man es, in der ganzen Zeit diesen Optimismus aufrechtzuerhalten und so ein Gute-Laune-Album zu schreiben?

Ich finde die Frage sehr interessant, denn fast alle sagen, dass dieses Album eher ein bisschen schwermütig ist. Aber so sieht man auch, wie individuell das Hörempfinden ist und was man hören will! Abgesehen davon, hat kein einziges Wort aus dem Album mit dem zu tun, was man in den Nachrichten hört. Wenn der Titel Wer hat hier schlechte Laune? heißt, geht es einfach um die Mutter, die in die Küche kommt, es gibt Rosenkohl und die Kinder sitzen mit so einer Flappe am Tisch und die Mutter fragt: “Wer hat hier schlechte Laune?” Und dann grinsen alle, ob sie wollen oder nicht. Das ist so der Trick und die Idee bei allen Zeilen, die wir uns ausgedacht haben.

Wolltest du selbst dabei eine bestimmte Gemütsrichtung einschlagen?

Das muss jeder selbst hören und entscheiden, was da empfunden wird. Aber es gibt natürlich auch solche Momente, die ganz besonders sind. Wir haben beispielsweise für manche Stücke eine große Streicherbesetzung geplant. Es ist unglaublich berauschend, wenn die Musiker die Musik im Studio einspielen und unsere Aufnahmen zum ersten Mal über Kopfhörer hören und dementsprechend auch die Texte verstehen. Ich sitze dann oben am Mischpult und gucke durch die Scheibe und freue mich jedes Mal wie ein Schneekönig, wenn sie genau an den Stellen grinsen oder lachen müssen, wo ich es mir erhofft habe! Denn natürlich weiß man nach einer gewissen Zeit auch nicht mehr, ob das gut ankommt oder wir kennen die Pointen schon längst und reagieren darauf nicht mehr. Doch wenn das jemand zum ersten Mal hört und ich die Reaktionen dazu sehe, ist das für mich wie Weihnachten und dann weiß ich, wir sind auf dem richtigen Weg. Und solch eine Streicherbesetzung ist dann sozusagen noch die Kerze auf der Torte.

© Gregor Hohenberg

Wie gehst du an den Entstehungsprozess des Albums heran? Gehst du viel in den künstlerischen Austausch oder arbeitest du eher in Isolation?

Ich habe ja schon einiges allein geschrieben, aber seit der Zusammenarbeit mit Annette Humpe habe ich einfach keine Lust mehr allein zu schreiben. Natürlich fällt mir noch immer was ein, auch wenn ich einen Auftrag habe. Aber für ein eigenes Album will ich nie wieder alleine arbeiten. Ich möchte unbedingt immer mit genau diesen Leuten zusammenarbeiten, denn durch den Austausch kommt man viel weiter. All das, was da zu hören ist, wäre nie mit mir allein passiert und umgekehrt, die anderen hätten es auch nicht ohne mich geschrieben. Man kommt plötzlich auf Ideen, die ganz woanders enden, als ursprünglich geplant und das macht mir unwahrscheinlich viel Spaß. Sonst war der Ablauf eher so, dass ich jetzt etwas produzieren und zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein muss. Jetzt ist das quasi wie ein Hobby für mich. Man trifft sich und bevor wir anfangen zu arbeiten, wird erstmal gequatscht, dann wird Kaffee gekocht, dann wird wieder gequatscht, dann wird Kuchen gegessen und dann wird langsam mal geguckt, dass wir anfangen, aber da sind schon zwei Stunden ins Land gegangen. Und das finde ich einfach sehr nett.

Insgesamt gibt es drei Arbeitskreise. Wenn ich mit Annette Humpe schreibe, schreibe ich nur mit ihr und sie weiß gar nicht, was ich mit den anderen mache. Und Achim Hagemann weiß nicht, was ich mit den Jungs Peter Plate und Ulf Sommer mache. Und so entsteht ein vielseitiger Austausch, wo natürlich auch vieles in den Papierkorb wandert. Wenn wir uns dann nach drei Wochen oder einem Monat wieder treffen und alles nochmal durchgehen, müssen wir uns schon manchmal zugestehen, dass wir uns manchmal vergaloppiert haben. Denn wenn wir das schon erkennen, dann müssen wir das sofort in die Tonne treten. Aber das ist Gott sei Dank ganz wenig der Fall gewesen (Augenzwinkern)!

Wie und wo ortest du dein Genre in die heutige Musikindustrie ein?

Als wir angefangen haben, habe ich gedacht: “Na, das geht ja nicht lange gut. Lass uns mal ein bisschen auf Tour gehen und dann normal weitermachen.” Wir haben alle fürs klassische Fach studiert, ich bin ja eigentlich Opernsänger, aber ich habe nie das Gefühl gehabt, dass der Welt jetzt ein Opernsänger verloren geht. Ich bin froh mit dem, was ich jetzt tue. Das war immer so ein bisschen wie ein Hobby und jetzt kann ich seit vielen Jahren schon von diesem Hobby leben und das macht mir großen Spaß. Ich habe mir nie Gedanken gemacht, wie ich von außen gesehen werde. Was ich immer wollte, ist, dass ich irgendwo ein Konzert spiele und die Leute anschließend sagen: “Das war toll und wenn Max Raabe mal wieder in der Stadt ist, gehen wir erneut in sein Konzert.” Das war mein Ehrgeiz, ich wollte, dass die Leute sich amüsieren, Spaß haben, lachen oder auch mal berührt sind, wenn Stücke melancholisch sind. Aber meine Hauptaufgabe ist, dass die Leute, wenn sie im Saal sitzen, vergessen, was draußen passiert. Dass man sie quasi der Realität entreißt, eben in der Tradition unseres Genres.

Wir fingen mit dem Repertoire der 20er/30er Jahre an, das war einfach so ein Spiel von mir und ich habe mit Kommilitonen das Orchester gegründet, weil es Notenmaterial gab. Und auf einmal, per Zufall, schreibe ich den Gag "Kein Schwein ruft mich an" und das Stück hat uns plötzlich über die Grenzen Berlins bekannt gemacht, obwohl wir damals noch davon ausgingen, das wird irgendwann mal verfliegen. Wir haben einfach mit dieser Haltung weitergemacht und inzwischen mit einem Repertoire von über 600 Titeln die Leute immer wieder überrascht und bei der Stange gehalten. Auch diejenigen, die vielleicht gedacht haben: "Okay, ich gehe jetzt mal meiner Frau zur Liebe ins Konzert, aber einen ganzen Abend Max Raabe, überlebe ich das?'' Und wenn sie dann trotzdem sagen, dass das ein toller Abend war und nicht irgendwie ein musikhistorischer Exkurs, sondern einfach zeitlos und man hat sich amüsiert, dann habe ich meinen Job gemacht — alles andere interessiert mich gar so sehr.

Um die Person Max Raabe noch ein bisschen anders kennenzulernen, haben wir dir ein einfaches Mini-Fragespiel mitgebracht: Ich sage dir zwei Namen und du musst einen davon spontan auswählen.

Kurt Weill oder Hanns Eisler? — Kurt Weill, Harmoniefolge, ganz klar. Eisler auch super.

Bertolt Brecht oder Karl Valentin? — Karl Valentin (lacht). Aber das ist auch schwer zu vergleichen…

Herbert Grönemeyer oder Udo Lindenberg? — Das ist aber eng jetzt! Je nach Tageszeit, beide. Aber ich bin natürlich jetzt näher bei Herbert Grönemeyer, weil er bei MTV Unplugged unser Gast war.

Nina Hagen oder Nena? — Nina Hagen. (Singt) “Ich will ein Fisch im Wasser sein.

Hummeln oder Zebras? — Zebras. Nein, Hummeln! Wir brauchen ja Hummeln für die Bestäubung unserer Blüten. Das Zebra, das wir fürs Cover eingeladen haben, dem geht's aber auch gut, das war so ein liebes Tier.

Das bringt uns auch schon zur letzten Frage: Kannst du uns sagen, was es mit dem Zebra auf dem Cover auf sich hat?

Ja, das hat mich natürlich auch interessiert. Ich war anfangs sehr skeptisch und dachte, warum muss man jetzt ein Zebra irgendwo aus Norddeutschland nach Berlin holen? Macht doch ein Foto vom Zebra und ein Foto von mir und bastelt das digital zusammen, weil die Idee — mit dem grünen Hintergrund und einem Zebra als Ästhetik — fand ich sehr schön. Aber dann wurde mir gesagt: “Nein, das Zebra lebt von Fotoaufträgen!” Und der Besitzer erzählte mir, dass sich das Zebra während der Corona-Zeit furchtbar gelangweilt hat, es war richtig depressiv, weil es das liebt, unter Leute zu kommen.

© Gregor Hohenberg

Ich hatte auch das Gefühl, dass es gar nicht weiß, dass es ein Zebra ist, weil es sich eigentlich verhalten hat wie ein Hund. Ich hatte Knäckebrote und es ist sofort angekommen und wollte eigentlich die ganze Zeit nur spielen. Und als wir in diesem Studio waren, meinte der Fotograf, ob wir nicht auch noch draußen Fotos aufnehmen könnten. Es hatte aber 36 Grad und ich fand diese Idee eher nicht so gut, bis mir spontan die Idee mit einem Zebrastreifen kam. Und tatsächlich war direkt vor unserem Gebäude ein Zebrastreifen, also haben wir das als letztes Motiv genommen, wie ich mit dem Zebra über den Zebrastreifen gehe (lacht). Dann ist es auch sofort wieder nach Hause gefahren, es war also der krönende Abschluss. Und als wir später die Bilder gesehen haben, dachten wir uns: “Wenn das mal nicht das Cover ist!

Das Interview wurde geführt von Lena Germann, 30. September 2022.

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