Im Dezember wird Rudolf Buchbinder seinen 75. Geburtstag feiern. Mit den mittlerweile dritten Gesamteinspielungen der Klavierkonzerte und der 32 Sonaten legt er nun unerhört lebendige Zeugnisse nie ermüdenden Nachdenkens über Beethovens Musik vor.

Es hat lange gedauert, bis die Musikwelt den Rang dieses Meisters aus Wien anerkennen wollte, so facettenreich sich sein Spiel auch seit Jahrzehnten entwickelt hat. In seinem Wiener Haus sprach er mit dem FONO FORUM über seine Anfänge und sein Leben mit Beethoven.

Sie galten als ein pianistisches Wunderkind. Können Sie uns von Ihren Anfängen erzählen?

Ich bin als Nachkriegskind in sehr, sehr bescheidenen, ja armen Verhältnissen aufgewachsen. Eine winzige Wohnung, wo wir zu viert gewohnt haben, meine Mutter, meine Großmutter und mein Bruder. Meinen Vater kannte ich nicht, er ist vor meiner Geburt tödlich mit dem Motorrad verunglückt.

Und wie wurden Sie gefördert?

Meine Eltern hatten nicht die geringste Beziehung zur Musik, aber es stand ein gemietetes Pianino bei uns zu Hause, weil mein Onkel Musik gemacht hat. Das war mein Glück. Zither und Ziehharmonika hat er gespielt und nebenbei meinen Bruder ein bisschen unterrichtet. Und darum war das Klavier da. Alles, was ich im Radio hörte, habe ich versucht nachzuspielen. Mit fünf Jahren habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht, weil mein Onkel in der Zeitung gelesen hatte, die Wiener Musikakademie suche neue Talente. Ich habe bestanden, ohne Noten lesen zu können und, selbst zusammengebastelt, „Ich möcht’ gern dein Herzklopfen hörn“ gespielt (spielt den alten Wiener Schlager am Klavier vor). Vor ein paar Jahren hat mir ein Fan die Noten geschickt, die habe ich nie vorher gesehen.

Wie verlief denn der Unterricht für eine solchen „Jungstudenten“?

Ich war mit fünf Jahren ja der jüngste Student, mein Inskriptionsbuch musste meine Mutter unterschreiben, weil ich noch gar nicht schreiben konnte. Sechs Jahre war ich in der Vorbereitungsklasse und hatte nie einen Einzelunterricht! Vom ersten Moment an hat es nur Gruppenunterricht gegeben. Dieses bürokratische Unterrichten von neun bis zehn Uhr existierte nicht.

Blieb das so, als der berühmte Bruno Seidlhofer Ihre Ausbildung übernahm?

Ja natürlich. Mit elf kam ich in seine Meisterklasse. Wir waren dort immer alle zusammen. Wenn zum Beispiel einer eine Haydn-Sonate brachte, dauerte der Unterricht nur eine halbe Stunde, wenn einer mit dem ersten Brahms-Konzert kam, zwei Stunden. So habe ich von Beginn an vor einem sehr kritischen Publikum gespielt. Und außerdem beim Zuhören viel Repertoire kennengelernt.

Was hat Seidlhofer ausgezeichnet?

Wenn Sie sich seine Schüler betrachten, neben Gulda auch Martha Argerich, Nelson Freie und meine Wenigkeit – wir sind so grundverschieden. Was ihn vor allem auszeichnete: dass er jedem von uns seine eigene Persönlichkeit ließ. Wir spielten nicht Seidlhofer, wir spielen Buchbinder, Argerich oder Freire. Er hat auch nicht viel gesprochen beim Unterricht. Wenn er einen beim Spielen berührte, wusste man, was man machen sollte, Crescendo, Rubato oder was immer. Ich werde nie vergessen, wie ich als 15-Jähriger in irgendeiner Beethoven-Sonate im Unterricht ein Rubato machte, und da fragt er „Was machst du da?“ „Ich bereite diese neue Modulation vor.“ Darauf Seidlhofer: „Du spielst doch nicht für Trottel!“ Das ist schon eine Aussage. Technisch hat man bei ihm nichts gelernt. Wenn man die Voraussetzungen nicht mitbrachte, konnte man nicht profitieren. Wir konnten alle von Haus aus Klavier spielen. Wahrscheinlich muss ich dieses Geschenk von oben bekommen haben. Sonst wäre das gar nicht möglich gewesen.

Und reichte der Blick über die Wiener Klassik hinaus?

Ja, natürlich. Ich spiele bis heute genauso gerne Gershwin wie Bach, und ich hab früher sehr viel Chopin gespielt, das ist nach wie vor eine große Liebe. Zu Liszt hat es lange gedauert, denn das war ein Komponist, den Seidlhofer ablehnte.

Seltsam, weil Argerich und Freire große Liszt-Spieler wurden.

Ja, aber nicht dank Seidlhofer. Es wurde bei ihm kein Liszt gespielt. Das war eine echte Antipathie. Er ist sogar, wenn er in einer Jury war, bei Liszt immer hinausgegangen. Aber insgesamt konnte ich ein großes Repertoire lernen. Vor allen Dingen langsam lernen. Ich war ja auch zehn Jahre sein Schüler. Das gibt’s heute überhaupt nicht mehr. Man kann ja heute nicht mehr so lang studieren, leider.

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