Seit 25 Jahren ist Emmanuel Pahud, der Solo-Flötist der Berliner Philharmoniker, auf dem Plattenmarkt aktiv. Anlass, zurückzuschauen – und voraus: nämlich auf das Solo-Projekt, das er gerade in Angriff genommen hat.

Kürzlich saß Emmanuel Pahud im Auto, hörte Radio und erkannte sich selbst nicht mehr. Das D-Dur-Flötenkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart lief da beim Fahren, und Pahud fragte sich, wer denn wohl spiele. „Klang nach einem guten, gut ausgebildeten Flötisten“, erzählt er und lächelt dabei durchaus ein wenig treuherzig. Die Kadenz brachte Überraschung wie Erkenntnis: Es war die eigene. Von 1996 stammte die Aufnahme. Pahud nahm damals sämtliche Flötenkonzerte von Mozart auf mit seinem Orchester, den Berliner Philharmonikern, und auch mit seinem Dirigenten, Claudio Abbado. 22 Jahre ist das nun her, fast ein Vierteljahrhundert, möchte man dramatisierend hinzufügen. Eine Menge Zeit. Der Unterschied zu damals scheint dem Flötisten selbst nicht ganz geheuer zu sein: „Vielleicht lag es auch am Autoradio? An der Komprimierung der Frequenzen?“

Wer Querflöte spielt, wird gemeinhin zu den Diven unter den Instrumentalistinnen und Instrumentalisten gezählt. Das mag am auratischen Charakter des Instruments liegen, aber auch an der dynamischen Begrenztheit, die eine starke Eigenpräsenz der Spielerin oder des Spielers unentbehrlich macht. Wie bei einer Diva also scheut man sich, über das Alter eines Flötisten zu sprechen – und tut es dann doch, was der Fall eines ehemaligen Kollegen von Emmanuel Pahud bestätigt: Der von Andreas Blau nämlich, der vor drei Jahren altersbedingt als Solo-Flötist der Philharmoniker ausschied und dabei so unverändert gut in Schuss war, dass er vermutlich das Probespiel auf die eigene Nachfolge gewonnen hätte.

48 Jahre also ist Emmanuel Pahud alt, jetzt ist es raus, und fragt man ihn beim Treffen – wiederum den unzerstörbaren Andreas Blau im Hinterkopf –, ob das denn nun nicht das beste Flötistenalter sei, wo sich technisches Vermögen mit künstlerischer Erfahrung und Gelassenheit paaren, dann wiegt er ernst mit dem Kopf: „Eigentlich schon ein bisschen drüber.“ Du liebe Güte, weiß Pahud denn, was er da gerade gesagt hat? Der Flötist, schon auf dem absteigenden Ast des Alters? Wie will er mit dieser Trauernachricht denn noch die neueste CD verkaufen, die doch den besten Pahud aller Zeiten bieten soll? Jedoch gibt es auch schnelle Entwarnung: Nein, nein, es sei schon alles in Ordnung, keinerlei körperliche Ermüdungserscheinungen, alles bestens in Takt. Er merke nur, dass er mehr Zeit benötige, um sich auf all die unterschiedlichen Projekte einzustellen, die er nebeneinander am Laufen hält. „Früher war ich ein Rennwagen, jetzt bin ich vielleicht ein LKW, voll beladen.“ Selbstverständlich lächelt Emmanuel Pahud dabei, verschmitzt, verhuscht, seine Augen sich katzenhaft verengend, denn er weiß: Einen Rennwagen braucht es in der klassischen Musik nun wirklich nicht. Je schwerer und beladener, umso besser eigentlich – jedenfalls, solange die Last noch mit Leichtigkeit getragen wird. Gleichwohl behagt es ihm dann doch nicht so ganz, dass er sich gerade mit einem eher groben Fahrzeug verglichen hat. So präsentiert er auf französische Art - stets eilig sprechend und so nasal, dass man die weiten Resonanzräume seiner Kopfanatomie ahnen kann - noch eine zweite Variante: früher mit leichtem Gepäck wie beim Camping, heute wie bei einem Umzug alles mit dabei. Nun ja, irgendwie wird Pahud den LKW nicht recht los …

Ein Blick auf seinen Tourneeplan zeigt freilich, dass der LKW nach wie vor eigentlich wie ein Rennwagen unterwegs ist. Im Februar trat Pahud solistisch in den USA auf, im März ging es in die entgegengesetzte Himmelsrichtung, nach Japan, mit kurzem Zwischenstopp in St. Petersburg; Ende April nahm Pahud erneut den Flieger nach Japan, diesmal mit seinem Bläserquintett, den Vents Français. Anfang Mai spielte und unterrichtete der Flötist dann wieder im Westen, aber auf der südlichen Hälfte der Weltkugel, in Brasilien nämlich, im Juni tut er dasselbe dann im amerikanischen Norden, Kanada – und zwischendrin und zwischendurch saß und sitzt er in Berlin oder bei den Osterfestspielen in Baden-Baden oder in irgendeinem anderen Konzertsaal Europas, in dem die Berliner Philharmoniker gerade auftreten, und verrichtet den ihm nach wie vor am Herzen liegenden Orchesterdienst. Das klingt ja beinahe nach Urlaub. Seit 25 Jahren ist Pahud Mitglied des Orchesters. 1993 kam er zum Ensemble und wurde einer der prägenden Köpfe der Nach-Karajan-Zeit: Warm und weich im Grundklang ist sein Spiel, so wie man es seit jeher bei diesem Orchester von einem Flötisten erwartet, aber auch flexibel in Klangfarbe und Dynamik wie keiner seiner Vorgänger. So phonstark wie Pahud ist derzeit kein anderer Flötist, so leise und zugleich tragfähig nur wenige. Dass die gewaltige Bandbreite in der Lautstärke zum mittlerweile wohl auffälligsten Merkmal der Berliner Philharmoniker geworden ist, dürfte auch an Pahud liegen und der neuen Flexibilität, die er und zahlreiche weitere Musiker beim Eintritt in das Orchester mitgebracht haben: Hornist Stefan Dohr, Klarinettist Wenzel Fuchs, Dominik Wollenweber am Englischhorn und – ein Jahr früher – Albrecht Mayer an der Oboe.

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