Mit ihrem ersten Album seit 2016 und dem ersten seit dem Tod ihres Schlagzeugers Charlie Watts legen die Rolling Stones eine retro-moderne Platte vor, die Fans ihrer 70er-Periode begeistern sollte.

Es hat lange gedauert, nun ist es endlich da— das 24. Album der Stones. Die Briten, deren letztes Studioalbum mit Originalsongs, A Bigger Bang, aus dem Jahr 2005 stammt, arbeiteten bereits 2016 an neuen Songs, doch diese Sessions endeten mit dem Blues-Cover-Album Blue & Lonesome, das in zwei Sätzen aufgenommen wurde. 2019 gingen sie wieder ins Studio, um unter anderem die Reggae-Single Living in a Ghost Town aufzunehmen, doch ihre Pläne wurden erneut durch die Covid-Krise durchkreuzt, die die ganze Musikwelt zum Stillstand brachte.

Schließlich, im Jahr 2021, ein weiterer schwerer Schlag für die Stones: Der Tod ihres Schlagzeuger Charlie Watts. Außerdem ist ihr “Haus”-Produzent Don Was nicht mehr verfügbar. Die Wochen zogen sich hin, und Jagger wurde ungeduldig. “Niemand nahm die Dinge in die Hand”, beschwerte er sich in der New York Times. Die Erleuchtung kam schließlich von einem Beatle, Paul McCartney, der ihnen vorschlug, mit Andrew Watt zu arbeiten. Der 32-jährige New Yorker und Produzent von Pearl Jam und allen Soloprojekten von Eddie Vedder (aber auch von Iggy Pop, Justin Bieber und Miley Cyrus), ist ein riesiger Stones-Fan, so sehr sogar, dass er bei jeder Session ein anderes T-Shirt der Band trägt.

Im August 2022, beim letzten Termin ihrer 60-Jahre-Tour Sixty in Berlin, setzte Jagger eine Deadline für den Valentinstag 2023. Die Sessions beschleunigten sich daraufhin zwischen Paris, Los Angeles, London, New York und den Bahamas. Mit tollen Gästen, darunter Stevie Wonder, der ins Studio kam, um zu jammen und dabei eine Jazzversion von Satisfaction, die zu einem Reggae-Track wurde, hervorbrachte. Seine Keyboardparts landeten auf Sweet Sounds of Heaven, dem Mega-Hit dieser Platte, einem echten Saloon-Blues, der sanft beginnt und dann in ein explosives Finale mit Lady Gaga mündet. Auch Elton John (am Klavier bei Get Close) und Paul McCartney (am Bass bei Bite My Head Off) sind mit von der Besetzung. Jagger erklärte dem Rolling Stone: “Wir haben nicht versucht, eine Retro-Platte zu machen oder gar auf altmodische Weise zu spielen. Es ist eine Platte, die wie 2023 klingen soll.”

Nichtsdestotrotz scheint es, als hätte die 60-jährige Karriere ihnen die Energie ihrer 20er zurückgegeben, mit Titeln wie der Bluesballade Dream Skies, die an Exile on Main St. erinnert, oder Mess It Up (einer der beiden letzten Titel von Charlie Watts, der durch Steve Jordan ersetzt wurde), bei dem Jagger seine Art wiederfindet, seine Refrains ganz zurückhaltend über das Abfallen des Gitarrenriffs gleiten zu lassen. Aber auch Live by the Sword, ein bluesiger 70′s-Titel, oder Bite My Head Off, ein großer, gitarrenlastiger Rocksong mit einem Signature-Riff von Keith Richards. Das ist schon eine ganze Menge!

Es gibt natürlich auch Stücke wie Whole Wide World, die entschieden moderner klingen, ganz im Sinne von Andrew Watt, aber es ist eben doch eine Platte der alten Schule. Der Beweis: Das Album, das vielleicht das letzte der Band sein wird, endet mit Rolling Stone, dem berühmten Song von Muddy Waters, der den Bandnamen inspiriert hat, der zum ersten Mal in ihrer Karriere gecovert wird. Ein purer Blues, mit Akustikgitarre und Mundharmonika, und nur Jagger und Richards, ganz tief im Herzen der Stones.

The Rolling Stones Concert
Mick Jagger, Keith Richards, and Ronnie Wood from The Rolling Stones perform at Hippodrome de Longchamp on July 23, 2022 in Paris, France. (Photo by David Wolff-Patrick/Redferns)