Bevor Tom Waits zum punkartigen Howlin’ Wolf mit kabarettistischen Darbietungen wird, ist er eine als Songwriter bekannte Figur, die sich für Jazz, Broadway-Musicals und die Beat Generation eines Kerouac begeistert. Zwischen 1973 und 1980 spielt der Kalifornier beim Label Asylum sechs Studio-Alben und ein Live-Album ein, die jetzt neu gemastert in Hi-Res 24-Bit herauskommen. Rückblick auf die von Leidenschaft geprägten, chaotischen Anfänge eines Gammlers, der zugleich einer der charmantesten ist.

Jetzt, wo sein 70. Geburtstag in großen Schritten näherkommt, ist Tom Waits zu einer unerreichbaren Ikone geworden, der sich ein bisschen eingezwängt fühlt in der Gestalt, die er sich selbst geschaffen hatte. Seit Anfang der 80er Jahre gilt der Kalifornier als verrückter, fast punkiger Bluesman, der zwischen den Göttern des Labels Chess (mit Howlin’ Wolf in erster Linie), den dekadenten Kreisen der Weimarer Republik und ihrem monströsen und fantastischen Realismus (Kurt Weill und Bertolt Brecht) und den Enttäuschten des American Dream gefangen ist. Ein talentierter, außergewöhnlich poetischer Songwriter, der seine Texte mit einer, aufgrund von verwässertem Whisky und altem Tabak kaum hörbaren Reibeisenstimme vorträgt. Eine Figur, die am Ende sogar selbst vor die Kamera berühmter Regisseure trat, etwa Francis Ford Coppola (Einer mit Herz, Die Outsider, Rumble Fish, Cotton Club, Bram Stoker’s Dracula, Twixt), Jim Jarmusch (Down By Law, Mystery Train, Night On Earth, Coffee And Cigarettes), Robert Frank (Candy Mountain), Robert Altman (Short Cuts) und Terry Gilliam (König der Fischer, Das Kabinett des Doktor Parnassus). Bevor er aber diese zerknitterte und befleckte, aber nach wie vor faszinierende Flagge hisste, bot Tom Waits ein ganz anderes Gesicht, oder fast…

In der Karriere dieses Hobos, der aus freiem Willen außerhalb seiner Zeit lebt, ist eine einzige Sache unverrückbar: die Erde unter seinen Füßen. Die kalifornische Erde, wo er eines schönen Wintertages des Jahres 1949 in Ponoma zur Welt kam und wo er praktisch sein ganzes Leben verbrachte. Zuerst in Whittier, dann in San Diego, in Los Angeles und im Sonoma County, wo er nun seit Ewigkeiten wohnt. Der kleine Thomas wächst in der amerikanischen Mittelklasse auf und ist irgendwie versessen auf das Weltall, aber auch auf die Bücher von Jack Kerouac ( "Gammler, Zen und hohe Berge" von 1958) und die Songs von Bob Dylan. Seine ersten Songs präsentiert er etwas später nördlich von San Diego, in Los Angeles, wo er von einem Lokal zum nächsten, von einem Club zu nächsten, von einem Dinner zum nächsten wandert. Er macht weiter mit kleinen Jobs vom Türsteher bis zum Pizzabäckerlehrling und übt seine Kunst auf schlecht gestimmten Klavieren aus, wenn die Clubs die Türen schließen und die Kunden das Weite gesucht haben… Es ist die Zeit der Folkmusik, aber bei ihm klingt es eher nach kabarettistischen Vorführungen. Überall gibt es Hippies, er aber gehört eher zur Beatgeneration, einer Bewegung, die übrigens einige seiner Artgenossen bereits wieder altmodisch finden. Tom Waits ist vor allem von „Klassikern“ wie Gershwin, Sinatra oder Ray Charles fasziniert. Auch von Krimiautoren wie Raymond Chandler. Genauso vom Hollywood der vierziger und fünfziger Jahre. Eine ganze Liste mit Namen und Kultfiguren von damals. Eine Vorliebe für „frühere Zeiten“, die der junge Waits hundertprozentig in Anspruch nimmt, da er ja davon träumt ein „Alter“ zu sein.

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