Im Gespräch mit dem herausragenden Jazzpianisten Michael Wollny anlässlich seines neuen Albums “Duo”, zusammen mit seinem großen Idol und Mentor Joachim Kühn.

15 Jahren sollten vergehen, bis die beiden deutschen Ausnahmepianisten Michael Wollny und Joachim Kühn wieder zusammen auf einem Album zu hören sind, nachdem sie das erste Mal 2009 von ihrem gemeinsamen Label ACT Music eingeladen wurden, das Konzert Live at Schloss Elmau als Duo aufzunehmen. Ganze 34 Jahre trennen die beiden Musiker voneinander, die trotz ihrer unterschiedlichen Generation auf der Bühne eine einzigartige musikalische Symbiose ergeben. Die gegenseitige Bewunderung ist kein Geheimnis, besonders der Einfluss des älteren Kühn auf den aufstrebenden jungen Jazzpianisten ist nicht nur in dessen Spiel zu hören — Wollny selbst machte Joachim Kühn zum Gegenstand seiner Diplomarbeit.

2005 veröffentlichte Wollny sein erstes Album Call it (Em) bei ACT Music und ist seither eng mit dem Label und dessen Künstlerinnen und Künstlern verbunden. Neben seinem langjährigen Trio — und “Rückgrat” seiner Projekte — zusammen mit Tim Lefebvre beziehungsweise Christian Weber (Bass) und Eric Schaefer (Schlagzeug) ist er in unterschiedlichsten Ensembles eingebunden, darunter mit Musikern wie Vincent Peirani, Emilie Parisien, Heinz Sauer oder im berühmten Quartett 4 Wheel Drive gemeinsam mit Nils Landgren, Wolfgang Haffner und Lars Danielsson.

Michael Wollny, dessen Figur oft mit dem Beinamen “Meister der Improvisation” in Verbindung gebracht wird, ist bekannt für seine unglaubliche musikalische Vielfalt sowie herausragende Jazz- und Klassik-Kultur, sei es vom französischen Impressionismus über die deutsche Moderne Anfang des 20. Jahrhunderts bis hin zu Einflüssen des frühen Jazz sowie Rock- und elektronischer Musik. Seine außergewöhnliche Fähigkeit, dieses breite Klangmaterial in seine individuelle Interpretation auf dynamische und organische Weise einzubringen, macht ihn zu einem unbestrittenen Anführer der neuen europäischen Jazzszene — und gliedert ihn somit in eine Reihe mit seinem großen Idol und Mentor Joachim Kühn ein.

Auf dem schlicht betitelten Album Duo präsentieren uns nun die beiden Musiker ihr gemeinsames Konzert aus der Alten Oper in Frankfurt, das im Januar 2023 live aufgezeichnet wurde. Ein weiterer Beweis für die enge Verbundenheit zweier Jazzpianisten, deren Kommunikation auch ohne Worte einwandfrei funktioniert.

Michael Wollny & Joachim Kühn
Michael Wollny & Joachim Kühn © Joerg Steinmetz

Wie kam der erste Kontakt zwischen dir und Joachim Kühn zustande?

Da muss ich ganz weit zurückgehen... Das erste Mal, dass ich Joachim gehört habe, war während meines Studiums, als mir ein Kommilitone eine seiner Aufnahmen vorspielte. Ich weiß noch, dass mich das in diesem Moment wahnsinnig beeindruckt und geflasht hat. Ich bin dann auf eines seiner Konzerte gefahren und ab da war er dann wirklich mein “Hero” am Klavier. Er ist einfach der Pianist, der mich am meisten beeinflusst und inspiriert hat.

Tatsächlich habe ich ihn dann zum ersten Mal noch als Student getroffen, da ich auch meine Diplomarbeit über ihn geschrieben habe, und Backstage mit ihm, nach einem Konzert in Köln, ein Interview geführt habe. Und dann haben wir uns erstmal sehr lange, über zehn Jahre oder so, nicht gesehen, bis mir die Gelegenheit angeboten wurde, mit ihm auf einem Festival in Elmau ein Duo zu spielen. Dort habe ich ihn eigentlich das erste Mal richtig kennengelernt, in Person und musikalisch.

Wie hast du diesen Moment wahrgenommen, mit deinem großen Idol das erste Mal zusammen auf einer Bühne zu stehen?

Das war eine gewisse surreale Erfahrung damals, mit jemandem, den ich so sehr und lange verehre und auch so lange und intensiv gehört habe, plötzlich zusammen ein Konzert zu spielen. Dieses Gefühl hat sich dann aber in dem Moment sehr schnell verflogen, denn Joachim ist ein unglaublich zugeneigter und überhaupt nicht prätentiöser Mensch.

Ich glaube, ich habe in dem Moment gar nicht so viel gedacht oder die Situation bewerten wollen. Was eigentlich immer ein Zeichen dafür ist, dass gerade etwas ganz gut funktioniert. Wir haben auf zwei Flügeln gespielt und das ist immer sehr besonderes, denn es überträgt sich viel Information auf eine ganz intuitive Art und Weise. Man muss sich sehr genau zuhören, antizipieren und verschiedene Arten von Dialog finden — ohne viel nachzudenken oder die Kontrolle behalten zu wollen.

Warum hat es 15 Jahre gedauert, bis ihr wieder zusammen ein Album aufgenommen habt?

Wir haben zwischendurch tatsächlich ab und zu zusammen gespielt. Nicht sehr oft, aber es gab ein paar gemeinsame Konzerte. Aber es ist immer eine Frage, wie sich unsere Zeitpläne verbinden lassen. Ich hatte fast jedes Jahr ein neues Projekt und Joachim auch. Wir haben in dieser Zeit oft telefoniert und sind in Kontakt geblieben, und dass es jetzt zu dieser Platte gekommen ist, hat sich einfach im letzten Jahr sehr günstig ergeben. Nicht zuletzt, weil wir in einem großartigen Konzerthaus mit tollen Instrumenten gespielt haben — in der Alten Oper in Frankfurt. Ich war für ein paar Wochen dort Artist in Residence und hatte eine Reihe von Konzerten, wobei sich bereits von Beginn der Planung der Wunsch ergeben hat, mit Joachim zusammen auf der Bühne zu stehen.

Euer Album heißt Duo — es handelt von zwei Pianisten, aber auch von zwei Generationen, die aufeinandertreffen und sich bewundern. Wie nimmst du dieses Verhältnis zwischen euch heute wahr?

Ich glaube, man ist nie ganz frei von dem Gefühl dieser großen Ehre, mit so einer Persönlichkeit zusammen Musik zu machen. Aber sobald die Musik losgeht, ist es eigentlich so, dass diese Gedanken nicht mehr so eine große Rolle spielen, sondern man einfach zusammen musiziert. Man muss sich fallen lassen und dann ist es eigentlich fast egal, mit wem man spielt. Ich habe ungefähr zwei Monate später, auch in der Alten Oper, ein Konzert mit insgesamt 80 Kindern gespielt und auch hier reagiert man ganz natürlich aufeinander und es stellt sich ein gewisser Flow ein, wo man sich viel mehr die Fragen stellt: Wie ist der Klang und was kann ich damit machen? Wie kann ich möglichst alles, was nicht Klang ist und in der Musik stattfindet, um mich herum vergessen, um ganz aktiv bei mir zu sein?

Wie habt ihr das Konzertprogramm ausgewählt? Es gibt sowohl Stücke von dir als auch von Joachim Kühn, außerdem interpretiert ihr ein Stück von Ornette Coleman.

Das haben wir im Vorfeld zusammen entschieden. Ich habe ihm ein paar Stücke geschickt und er hat mir wiederum einige zukommen lassen und einen Tag vor dem Konzert hatten wir eine kleine Probe im Saal, wo wir die finale Auswahl getroffen haben, auch im Kontext mit der Akustik.

Es ist sehr interessant, denn einerseits waren wir ganz frei, aber haben natürlich auch eine Setlist festgelegt, es war also nicht komplett improvisiert. Und dieser Rahmen hat uns wiederum innerhalb der Stücke sehr viel Freiheit ermöglicht. Tatsächlich haben wir jedoch für die CD entschieden, die Reihenfolge etwas zu ändern. Im Konzert hatten wir einen sehr energiereichen Einstieg mit dem vorletzten Stück auf der Platte, Aktiv, und sind dann von dieser Rampe aus in eine eher ruhige Stimmung gefallen, wobei wir für das Anhören der Aufnahme dachten, dass es genau andersrum interessanter wäre.

Michael Wollny & Joachim Kühn
Michael Wollny & Joachim Kühn © Joerg Steinmetz

Zwischen Studioproduktion und Livekonzert — gibt es etwas, das dir mehr liegt?

Das werden wahrscheinlich viele so beantworten, aber ich finde, dass sich beides sehr gut ergänzt, weil die Arbeit doch sehr unterschiedlich ist. Im Studio spielt man eigentlich Musik wie unter einem Mikroskop und meistens auch nur für zwei oder drei Zuhörer— den Toningenieur, den Produzenten, vielleicht noch weitere technische Akteure. Aber sie sind alle von einer Glasscheibe getrennt und man ist eigentlich fast unter klinischen Laborbedingungen. Im Konzert ist das ganz anders. Da ist man in einem Raum mit zwischen 50 und 1000 Menschen und irgendwie stricken alle gemeinsam an der Musik. Das ist wirklich irre, dass oft nicht nur die Akustik und die Instrumente, sondern eben auch die Zuhörer und Zuhörerinnen das beeinflussen, was passiert.

Deshalb ergänzen sich die beiden Sachen so gut, weil beide Räume ganz unterschiedliche Möglichkeiten bergen. Man kann live Dinge tun, die man im Studio nicht erreicht, einfach weil dieser Fokus auf den Moment im Studio weniger auf natürliche Weise vorhanden ist und man diese erst immer wieder für sich selbst erzeugen muss. Umgekehrt kann man im Studio wie eine Art Komponist aus der Zeit und Situation heraustreten und Entscheidungen nochmal im Nachhinein treffen. Man hat gestalterisch mehr Möglichkeiten, im Konzert muss man mit dem arbeiten, was der Raum einem zur Verfügung stellt.

Improvisationen spielt in deiner Musik eine zentrale Rolle. Kannst du erklären, was da genau in deinem Kopf vorgeht und welche “Werkzeuge” du dabei benutzt.

Ja, das ist ein super Stichwort, weil ich mich tatsächlich so fühle, als ob ich einen Teil meiner Zeit in einer Werkstatt verbringe, mit Werkzeugen, wie hier im Studio, wo ich an allen möglichen kleinen Werkstätten oder Baustellen arbeite. Ob harmonische Progression, Klang, Fingersatz oder Geläufigkeit, was auch immer. Und dann gibt es neben der Werkstatt den Bühnenraum. Und mein Ideal ist eigentlich, dass ich gar nicht genau weiß, was ich mache oder im besten Fall keine Erwartungen habe, was passieren wird. Sondern, dass alles mehr oder weniger intuitiv in dem Moment aus mir rauskommt.

Viele kennen Improvisation auch aus dem Alltag als etwas, das vielleicht eher negativ ist. Es kam oft nicht so, wie geplant und jetzt muss man improvisieren — doch ich finde, dass es genau andersrum ist. Ich freue mich immer, wenn ich etwas anders machen muss oder kann, als es ursprünglich geplant war. Denn ich denke, dass sich oft in diesen Momenten Möglichkeiten oder neue Türen zeigen, an die man zuvor überhaupt nicht gedacht hat. Auf der Bühne liegt das oft an der Tatsache, dass man eben nicht allein ist und mit anderen zusammen Entscheidungen fällen muss. Seien es die Zuhörer und Zuhörerinnen oder andere Musiker und Musikerinnen. Und oft ist es auch so, dass man im Jazz generell nicht die richtige Version produziert oder komponiert und dann immer wieder nachspielt, sondern man immer wieder neue Geschichten über das gleiche Thema erzählt.

Ich freue mich immer, wenn ich etwas anders machen muss, als es ursprünglich geplant war. Denn oft in diesen Momenten zeigen sich Möglichkeiten, an die man zuvor überhaupt nicht gedacht hat.

Improvisation ist im Studio wahrscheinlich auch weniger einfach?

Auf jeden Fall, da hat man erstens weniger Zeit und zweitens sind die Energie und das Umfeld auch ganz anders. Im Studio hat man einen festen Zeitplan und kann eventuell nochmal den Sound oder so ändern. Improvisation ist für mich genau das Gegenteil: Man kann nicht alles im Vorfeld genau festlegen, sondern man kreiert sich Situationen, in denen man das machen kann, was man sich vorher nicht ausdenken hätte können.

Dafür braucht man aber auch Mut, oder?

Ja und vor allem ein gewisses Urvertrauen, aber das kommt mit der Zeit. Als Jazzmusiker lernt man auf der Bühne, dass man von Anfang an aufgerufen ist, mitzumachen (nach den eigenen Möglichkeiten) und nachzuspielen, zu imitieren, zu beobachten, um dann festzustellen, dass man nie ganz vom Spielfeld fliegt. Manchmal fällt man ungünstig und rappelt sich wieder auf, aber es ist überhaupt nicht so, dass man Gefahr läuft, dass alles schief geht, sondern im Gegenteil, man ist komplett frei.

Hast du bestimmte Themen oder Stücke, zu denen, wenn alle Stricke reißen, du immer wieder zurückkommen kannst?

Es gibt ein super Zitat von Helge Schneider, der sagt: “Ich habe nichts vorbereitet, deshalb kann ich auch nichts vergessen.” Das trifft so ein kleines bisschen die Situation, denn natürlich hat man im Falle von einem Konzert zum Beispiel gemeinsame Themen, die man spielt, und zu denen findet man auch wieder zurück. Aber für mich ist der Stress eigentlich viel größer, wenn ich eine richtige Partitur habe, der ich genau folgen muss. Auch wenn ich interpretatorische Freiheiten habe, muss ich mich trotzdem an die Noten halten. Da ist es für mich viel komfortabler zu wissen: Wir wandern von Thema zu Thema, dazwischen ist alles möglich und ich kann sozusagen ausschweifen und mich vielleicht auch kurz mal verlieren. Oder ich kann das Thema ändern und muss mich dann quasi nur wieder darauf konzentrieren, wieder zum Ursprung zurückzufinden. Davor habe ich keine Angst, das passiert ganz von selbst.

Michael Wollny
Michael Wollny © Joerg Steinmetz

Lass uns ein bisschen in der Zeit zurückspringen und auf den Anfang deiner musikalischen Laufbahn blicken. Wie bist du überhaupt zum Klavier gekommen und wie kam es dazu, dass du die Musik zu deinem Beruf machen wolltest?

Ich komme aus einer Familie, in der Musik immer eine große Rolle gespielt hat. Meine Eltern sind zwar keine Musiker:innen, aber meine ältere Schwester ist Musikerin und sie war für mich in dieser Hinsicht sehr wichtig, als ich klein war. Einfach, weil ich mit ihrer Musik aufgewachsen bin. Sie hat auch meine ersten Schritte am Instrument begleitet.

Und dann habe ich eigentlich so die ganz typischen Stationen passiert, über Musikschule und Jugend musiziert, und wurde immer von Lehrer zu Lehrer weiterempfohlen, bis ich mich mit circa 15 Jahren als Jungstudent an der Musikhochschule in Würzburg wiedergefunden habe. Und nach dem Ende des Studiums kamen auch schon die ersten Konzerte und Engagements: eine Einladung des Bundesjazzorchester, ein Konzert in Berlin, und eine Tournee mit einer Bigband aus Regensburg nach Russland und dann in die USA. Es kam alles ganz schleichend und irgendwann musste ich diese richtige Entscheidung gar nicht so sehr fällen, sie ist einfach entstanden. Plötzlich war ich da, mitten im Berufsleben eines Pianisten.

Das ist bis heute eine Konstante, dass ich oft denke, dass sich die Dinge so aus sich selbst heraus ergeben. Man spielt heute ein Konzert und darauf ergibt sich eine Anfrage für das nächste Jahr, und so weiter. Im Laufe der Zeit lernt man auch unglaublich viele Menschen kennen, mit denen man zusammen Projekte erarbeitet.

Im Jazz gibt es keine richtige Version. Man erzählt immer wieder neue Geschichten über das gleiche Thema.

Hat es sich dabei immer um eine intrinsische Motivation gehandelt oder gab es auch einen Motor von außen?

Es gab keinen Motor von außen. Ich habe immer wieder auf der Strecke wichtige Mentoren und Lehrer gehabt, die mich sehr unterstützt haben, und zwar sowohl in der Art und Weise, wie ich das zu dem Zeitpunkt machen konnte oder machen wollte, als auch mit ihrer eigenen Musik oder einem eigenen Konzept. Beispielsweise Chris Beyer, mein Lehrer an der Hochschule, bei dem ich zehn Jahre lang studiert habe, und später John Taylor als zweiter großer Mentor, bei dem ich auch jahrelang Unterricht hatte. Aber auch andere Musiker und Musikerinnen wie der große Saxophonist Heinz Sauer, den ich eigentlich durch einen lustigen Zufall kennengelernt habe und woraus sich dann 20 Jahre Duo-Spielen ergeben haben.

Ich hatte immer jemanden, der sich für meine Art und Musik interessiert hat oder der mir eine Bühne gegeben oder Projekte ermöglicht hat — und da spielt natürlich auch mein Label ACT Music eine ganz wichtige Rolle mit Siggi Loch, die mir seit 20 Jahren Raum und Zeit für meine Projekte ermöglichen.

In deinen Alben findet man Einflüsse aus sehr unterschiedlichen Epochen und Genres — von klassischer Musik des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zu Nick Cave und elektronischer Musik. Wie schaffst du es, dass deine Musik trotzdem in sich schlüssig ist?

Danke, das ist ein großes Kompliment, aber es ist tatsächlich so, dass man sich manchmal in bestimmte Songs verliebt, die einen nicht mehr loslassen — egal aus welcher Epoche sie stammen. Das ist wie ein innerer Magnet, an dem sich manches anhaftet und manches auch wieder nicht. Wenn man es dann schafft, relativ offen zu sein und keine Genres von Prinzip aus auszugrenzen, dann ergibt sich ein interessantes, vollständiges Mosaik aus vielen kleinen Steinchen, die alle verschiedene Farben haben und zusammen ein großes, in sich schlüssiges Bild ergeben.

Ich denke auch, dass die Inspiration in der Übersetzungsarbeit liegt. Ich nehme zum Beispiel ein Stück von Leonard Cohen und versuche, dieses als Pianist zu spielen, was zunächst erstmal unmöglich scheint, weil der Text so wichtig ist. Und trotzdem habe ich dann sozusagen die Aufgabe, das auf meine Musik zu übersetzen. Dabei entstehen ziemlich viele neue Ideen und man schärft ein bisschen seine eigene Ästhetik, indem man ausprobiert, auf welche Art und Weise man die musikalischen Themen für sich selbst benutzen kann — oder auch nicht. Dieses Entdecken finde ich immer sehr spannend. Das ist wie ein weiter Horizont, wo man sich immer wieder neu herausfordert und fragt: Wie stehe ich eigentlich dazu? Warum interessiert mich das? Wie könnte ich diese Geschichte mit meinen Worten jetzt erzählen?

Und was hörst du selbst am liebsten für Musik?

Ich höre viel klassische Musik, nicht nur Klaviermusik, sondern auch Orchester- oder Kammermusik, wobei mich besonders die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr inspiriert. Von Alban Berg und Paul Hindemith bis hin zu Messiaen oder Ligeti. Ligeti, der seinen 100. Geburtstag feierte, war letztes Jahr zum Beispiel ein ganz großer Bezugspunkt für mich.

Dann habe ich eine große Schwäche für Britpop, das kommt wahrscheinlich aus meinen früheren Zeiten… Ich bin großer Fan von Pulp oder Scott Walker, aber eigentlich höre ich wirklich alles querbeet. Von elektronischer Musik und den ganz alten, frühen Jazz-Stücken von Duke Ellington und der Bebop-Zeit bis hin zu Singer-Songwriter-Themen, wo vor allem oft der Text und die Sprache im Zentrum stehen und nicht wie bei mir die Melodie. Ich mache wahnsinnig gerne Musik, die ich mit Sprache und Worten verbinden kann. Nicht zwingend Gesang, sondern auch einfach nur mit Texten. Von Herbie Hancock gibt es zum Beispiel eine großartige Aufnahme zusammen mit Leonard Cohen, in der Texte zitiert werden und auch ich habe zusammen mit Christian Brückner ein Projekt verwirklichen können, wo Gedichte von Heinrich Heine vorgetragen werden. Ich finde es total spannend, wie Sound und Sprache, beziehungsweise die Sprachmelodie und der Sprachrhythmus, zusammen funktionieren können.

Michael Wollny hat exklusiv für Qobuz eine persönliche Playlist mit seinen musikalischen Einflüssen zusammengestellt, die Sie hier hören können.