Die Verkaufszahlen des legendären Appetite For Destruction nähern sich in den USA der 20-Millionengrenze. Weiß jedoch heute noch jemand, dass das Album beinahe überhaupt nicht erschienen wäre? Zwischen Axl Rose, Slash, Duff McKagan, Izzy Stradlin und Steven Adler gab es nicht nur dauernd Unstimmigkeiten, sondern das Schicksal schien dieser Gruppe ununterbrochen auf den Fersen zu sein, die – verglichen mit Mötley Crüe, Ratt, Cinderella oder Dokken – wohl in allen Dingen zu spät dran war. David Geffens hatte mehr oder weniger aus Mitleid eingewilligt, dieser Gruppe von Obdachlosen bei seinem Label Unterschlupf zu bieten. Seinen Altruismus sollte er dann aber nicht bereuen…

David Geffen, der ehemalige Manager von Crosby, Stills And Nash und Jackson Browne, und späterer Gründer des Labels Asylum (Eagles, Bob Dylan, Joni Mitchell, Linda Ronstadt, Tom Waits…) galt als Fantast, als er Anfang der achtziger Jahre für das Debütalbum von Geffen Records blindlings John Lennon unter Vertrag nahm, ohne vorher eine einzige Note von Double Fantasy, dessen allerletzten Albums, gehört zu haben. Niemand sonst wollte den ehemaligen Beatle, der sich mehr als fünf Jahre nicht zu Wort gemeldet hatte. Vier Jahre später dachte jeder, er hätte wohl sein legendäres Flair verloren, als er die erschöpften Mitglieder von Aerosmith und sogar Neil Young aufnahm, dessen Karriere zu diesem Zeitpunkt äußerst instabil war. 1987 revanchierte er sich jedoch, nachdem er die Karrieren von Simon & Garfunkel, Peter Gabriel, Joni Mitchell, Elton John, Don Henley oder Cher wieder angekurbelt hatte und für diese Zeit recht ungewöhnliche Alben produzierte, wie etwa die von Asia, Sammy Hagar, Siouxsie & The Banshees, Irene Cara, Berlin, Quarterflash und auch Tesla, Y&T oder Whitesnake

Geffens Konkurrenten schmunzeln dann aber ein weiteres Mal, als er am 26. März 1986 die unter allen am wenigsten vertrauenswürdige Gruppe aus Los Angeles unter Vertrag nimmt: Guns N’ Roses. In den Augen aller in der Musikindustrie Beteiligten kam er an, als schon alles vorbei war. Alle Labels hatten schon zugegriffen und verschlangen den explodierenden Hair Metal. Außerdem war die Band Guns N' Roses das hässliche kleine Entlein einer Szene, in der zahlreiche, relativ seriöse und professionelle Gruppen einen durchschlagenden Erfolg gefeiert hatten: Das fängt an mit Mötley Crüe, geht weiter mit Cinderella oder Poison und reicht hin bis Dokken, Twisted Sister, Ratt, Vixen und L.A. Guns… Deren Alben fanden millionenfachen Absatz und die meisten von ihnen spielten in Stadien oder in den größten Konzertsälen. Tom Zutaut, einer von Geffens Mitarbeitern, riskierte seinen Job, um diese Gruppe zu verteidigen, die niemand wollte, und schwor, dass Guns N' Roses mindestens 10 Millionen Alben verkaufen und größer als Led Zeppelin sein würden!“ Geffens Begeisterung wurde dann durch den recht zweideutigen Empfang von Aerosmiths Done With Mirrors oder von Black n' Blues Nasty Nasty etwas gebremst, das immerhin der Kiss-Bassist Gene Simmons produziert hatte, und investierte dann ein relativ bescheidenes Budget von 75.000 Dollar mit einem Vorschuss von 37.000 Dollar. Aber in der ersten Zeit sollten die fünf Bandmitglieder ihrem Ruf treu bleiben. Sie hatten den größten Teil des Vorschusses für verbotenen Stoff ausgegeben und ihre Leistungen im Studio ließen zu wünschen übrig. Die einzigen für die Musik gemachten Ausgaben bestanden in ein paar Gitarren für Slash und einem Vintage Fender Jazz-Bass für Duff McKagan.

Sogar die Einspielungen der ersten Probeaufnahmen in den verschiedenen Studios (Pasha, Sound City…) gestalten sich schwierig. Der Leadsänger von Mötley Crüe weigert sich, diese „Scheißgruppe“ zu produzieren, daher wendet sich Zutaut an einen Veteranen, den Gitarristen und Produzenten von Nazareth, Manny Charlton. Axl Rose hatte nämlich von Geffen verlangt, denjenigen anzuheuern, der bei Hair Of The Dog, einem seiner Lieblingsalben der schottischen Gruppe aus dem Jahr 1975, an den Reglern gestanden hatte. Sie spielen November Rain, zwei Versionen von Move To The City (2), Paradise City, Reckless Life und Shadow Of Your Love ein. Das Ergebnis ist nicht recht überzeugend, und als Charlton nach Schottland zu Nazareth zurückgeht, hält ihn niemand zurück. Dann ersuchen sie Spencer Proffer einzuspringen - jenen Produzenten, der sich mit dem Album Metal Health von Quiet Riot einen soliden Namen gemacht hatte, weil er damit 1983 den Hard Rock wieder in Schwung brachte (wenn auch nicht im selben Maße wie es später dann Kick Axe, W.A.S.P. oder King Kobra taten). Denn angesichts dieser Musiker, die sich kaum auf den Beinen halten können und deren Leadsänger erst kommt, wenn schon alle nach Hause gehen, sieht Zutaut ein, dass ein energischer Mann her muss, um dieses „bald einstürzende“ Quintett zu disziplinieren. Wegen des äußerst zweifelhaften Rufs der Gruppe gelingt es ihm nur mit großer Mühe, seinen Freund Alan Niven zu überzeugen, Manager der Guns N‘ Roses zu werden. Letzterer hatte es vor allem geschafft, Dokkens Karriere zu lenken, wo doch die Beziehungen zwischen dem Sänger Don Dokken und dem Gitarristen George Lynch aus einem einzigen endlosen, wilden Streit bestanden. Duff beteuerte später, dass „anfangs Guns N‘ Roses wie eine einzige Familie im Sinne von ‚wir gegen alle anderen‘ waren, die das Fuck you des Rock zu ihrer Devise gemacht hatte“. Eins ist aber sicher: In dieser Familie hing der Haussegen schief und sie brauchte dringend einen „strengen, aber gerechten“ Elternteil.

David Geffen war drauf und dran, der Gruppe den Geldhahn zuzudrehen und sie zu feuern. Niven aber gelang es, das Ruder herumzureißen. Die 22 in den Sound City Studios gemachten Probeaufnahmen, die auf der Neuausgabe des Albums Appetite For Destruction vertreten sind, scheinen endlich das ausgezeichnete Potential zu bestätigen, das Zutaut den Guns N' Roses nach ihrem Auftritt auf der Bühne des Troubadour in Los Angeles zugestanden hatte. Niven rät dennoch dazu, erst einmal mit einer EP anzufangen und zu warten, bis die Gruppe für ein Debütalbum bereit ist. Er kommt sogar auf die verrückte Idee, ein falsches Live-Album auf den Markt zu bringen, indem er auf vier im Sound Studio finalisierten Tracks die Tonspur eines aus dem Texxas Jam der 70er Jahre stammenden, applaudierenden Publikums einfügen will. Live ?!*@ Like a Suicide kommt im Dezember 1986 in limitierter Auflage heraus, und zwar bei dem genauso falschen Label UZI Suicide, aber der Zweck ist erfüllt und der Hype losgetreten - vor allem in England.

Melden Sie sich kostenlos an, um weiterzulesen

Mehr erfahren