Fabrizio Bosso
Sicher ist, dass sich Latin und Jazz Anfang der 50er in Brasilien und den USA gleichzeitig umeinander bemühen. Zu dieser Zeit beginnen Musiker in Amerika mit lateinamerikanischen Rhythmen zu experimentieren. In Brasilien setzt man sich mit den aktuellen Jazzentwicklungen auseinander und so kommt es, dass Latin & Jazz eine Ehe eingehen, die bis heute ein glückliches und zufriedenes Beieinander zelebriert.
Ausgehend von den Urgesteinen Antônio Carlos Jobim, Baden Powell, Luiz Bonfá, Astrud und João Gilberto auf der einen Seite und Charlie Byrd, Dizzy Gillespie und Stan Getz auf der anderen, zelebriert jede Generation den Latin-Jazz auf ihre ganz eigene Weise. Den ersten Meilenstein der Latin-Jazz-Geschichte setzen Stan Getz und João Gilberto mit dem '65er-Album "Getz/Gilberto". Ein Jazzalbum auf den Grammy-Thron "Album des Jahres" zu hieven, gelingt erst 50 Jahre später, mit Herbie Hancocks "River - The Joni Letters", wieder.
Von Coltrane bis Davis und Hancock bis Byrd, von Steely Dan bis Sting und Al Jarreau bis Sade setzt sich jeder Jahrgang auf seine individuelle Art mit den Fusionsmöglichkeiten lateinamerikanischer Folklore und US-amerikanischem Jazzverständnis auseinander.
Doch das sind beileibe nicht die einzigen zwei Ingredienzien, derer sich zeitgemäßer Latin-Jazz bedient. Pop, Rock, Reggae und vieles andere findet Platz in dem Schmelztiegel, der heuer unter dem Namen Música Popular Brasileira (MPB) firmiert. Sergio Mendes, Seu Jorge, Juanes, Caetano Veloso, Shakira, Calexico, Chico César und viele andere sorgen diesbezüglich für ein buntes Treiben und halten die Soße am kochen.
Fabrizio Bosso ist eine der Speerspitzen der jüngeren Generation. Er verzichtet weitestgehend auf popmusikalische Eingeständnisse und agiert stattdessen nahe am Ursprung, dem Amalgam aus Jazz und Latin. Für sein Blue-Note-Zweitwerk "Sol!" (2009) sucht und findet der italienische Jazztrompeter die Begegnung mit dem argentinisch stämmigen Saxophonisten Javier Girotto und dem ebenfalls aus Argentinien stammenden Pianisten und Keyboarder Natalio Mangalavite.
Auf "Sol!" hüllen sie mit aufregenden Eigenkompositionen und eigenwilligen Interpretationen den Sound des Latin-Jazz in ein modernes Antlitz. Das durch Nat King Cole bekannt gewordene "Quizas, Quizas, Quizas", oder das durch Pedro Almodovars gleichnamigen Film zu neuen Ehren gekommene "Volver", schaut dabei "Mamihlapinatapai" oder "El Cacerolazo", aus der Feder Javier Girottos, auf Augenhöhe in die Pupillen. Und weil es so schön ins Bild passt: "Mamihlapinatapai" bedeutet in der Sprache Feuerlands: "Sich in die Augen blicken und hoffen, dass der andere das tut, was beide leidenschaftlich gerne wollen ... "
Leidenschaft kennzeichnet, neben vielen anderen Attributen, die Musik Fabrizio Bossos. Das erkennt 2007 auch das renommierte Label Blue Note, bei dem Bosso mit "You've Changed" sein Debüt feiert, zu dem u.a. Dianne Reeves einen Gastbeitrag leistet. Auf dem Nachfolger "Sol!" übernimmt den Platz am Mikro Raul Midón. Für einiges Aufsehen sorgt auch Bossos Zusammenarbeit mit seinem Landsmann Nicola Conte.
Vor seiner Aufnahme in den erlauchten Kreis der Blue-Note-Künstler, verdient sich Bosso seine Sporen bei musizierenden Kollegen wie Carla Bley, Randy Brecker, Charlie Haden, Steve Coleman, Kenny Wheeler oder Dave Liebman. Wie man in so eine Szene gerät? Indem man am 5. November 1973 zur Welt kommt, seiner Leidenschaft für die Musik folgt, seine spielerischen Fähigkeiten beim Studieren in Turin auf professionelles Niveau trimmt und in Washington die Elevenzeit beendet. Von dort aus ist es, nichterlernbare Dinge wie Kreativität und Eigenständigkeit, erlernbare wie technische Virtuosität und eine individuelle Tonbildung, und das berühmte Quäntchen Glück vorausgesetzt, ein Leichtes, in die richtigen Kreise zu gelangen.
Das gelingt Bosso nicht nur im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mühelos. Auch nach seiner Rückkehr in die heimatliche Musikszene, etabliert er sich schnell als beliebter Side- und Frontman. Davon künden zahlreiche Live- und Konserve-Kooperationen. Mit von der italienischen Partie sind u.a. Gianni Basso, Flavio Boltro, Franco d'Andrea, Salvatore Bonafede, Giovanni Mazzarino, Enrico Pieranunzi, Mario Biondi, Sergio Cammariere und Stefano Di Battista.
© Laut
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