Der berühmte holländische Dirigent, der vor Kurzem im ehrwürdigen Alter von 92 Jahren gestorben ist, straft das Sprichwort vom Propheten, der im eigenen Land nichts gilt, Lügen. Bernard Haitink war seit seiner Jugend sowohl in Kollegenkreisen als auch in seinem eigenen Land anerkannt und verfolgte den größten Teil seiner immensen Karriere in den Niederlanden, wo er zunächst das Niederländische Rundfunkorchester und dann 27 Jahre lang das renommierte Concertgebouw-Orchester in Amsterdam leitete, mit dem er für PHILIPS, DECCA und EMI CLASSICS zahlreiche legendäre Aufnahmen realisierte: mehr als 450 Einspielungen einer Vielzahl von Komponisten, unter denen Bruckner und Mahler einen wichtigen Platz einnehmen.

Stete Bescheidenheit

Bernard Haitink wurde 1929 in Amsterdam in einer wohlhabenden Familie geboren und verfolgte früh mit großem Interesse die Konzerte des Concertgebouw-Orchesters unter der Leitung von Willem Mengelberg. Er studierte am Konservatorium seiner Heimatstadt Geige und Oboe – wegen der Luftangriffe musste er sich die Hälfte der Zeit unter seinem Notenpult verstecken –, zusammen mit jüdischen Kameraden, die er für talentierter hielt als sich selbst und die er nie wiedersehen sollte. Demütig und bescheiden hatte der junge Mann oft Schuldgefühle, weil er glaubte, unverdientermaßen im Rampenlicht zu stehen, während die anderen, ihm überlegenen Musiker nie aus den Konzentrationslagern zurückkehrten. Anfang der 1950er Jahre wurde er als zweiter Geiger Mitglied des niederländischen Radio Filharmonisch Orkest (RFO) und nahm gleichzeitig Dirigierunterricht bei Felix Hupka vom Niederländischen Rundfunk und später bei dem deutschen Dirigenten Ferdinand Leitner. Der angehende Dirigent bewährte sich schnell und wurde im Alter von 26 Jahren zum zweiten Dirigenten des RFO ernannt, wo er mit vier Rundfunkorchestern zusammenarbeitete.

1956 wurde Bernard Haitink kurzfristig gebeten, für Carlo Maria Giulini an der Spitze des Concertgebouw-Orchesters einzuspringen. Zunächst lehnte er mit der Begründung ab, er sei noch nicht bereit, dieses Orchester zu dirigieren, änderte aber seine Meinung und hatte großen Erfolg. Diese erste Erfahrung an der Spitze des renommiertesten Orchesters des Landes blieb nicht unbemerkt. Er wurde Chefdirigent des Rundfunkorchesters und dirigierte dann 1959, in Vertretung des Dirigenten Eduard van Beinum, der kurz darauf überraschend verstarb, zum ersten Mal das Concertgebouw-Orchester bei einer Tournee in Großbritannien. 1961 ernannte das berühmte Orchester kurzentschlossen Eugen Jochum und Bernard Haitink zu Co-Dirigenten, da letzterer noch zu unerfahren war, um die Leitung allein zu übernehmen. Zwei Jahre später wurde er jedoch eigenständiger und erfolgreicher Chefdirigent des Orchesters.

Intensive Zusammenarbeit

Seitdem, wie bei Karajan in Berlin, Ormandy in Philadelphia oder Ansermet in Genf, war Bernard Haitinks Name mehr als ein Vierteljahrhundert lang untrennbar mit dem seines Orchesters verbunden, mit dem er zahlreiche Aufnahmen machte, unter denen die Werke von Anton Bruckner und Gustav Mahler einen herausragenden Platz einnehmen. Dazu ist zu sagen, dass sich das Concertgebouw-Orchester unter der Leitung von Mengelberg auf die Musik von Mahler spezialisiert hatte, dessen Werke damals noch nicht allgemein anerkannt waren. Was Bruckner betrifft, so sagte Haitink immer, dass er sich seit seiner Jugend auf unerklärliche Weise zu dessen Musik hingezogen fühlte. Die Gesamtaufnahme der Bruckner-Sinfonien unter seiner Leitung erregte bei ihrem Erscheinen großes Aufsehen und wurden neben der von Eugen Jochum sofort zu einem Standard. Haitinks großartige Vision, der kraftvolle und verfeinerte Klang des Concertgebouw-Orchesters und Philips klare und natürliche Tonaufnahmen waren eine große musikalische und klangliche Neuheit. Daneben realisierten der Dirigent und sein Orchester zwischen 1962 und 1971 eine meisterhafte Gesamtaufnahme von Gustav Mahlers Sinfonien, die immer noch absolut aktuell ist.

Diese beiden außergewöhnlichen Zyklen wurden sorgfältig neu gemastert und 2019 als Geschenk für den alten Dirigenten zu seinem 90. Geburtstag veröffentlicht. Das Boxset enthält die Cover der Originalausgaben. Beide Alben sind im Folgenden mit einigen neuen Einzelversionen, die später in Amsterdam aufgenommen wurden, aufgeführt, darunter eine prächtige 9. Symphonie von Bruckner, die in den frühen 1980er Jahren digital aufgenommen wurde. Haitink hat im Laufe seiner Karriere in Berlin, Chicago, London, Dresden und München mit anderen Orchestern viele weitere Studio- und Live-Aufnahmen dieser beiden Komponisten realisiert, was für jeden, der sich darin zurechtfinden und alle anhören will, einen gewissen Hindernislauf bedeutet. Wir werden darauf noch zurückkommen.

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