Zubin Mehta geht auf Abschiedstournee mit dem Israel Philharmonic Orchestra und wird mit einer großen CD-Box gewürdigt.

Zubin Mehta ist der Marathon-Mann unter den großen Dirigenten: 16 Jahre war er Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic, 13 Jahre des New York Philharmonic. 32 Jahre, bis 2017, leitete er das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, und nach 42 Amtsjahren hört er nun auf als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra. Seine Abschiedstournee führt Mehta und das Orchester auch zum Musikfest Berlin, im Spätherbst erscheint dann bei Sony Classical eine Box mit all seinen Aufnahmen für Sony und CBS. Mehta, geboren 1936 im indischen Bombay und seit 57 Jahren in Los Angeles wohnhaft, ist nach zwei Jahren krankheitsbedingter Pause erst im Frühjahr ans Dirigentenpult zurückgekehrt. Beim Gespräch im Mai in einer Berliner Hotelbar überhört der 83-Jährige sehr elegant einige Fragen zum aktuellen Musikgeschehen und erzählt lieber mit großer Freude alte Anekdoten.

Herr Mehta, über 80 CDs wird die Sony-Box umfassen. Was ist das für ein Gefühl?

Das wird eine Überraschung für mich. Ich wusste gar nicht, dass ich so viele Aufnahmen gemacht habe. Und da fehlen ja noch viele, für die Decca habe ich bis 1977 jedes Jahr drei bis vier Platten gemacht. Das erfüllt mich schon ein bisschen mit Stolz. Aber ich habe die Platten eigentlich nie gehört, wenn sie einmal fertig waren. Alle Aufnahmen mit Decca und anfangs mit CBS waren zweispurig, erst später haben wir mehr Spuren benutzt. Das heißt, die Balance, die Sie hören, ist meine, nicht die des Tonmeisters. Mach hier mal mehr Horn, hier mehr Bässe – das gab es damals nicht.

Sie sind froh, dass Sie die Chance hatten, Aufnahmen zu machen?

Am Anfang wollte ich nicht. Ich habe Decca gesagt, ich bin noch nicht bereit. Ich habe 1962 angefangen in Los Angeles, aber meine erste Platte erst 1967 gemacht. Solti hat damals in Chicago angefangen mit Mahler, ich mit Strauss. CBS wollte keinen Schubert oder Mozart, weil man in Amerika das ganze Orchester bezahlen musste. Und sie sagten: Wenn wir schon alle Musiker bezahlen müssen, sollen auch alle spielen.

Ist es wichtig, dass Dirigenten Aufnahmen machen können?

Ja, am Anfang war das sehr wichtig für mich.

Heute machen Dirigenten Karriere ohne Aufnahmen.

Ich hab meine Welt, ich weiß nicht, was die anderen tun. Ich war zwei Jahre außer Betrieb, ich hatte zwei große Operationen. Jetzt fängt mein Leben wieder an. Ich dirigiere in Berlin, in München, in Wien – da ist mein Cousin Bejun der Solist.

War es hart, nicht mehr zu dirigieren?

Ja, schon, aber ich habe mich immer mit Musik beschäftigt, das geht nicht anders. Und viele meiner Kollegen haben mich besucht. Aber heute hatte ich einen ganz wichtigen Vormittag. Ich mache jetzt in Mailand die große c-Moll-Messe von Mozart, zum ersten Mal. Und heute morgen war ich in der Staatsbibliothek und hatte das Autograph in der Hand. Mozarts Handschrift! Man kann daraus dirigieren, es ist so klar. Und man hat mir auch die Jupiter-Sinfonie gezeigt. Da gibt es kaum eine Korrektur – als ob er überhaupt nicht nachgedacht hat, sondern einfach aufgeschrieben. Die letzte Doppelfuge der c-Moll-Messe ist im Autograph nur für Orchester geschrieben, die Singstimme fehlt. Die hat er sicher später irgendwo geschrieben. Das Autograph war in Krakau bis 1972, hat mir die Dame erzählt, Honecker hat sie dann zurückgebracht. Vom „Figaro“ sind zwei Akte hier, zwei Akte in Krakau. In Wien hat mich mein Professor Nowak manchmal in die Albertina mitgenommen und mir Brahms’ Haydn-Variationen oder das Mozart-Requiem gezeigt. Deshalb mache ich die Achte Bruckner in seiner Version. Die Partitur der Neunten Mahler hab ich von Hans Swarowsky, die hatte er wiederum von Webern bekommen. Ich dirigiere im Konzert aus dieser Partitur von Swarowsky mit Anmerkungen von Webern. Da lerne ich auch im Konzert immer noch.

Aber Sie kennen die Werke doch auswendig.

Aber man entdeckt immer etwas Neues. Auch auf einem Bild von Boticelli finden Sie immer noch irgendeine Blume, die Sie noch nie gesehen haben.

Sind Sie manchmal zufrieden nach einem Konzert?

Eine Aufführung ist die Probe fürs nächste Mal. Besonders in der Oper. Immer. Gestern haben wir den „Otello“ aufgeführt, übermorgen habe ich wieder eine Probe mit den Sängern, um zu korrigieren, was falsch war. Es war ein riesiger Erfolg gestern – aber ich weiß, was nicht gestimmt hat. (lacht)

Ist das der Grund, warum Sie immer weiter dirigieren?

Es muss immer weitergehen. Ich habe jetzt schon Konzerte für 2021 im Kalender, mit den Wiener Philharmonikern und den Berlinern. Beide habe ich seit 1961 jedes Jahr dirigiert. Das geb ich nicht auf, und sie auch nicht.

Warum werden Sie das Israel Philharmonic Orchestra nicht weiterdirigieren?

Die will ich nicht als Gast dirigieren. Wir haben jetzt genau 50 Jahre und über 4.000 gemeinsame Konzerte hinter uns, jetzt muss mein Nachfolger Lahav Shani weitermachen – er ist sehr talentiert. Ich habe gestern hier mit ihm gesessen und ihm gesagt, er muss Wagner einführen – was mir nicht gelungen ist. Ich hab es nicht oft versucht, weil es noch Leute gibt, die mit den Ziffern auf dem Arm leben, und die sind sehr emotional.

Heute sagen die meisten Dirigenten, es sei auch fürs Orchester gut, wenn alle zehn Jahre ein neuer Chefdirigent kommt.

Jeder hat seine eigene Philosophie. Ich bin nach 16 Jahren in Los Angeles nach New York gegangen – ich wollte einfach nach New York. Es hat mir sehr leid getan, Los Angeles zu verlassen, ich habe versucht, dort den Wiener Klang aufzubauen. In Wien hab ich Klang gelernt, und das ist bis heute das Ideal, das ich in mir habe. Ich kam mit 18 aus Bombay nach Wien. Was hatte ich in Bombay? Goar nix. (lacht) Wir hatten zu Hause eine große Plattensammlung, da habe ich von Toscanini, Furtwängler, Kussewitzky usw. die richtigen Tempi gehört, aber die Platten hatten keinen Klang. Als ich in Wien zum ersten Mal die Philharmoniker im Musikverein gehört habe, sind mir die Ohren explodiert. Diesen Klang habe ich noch immer in meinem Herzen.

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