Meisterwerk der Folkmusik aus den 70er-Jahren: „Blue" feiert, frisch wie am ersten Tag, sein 50-jähriges Jubiläum. Warum fasziniert dieses vierte, von der Kanadierin als musikalisches Tagebuch konzipierte Album immer noch Songwriter auf der ganzen Welt?

Filmstudenten wird oft empfohlen, Orson Welles' Citizen Kane genau anzuschauen, angehenden Schriftstellern wird die Lektüre von Thomas Manns Buddenbrooks ans Herz gelegt und zukünftige Malern sollten Van Goghs Sonnenblumen eingehend betrachten. Für Nachwuchs-Singer/Songwriter ist Blue von Joni Mitchell ein absolutes Muss. Noch 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung am 22. Juni 1971 ist das vierte Album der Kanadierin ein Grundstein des introspektiven Folks. Meine Holzgitarre, meine reine unverfälschte Stimme, meine Vergangenheit, meine Verpflichtungen, meine Liebe, meine Freude, meine Trauer, meine Leidenschaft, mein Schmerz – sonst nichts. Das Material ist zeitlos, unvergänglich und findet auch heute noch Eingang in Tausende von Bekenntnis-Alben. Doch hinter der Fassade von Einfachheit und mit den sich wiederholenden Zutaten hat Joni Mitchell ein Werk von unvergleichlicher Anmut und Tiefe geschaffen. Ein Wendepunkt in der Karriere der damals 28-jährigen Musikerin.

Das Album Ladies of the Canyon, welches ein Jahr zuvor, im Frühjahr 1970, veröffentlicht worden war, hatte ihre Aura und ihre Popularität gesteigert. In ihrem dritten Album verwandelte sich ihre Folkmusik und erhielt mit reichhaltigen Texten und subtilen Arrangements eine neue Dimension. Joni Mitchell strahlte mit ihrer beispiellosen Subtilität wie ein besonderer Stern am Crosby, Stills, Nash & Young-Firmament, mit dem sie heute noch sehr verbunden ist. Die vier Musketiere der kalifornischen Laurel-Canyon-Szene haben übrigens wenig später Mitchells Song Woodstock gecovert. Willy nimmt auf Graham William Nash Bezug, mit dem sie eine Beziehung hatte. Und die Stimmen des Quartetts begleiten The Circle Game, womit dieses zunehmend intime Album Ladies of the Canyon endet.

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