Sie war eine der großen Sängerinnen des Jazz und lieh der Bürgerrechtsbewegung ihre Stimme: Abbey Lincoln, vor 90 Jahren geboren, vor zehn Jahren verstorben. Doppelter Anlass für eine Würdigung der Künstlerin, die ein Stück Jazzgeschichte schrieb.

Sie galt als eine der zornigen Stimmen des schwarzen Amerika und machte sich damit nicht nur Freunde. „Ich unterscheide mich von vielen Sängerinnen“, so Abbey Lincoln. „Ich schreibe selbst Songs, und ich beziehe Stellung – was manche Leute stört. Ich beobachte, was um mich herum geschieht, und kann das nicht kommentarlos hinnehmen.“ Just auf dem ersten künstlerischen Höhepunkt ihrer Laufbahn, es war die Zeit der Bürgerrechtsbewegung, ließen Plattenfirmen sie links liegen. „Bei unserer Musik aus den 1960er-Jahren ging es weniger um kommerzielle Aspekte als um den menschlichen Spirit. Er ist es, worauf ich mich beim Spielen konzentriere, und den Musikern geht es genauso. Die Industrie ist interessiert, Geld zu machen, deshalb mögen sie das nicht sonderlich.“ Doch Lincoln hatte Talente, auf die sie zurückgreifen konnte, allen voran die Schauspielerei, die zugleich ihren Rang als Songinterpretin begründete: „Ich sehe mich als Schauspielerin und Sängerin. Ich bringe Charaktere auf die Bühne.“ Mit ihrer warmen, tiefen Altstimme verfügte sie zwar nicht über einen großen Tonumfang, dafür verstand sie es, ihre Lieder zu inszenieren, ihnen Persönlichkeit zu verleihen, starke Figuren zu verkörpern – nicht selten Spiegelbilder ihrer eigenen Persönlichkeit. „Sie lebt es,“ bescheinigte ihr Charles Mingus, „jede Minute davon. So wie Billie.“ Gemeint war Billie Holiday, mit der sie oftmals verglichen wurde, von der sie auch deutlich beeinflusst war.

Dabei wurde ihr das Lied von der Karriere nicht an der Wiege gesungen. Am 6. August 1930 als Anna Marie Gaby Wooldrige in Chicago geboren, wuchs sie als drittjüngstes von zwölf Geschwistern auf einer Farm in Michigan auf, in ärmlichen Verhältnissen, aber ein Klavier war im Haus: „Ich spielte als Einzige. Mit fünf Jahren fing ich damit an, und ich glaube, ich tat es, um allein sein zu können. Wir hatten keine eigenen Zimmer, aber wenn ich am Klavier saß, war ich allein. Niemand sagte, ich solle aufhören. Mein Spiel ging ihnen wohl nie auf die Nerven.“ Freunde gaben ihr Platten von Billie Holiday und Coleman Hawkins, bald sang sie am Klavier, trat in der Highschool oder auch im Keller einer Kirche auf (Gage: fünf Dollar), mit 19 Jahren zog sie nach Kalifornien, um Profi zu werden. In den Clubs in und um L. A. begann die Zeit ihrer Namensänderungen: Anfang er 1950er-Jahre sang sie als „Anna Marie“, dann „Gaby Lee“, schließlich nannte sie sich Abbey Lincoln, nach Präsident Abraham Lincoln, dem Beendiger der Sklaverei. Für die Rassenfrage interessierte sie sich schon, immerhin hatte sie Alain Lockes 1933 erschienenes Standardwerk „The Negro in America“ gelesen. 1956 erschien ihr Debütalbum „Affair … a Story of a Girl in Love“ – bei einem Poplabel mit Arrangements von Benny Carter, Marty Paich und Jack Montrose. Mit ihrer Stimme und ihrem Sexappeal hatte sie als Popsängerin durchaus Erfolg.

Melden Sie sich kostenlos an, um weiterzulesen

Künstler