Klangkunst, ein Begriff der ja eigentlich schöne Assoziationen von der Kunst der Klänge wecken könnte ist für viele eher abschreckend. Zu sperrig, schräg und rätselhaft, etwas für die Happy Few der Eingeweihten heißt es oft. Doch es kann sich lohnen, Vorurteile aufzugeben und den eigenen Ohren etwas Ungewohntes zuzutrauen.

Töne sollte man respektieren, anstatt sie zu versklaven” dieses Zitat von John Cage gibt das Motto vor für diesen Artikel, der vielleicht nur in einem Streaming Dienst wie Qobuz erscheinen kann. Denn hier werden die Klänge respektiert, weil wir sie in bester Qualität genießen können. Nur so ist es möglich ihre Vielschichtigkeit zu erleben und einen Zugang zu ungewohnten Höreindrücken zu finden, die man gemeinhin als Klangkunst bezeichnet. In diesem Artikel finden sich Klänge, die Lust machen können, mit befreiten Ohren spielerisch auf die Suche nach bisher Unerhörtem zu gehen. Die Qobuz Bibliothek bietet dabei das Spielfeld. Viele Bereiche der Klangkunst müssen unerwähnt bleiben, weil sie sich beispielsweise installativ in realen Räumen oder als akustische Kunst im Internet abspielen.

Beginnen wir mit einem Beispiel: Improvvisazione Per Cinque (Waves) der Gruppe Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza. Hier hört man fünf Komponisten dabei zu, wie sie gemeinsam improvisieren. Als Strukturelement ist erst einmal nur auffällig, dass es immer wieder unvermittelte Pausen gibt. Pausen, in denen unsere auf Aufmerksamkeitsreize gepolten Ohren sich leicht ausklinken könnten.

Bei der Frage, inwieweit das Musik sei, sind sich viele Menschen sehr schnell einig. Vielleicht zu schnell. Denn die überwiegende Ablehnung von Klangereignissen, die sich außerhalb bekannter Muster bewegen, erstreckt sich nicht nur auf Experimente, sondern ist ständiger Begleiter des zeitgenössischen Musikschaffens. Und dieses Schaffen steht in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis: Es spielt - anders als zum Beispiel die zeitgenössische bildende Kunst - in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Und es ist doch da! Wenn auch für viele schwer greifbar. Wenn man sich darauf einlässt, in den verborgenen Winkeln von Qobuz auf die Suche nach klanglichen Ausnahmeerscheinungen zu gehen, wird man dann fündig, wenn man selbstbewusst hört. Denn in der Klangkunst sind die Hörerinnen und Hörer an diesem Entfaltungsakt wesentlich mitbeteiligt. Nur durch aktives, suchendes Hören erschließen sich musikalische Strukturen in Klanggebilden, die nicht musikalisch vorstrukturiert sind, sondern auf Zufallsoperationen beruhen.

Der Meister des Zufalls ist sicherlich John Cage, dessen Sinn für die vielen Facetten des Hörbaren zahllose Musikerpersönlichkeiten angeregt hat die Kräfte des Zufalles und der Natur der Klänge walten zu lassen und sich der Kunst der Willenlosigkeit zu öffnen.

Cage war es auch, der die Herausgehobenheit der Künstlerpersönlichkeit in Frage stellte und die Grenzen der Kunstgattungen aufhob. Mithin ein auch noch heute gültiges Role-model für Künstler und Künstlerinnen zwischen allen Stühlen, mit großer Lust am Rausch des Rauschens und dem bisher Ungehörten.

John Cage:Musikalisch gesehen, kann alles in ein Ohr eindringen, das für alle Töne offen ist. Nicht nur für Musik, die wir schön finden, sondern auch durch Musik, die das Leben selbst ist.”

Und Musik, die das Leben selbst ist, findet sich dort, wo das Leben ist, also überall. Zum Beispiel auf dem Schrottplatz.

Ferdinand Försch: “Das Beste ist, sich auf den Schrottberg zu setzen und die Dinge einfach mal klingen zu lassen. Rauszufinden, was macht das mit mir und das möchte ich damit machen.”

Über 30 Jahre lang baut Försch Klangskulpturen, Klanginstallationen und über 100 neuentwickelte Instrumente. 1997 gründet er in Hamburg das KlangHaus als Ort für musikalische Experimente und die Vermittlung der Hörkunst.

Ferdinand Försch: “Ich komme vom klassischen Musikstudium: Schlagzeug, Klavier, Komposition. Und während meiner Studienzeit hab’ ich meine Vortragsabende als Komponist schon mit sehr experimentellen Klangkörpern, in den 70ern, bewerkstelligt. Waschmaschinen, Kreissägen, habe ich auf die Bühne gebracht und dafür meine Musik komponiert. Ich hatte einfach das Gefühl, als Schlagzeuger baue ich mir ein Set zusammen aus verschiedenen Klangfarben, ich hör mal auf meine Umwelt.”

Auf die Umwelt zu hören und ihr Klänge abzutrotzen oder sie mit neuen Klängen anzureichern, darum geht es in der Klangkunst. Klangschöpfungen mit neuartigen, selbstgebauten Instrumenten sind auch für Gero König die Mittel der Wahl.

Gero König: “Ich habe ja als ausgebildeter Pianist nach meinen Kompositionsstudien lange mit dem Klavier gearbeitet und bin da an meine Grenzen gestoßen. In dem ich gemerkt habe, dass alles was ich an dem Instrument mache schon wieder in bestimmte Kategorien, in bestimmte vorgefertigte Formen hinein läuft. Und dass es sehr schwierig ist aus dieser Vorprägung herauszukommen.”

König arbeitet mit einem selbstentwickelten Instrument, das er Chordeograph nennt und das es ermöglicht, eine “kontinuierliche Modulation von breitbandigem Rauschen bis zum Unisono zu erreichen”.

Gero König: “Ein Kriterium ist es für mich, den Betrachter in die eigene Art, wie er etwas hört, zu führen. D.h., dass wir im Moment des Hörens auch gewahr werden, dass wir bestimmte Prägungen zu hören haben. Und dass es gewisse Klang Situationen gibt, in denen unsere eigenen Muster auf die Probe gestellt und auch aufgebrochen werden. Wo wir herausgefordert sind, uns dessen gewahr zu werden, wie wir eigentlich hören. Dass wir anfangen uns mit unserem Hören auseinander zu setzen. Dass das Hören wieder zu einer kreativen und aktiven Tätigkeit wird. Diese Grenzen auszuloten und auch zu überwinden, das ist für mich eine ganz starke Motivation, Schritt für Schritt ein neues Instrument zu konstruieren und dann auch zu bauen.”

Grenzen auszutesten und ihre Überschreitung musikalisch produktiv zu machen, ist auch Antrieb des ausgebildeten Sängers Alex Novitz. Er benutzt seine Stimme als Material und gestaltet sie in seinen Performances live um.

Alex Novitz
Alex Novitz © 
Horst Konietzny

Alex Novitz: “Einer der Kernpunkte meiner Performance ist ja, dass ich die eigene Stimme sample und mit dem Material dann weiterspiele. Man kann in unglaublich ferne Klangwelten eindringen, obwohl man nur das Material der Stimme benutzt........ es hat den positiven Effekt, dass die Stimme in dem Moment wo ich mich im Raum bewege, wieder frei wird.”

Alex Novitz
Alex Novitz © 
Horst Konietzny

Vielleicht ist das das zentrale Stichwort, das als gemeinsamer Nenner all den unterschiedlichen Entwicklungen musikalischer Unikate gemeinsam ist: frei werden. Sich frei machen von akademischen Prägungen. Und ein Weg zu dieser Befreiung funktioniert über die Begegnung mit der Eigendynamik von Fremdkörpern... Die Objekte funktionieren als Gegenüber mit eigenem Charakter, das sich dem Wollen des Instrumentalisten gegenüber durchaus sperrig zeigen kann.

Die Frage nach der Möglichkeit von so etwas wie Freiheit in der Musik, scheint zentral, ist aber äußerst schwierig zu beantworten. Erzeugt ein sozusagen freigelassener Musiker eine freiere Musik? Bedeutet die Notwendigkeit, an komplizierten Notenstrukturen zu kleben, automatisch unfreiere Musik?

Peter Jacquemin: “In der Musik muss es immer das Gleiche sein und muss so viel wie möglich gespielt werden und dann ist es wertvoll. Was wir tun, ist, wir machen Musik, so wie man eigentlich bildende Kunst macht. Das Einmalige und das nicht Wiederholbare ist die Qualität.”

Es ist diese fragile Qualität einmaliger Musik, die sie so wertvoll machen kann. Auch für eine Gesellschaft, die im Begriff ist, sich das genaue Zuhören abzugewöhnen und die Empfindsamkeit für die Zwischentöne vielleicht verliert.

Allerdings braucht es Zeit, ein solches Verhältnis auf “Ohrenhöhe” aufzubauen. Zeit und Offenheit auf beiden Seiten. Die Betriebssysteme zeitgenössischer und experimenteller Musik zeichnen sich allerdings nicht unbedingt durch ein Interesse an potentiellen Hörern und Hörerinnen aus. Zu sehr scheint man sich selbst genug in den eigenen Zirkeln. Sei es der akademische Musikbetrieb, der elitär um sich selbst kreist oder seien es die Kreise der Happy Few, der Liebhaber des Freien und Experimentellen, die zwar mit offenen Ohren lauschen dabei aber weitgehend unter sich bleiben. - Aber auch das verlorene Publikum sollte sich Gedanken machen, ob es freiwillig weiter unter den eigenen Möglichkeiten bleiben möchte.

Denn überall kann unerwartete Musik spielen. Einfach mal lauschen. Und wenn’s aufs erste Mal nicht klappt, dann nochmal versuchen und mit dem Hören improvisieren.

Eintauchen in die Klänge egal woher sie kommen oder wohin sie verschwinden. Mark André: ...zum staub sollst du zuruckkehren...

Für Musiker und Musikerinnen bedeutet dies, sich neugierig auf die Suche nach dem klingenden Leben zu machen und für die Zuhörenden heißt es, ein wenig Mut zusammenzunehmen und sich auf Neues einzulassen.

Gero König: “Meine Vision ist, dass die Menschen in einen Klangraum hineingeraten. Darin zu navigieren in einem großen dynamischen Feld, in das sie sich hineinbegeben. Und dass sie da anfangen, sich selbst zu verorten und hineinzuhören. Und dazu braucht man Mut.”

Ferdinand Försch
Ferdinand Försch© Horst Konietzny

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