PJ Harvey, eine britische Musik-Ikone, hat das Publikum über drei Jahrzehnte lang mit ihrer wilden, intensiven und ernsten Art in ihren Bann gezogen. Schon in ihren frühen Tagen etablierte sie sich als eine Kraft, mit der man rechnen muss und erntete Vergleiche mit Künstlern und Künstlerinnen wie Kurt Cobain, Patti Smith und Nick Cave. Ihre ersten beiden Alben, insbesondere ihr Debüt Dry sind nach wie vor zeitlose Klassiker, die eine minimalistische Ästhetik verkörpern, die nicht einen Tag gealtert ist.
Doch PJ Harveys künstlerische Reise war damit noch nicht zu Ende. Da sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen wollte, wandte sie sich auf ihrem dritten Album To Bring You My Love Arrangements zu, die abwechslungsreicher und ausgefeilter waren. Dies markierte einen Wendepunkt, da sie Neues erkundete, mit ihrer Stimme spielte und sich zu einer Post-Grunge-Kate Bush entwickelte. Während der gesamten 2000er Jahre schuf sie ein sehr persönliches Werk, das bei ihrer treuen Fangemeinde großen Anklang fand.
In den 2010er Jahren wurde PJ Harvey weniger produktiv, aber nicht weniger wertvoll. Nach ihrem Album The Hope Six Demolition Project hatte sie den traditionellen Zyklus von Album, Promotion und Tournee satt. Stattdessen widmete sie sich dem Komponieren von Musik für Film- und Fernseh-Soundtracks, der Veröffentlichung von Gedichten und der großzügigen Wiederveröffentlichung ihrer Diskografie, einschließlich der unverzichtbaren Demo-Versionen ihrer Alben.
Nach einer Pause meldete sich PJ Harvey im Sommer 2023 mit ihrem neuesten Album I Inside the Old Year Dying triumphal zurück. Mit Hilfe ihrer langjährigen Mitstreiter John Parish und Flood kehrt sie zu ihren Wurzeln zurück und schafft den Spagat, ihre Grundlagen zu ehren und sich gleichzeitig weiterzuentwickeln. Diese Mischung aus Nostalgie und Fortschritt ist zu einem konstanten Thema in PJ Harveys abenteuerlicher Karriere geworden.
Interessanterweise ist ihr zehntes Studioalbum eng mit ihrem veröffentlichten Folklore-Gedicht Olam verbunden, obwohl PJ Harvey zuerst nicht wollte, dass ihre Texte als Poesie verstanden werden. Das Album spielt in einer magisch-realistischen Version von Dorset, der zerklüfteten englischen Küste, die für ihre rebellische Geschichte bekannt ist, und erzählt die Geschichte der neunjährigen Ira-Abel Rawles, die in dem Dorf Underwhelem aufwächst. Die Lieder, die den Kalenderzyklus des Gedichts widerspiegeln, schildern das letzte Jahr von Ira-Abels Unschuld in einer Welt voller Schafe, altmodischer Pubs und Eigenheiten.
Harvey verwebt in ihren Texten gekonnt den dorsetischen Dialekt mit dem Englischen und singt oft aus der Perspektive eines jungen Mädchens. Das Album erforscht Themen wie Liebe, Suche und die Intensität der ersten Liebe, die von einem bittersüßen Gefühl des Verlusts begleitet wird. Es stellt bezaubernde Charaktere wie Orlam, einen Geist, und Wyman-Elvis vor, einen geisterhaften Soldaten, der sowohl eine christusähnliche Figur als auch den King selbst, Elvis Presley, darstellt.
Die Songs auf I Inside the Old Year Dying zeigen Harveys stimmliche Vielseitigkeit, die von einer gehauchten Chanteuse bis hin zu ihrem vertrauten und kraftvollen Vortrag reicht. Vor allem der Titelsong erinnert mit seiner nervösen und kantigen Energie an ihren klassischen Stil. Harvey will mit diesem Album die Vorfreude auf das Wiedererscheinen des Erlösers einfangen, der für Liebe, Verwandlung und den Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein steht.
Wie ein Großteil von PJ Harveys Werk ist auch dieses Album beschwörend, schattenhaft und gelegentlich unheimlich. Es zeigt ihre Kunstfertigkeit und ihre Fähigkeit, eine Welt zu erschaffen, die vielleicht nicht jedermanns Sache ist, aber zweifellos einen bleibenden Eindruck bei denjenigen hinterlässt, die sich in ihre Tiefen vertiefen. Mit I Inside the Old Year Dying verschiebt PJ Harvey weiterhin musikalische Grenzen und beweist einmal mehr, dass sie eine beständige Abenteurerin in der sich ständig weiterentwickelnden Musiklandschaft ist.
