Mit seiner jahrhunderte­alten Tradition gilt Flamenco als der Blues Spaniens. Doch erst in den 1950er-Jahren entdeckten die ersten Jazzer die Gemeinsamkeiten zu ihren eigenen Wurzeln. Grandios zum Blühen brachte die Synthese beider Genres der amerikanische Tasten­star Chick Corea, der am 9. Februar 2021 starb. Geschichte einer musikalischen Annäherung.

Er war einer der bedeutendsten Pianisten des Jazz, der am 12. Juni 1941 geborene Armando AnthonyChickCorea. Als virtuoser Tastenstar war er in vielen Stilen zu Hause, von Klassik über Fusion bis Free Jazz. Doch eines seiner wichtigsten Verdienste dürfte sein, dass er als Abkömmling süditalienischer Einwanderer Jazz und Flamenco so überzeugend in Einklang brachte wie niemand zuvor. Denn die Geschichte des „Flamenco-Jazz“ beginnt mit einem unerwarteten Protagonisten – und mit Kastagnetten.

Deren schönste Definition, die mir je zu Ohren kam, lautet „spanische Wäscheklammern“. Doch selbst denen gelang es bei der Einspielung des ersten Jazz Flamenco genannten Albums im Juni 1956 in Madrid nicht, beide Genres zu verbinden. Dabei war der Vibrafonist Lionel Hampton voller Enthusiasmus, nachdem er einige spanische Musiker live erlebt hatte. „Da war eine Puppe dabei, María Angélica, eine der großen spanischen Flamenco-Künstlerinnen. Ich sagte mir: ,Mann, die musst du mit der Band zusammenbringen.‘ Also taten wir das.“ Doch obwohl Titel wie The Bullfighter From Madrid oder Hamp’s Jazz Flamenco authentisches Flair suggerieren, sind sie nur kraftvoll swingende Big-Band-Nummern mit exotischem Touch. Wobei die hinreißenden Kastagnetten-Akzentuierungen von María Angélica klingen, als sei ein hyperaktiver Stepptänzer am Werk. Kein Wunder, dass Jazzautor Marc Meyers diese Hampton-LP (mit allerersten Aufnahmen des katalanischen Jazzpianisten Tete Montoliu) als „eines der seltsamsten und interessantesten Alben in seiner Diskografie“ bezeichnet.

Das nächste Mal tauchen Flamenco-Einflüsse dann auf dem 1957 aufgenommenen, aber erst 1962 veröffentlichten und eigentlich eher mexikanisch inspirierten Album Tijuana Moods von Charles Mingus auf. Und zwar bei Ysabel’s Table Dance, das mit einem Kastagnetten-Muster im 4/4-Takt beginnt. „Mingus schließt sich dann an und spielt eine Basslinie, die ein phrygisches harmonisches Klischee betont, das aus den letzten drei Akkorden der andalusischen Kadenz besteht. Interessant an diesem Bass-Ostinato ist, dass Mingus es durch Anschlagen der Saiten seines Instruments ausführt und so die Rasgueo-Spieltechnik der Flamenco-Gitarre imitiert“, erklärt Musikwissenschaftler Luis Clemente. Dies wurde erst Jahrzehnte später von spanischen Bassisten aufgegriffen und macht die Bedeutung dieser im weiteren Verlauf free-jazzig auflodernden Mingus-Nummer aus.

Zu Recht wies der aus Andalusien stammende Pianist und Jazz-Educator Sergio Pamies 2016 darauf hin, dass auch Klarinettist Tony Scott ein für den frühen „Jazz-Flamenco“ wichtiges Statement lieferte. Und zwar 1959 im Duo mit dem als Juan Sastre firmierenden amerikanischen (!) Flamenco-Gitarristen John Schneider auf dem Album Dedications, wo sie mit Lament To Manolete dem legendären, 1947 in der Arena von Linares verstorbenen Stierkämpfer Manolete ein grandioses Denkmal setzten. Scottspielt einige Rubato-Phrasen, wobei er die charakteristischen Gesten der spanischen Folkloremusik nachahmt und dem Gitarristen zwischen den Klarinetten-Statements Raum für seine Falsetas (Anm.: Gitarren-Parts zwischen den Versen der Sänger) lässt“, so Pamies, der betont: „Man muss Tony Scott zugutehalten, dass er noch vor Pedro Iturralde einen Flamenco-Gitarristen einbezog und ein gelungenes Zusammenspiel zwischen beiden Musikern herstellte.

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