Kamasi Washington verwirrt und verzaubert über die Welt des Jazz hinaus. Der charismatische Saxofonist aus Los Angeles, der mit Kendrick Lamar und Snoop Dogg zusammenarbeitet, bringt aber vor allem als Bandleader des West Coast Get Down-Kollektivs stürmischen Wind in die aktuelle Jazz-Szene.

Über Kamasi Washingtons Leben gibt es viel zu sagen, sowohl über das, was früher war als auch über das, was danach kam. Die Autobiographie von Malcolm X, die Begegnungen mit Snoop Dogg, mit dem Trompeter und Dirigenten Gerald Wilson und mit Kendrick Lamar, und es gibt noch zig andere Namen. Es gibt vor allem die Zeit vor und nach The Epic. Diesem perfekt gewählten Titel verdankt Kamasi vor allem, dass er Kamasi geworden ist. Mit dem – bei Kritik und Publikum – gefeierten Welterfolg dieses Dreifachalbums – ein seltenes und gewagtes Format – hat sich das Leben des kalifornischen Saxofonisten komplett verändert. Es erschien 2015 nicht bei einem Jazz-Label, sondern via Brainfeeder, Label des Produzenten Flying Lotus, der eher auf abstrakten Hip-Hop und unorthodoxen Elektro spezialisiert ist. Plötzlich lag dieser Name Kamasi Washington in vieler Musikliebhaber Munde, die eigentlich mit der Welt des Jazz bis dahin nicht sehr viel am Hut hatten. Und das, obwohl es auf seinem abenteuerlichen Epic nahezu drei Stunden alles andere als liebliche Musik zu hören gibt. Bis dahin waren es nur gewisse Jazz-Junkies im Endstadium, die diesen gut 30 Jahre alten, charismatischen Schrank kannten, den sie bei seinen Streifzügen begleiteten, und der bei Kendrick Lamars berühmtem To Pimp A Butterfly mitgewirkt hatte. Wie kam es zu diesem Dreifachalbum? Und wie kam es dazu, dass der Musiker sich dann mit so unterschiedlichen Künstlern messen konnte wie Lauryn Hill oder Herbie Hancock? Letzterer lud ihn sogar dazu ein, an den Aufnahme-Sessions für sein nächstes Album teilzunehmen.

Kamasi Washingtons Leben ist mit der Geschichte seiner Geburtsstadt eng verknüpft. Los Angeles. Genauer gesagt Inglewood - ein pulsierendes, von Gangs geplagtes Stadtviertel in South Central (Crips gegen Bloods) - wo es zwischen 1985 und 1995 am gefährlichsten war. Die Schüsse zischten über den Haarschopf dieses Sohns einer Lehrerin und eines Musikers hinweg (sein Vater ist auch Saxofonist und begleitet ihn manchmal auf Tournee). Kamasi ist von dieser Stadtguerilla fasziniert, die Hunderten das Leben kosten sollte. „Damals bestand die mediatisierte afroamerikanische Kultur aus Rap, und gewalttätige Gangs gehörten dazu. Nur äußerst negative Sachen. Daneben schien mir der Jazz, der in dieser Zeit in mein Leben kam, ganz einfach etwas Klügeres zu sein. Ich war aber mit etwa neun Jahren auch in meiner finsteren Phase, und wollte selbst ein Gang-Mitglied, ein Krimineller werden …“.

Die Autobiographie von Malcolm X hält ihn davon ab, ominösen Machenschaften zu erliegen. Und als ihn einer seiner Cousins auf Lee Morgan und Art Blakey aufmerksam macht, beginnt Kamasi Jazz zu lernen, zu spielen und zu erleben, aber er wächst weiterhin von den Klängen des Hip-Hop, Soul und Funk umgeben heran… Wie bei zahlreichen Musikern seiner Generation sind auch bei ihm die stilistischen Grenzen mehr als durchlässig. Dank eines Förderprogramms für gute Schüler in armen Stadtvierteln wird er an verschiedene angesehene Schulen vermittelt. Ein Musiklehrer an der Locke High School in Watts, der jeden jungen Virtuosen von der Schule abholt und nach den Proben wieder nach Hause bringt, verschafft ihm einen Platz in einem Orchester für begabte Jugendliche. Alle, die zur aktuellen Szene in L.A. gehören, sind schon da! Alle Musiker des West Coast Get Down, dieses Kollektivs ohne richtigen Anführer, unter denen aber Kamasi Washington nach wie vor der berühmteste ist, gehören zu diesem Kreis: der Bassist Miles Mosley, der Schlagzeuger Tony Austin, die Pianisten Brandon Coleman und Cameron Graves, der Posaunist Ryan Porter und die Brüder Bruner, der Schlagzeuger Ronald sowie der Bassist Stephen, der nun als Thundercat weltweit bekannt ist…

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