Vor fünfzig Jahren veröffentlichten The Kinks „The Village Green Preservation Society“, ein zeitloses Album, das keiner Modeströmung entspricht. Ein Meisterwerk des Pop, um das Ewige England in einen Käfig zu sperren. Für bestimmte Leute handelt es sich um eine nahezu fortschrittsfeindliche Platte, aber sie zählt heute zu den einflussreichsten ihrer Zeit. Dies soll heißen, dass es auf der Welt nicht nur Lennon/McCartney und Jagger/Richards gibt…

Auf die immer gleiche Frage „eher Beatles oder doch lieber Stones?“ antworten ein paar Unverbesserliche: The Kinks! Obwohl die Band von Ray und Dave Davies nie so erfolgreich werden sollte wie die ihrer Rivalen, nicht einmal wie The Who, so gelten sie nach wie vor doch als eine der bedeutendsten und einflussreichsten Rockgruppen der sechziger Jahre. Die Davies-Davies schafften es genauso gut wie Lennon/McCartney und Jagger/Richards, sich in Frage zu stellen und damit eine stilistisch breite Palette vorzuweisen. The Kinks haben alles gemacht. Rock voller Rhythm’n’Blues, Blues, Garage Rock, Stade Rock, Elisabethan Rock, Country Music, klassischen Pop, Folk, Kabarett usw… Das Besondere an ihnen ist aber, dass sie unter allen Gruppen jener Zeit am ehesten als "British" zu bezeichnen sind. Was Stil, Komposition, Text und Referenzen betrifft, so handelt es sich um die größte englische Gruppe schlechthin. Eine, die mit ihrer Gedankenwelt die zukünftigen Generationen beeinflussen sollte. Denn ohne The Kinks würde es weder Jam noch XTC, Madness, Smiths, Blur, Pulp, Oasis noch Divine Comedy geben, und viele andere genauso wenig…

Mitten in ihrer, von Höhen und Tiefen gekennzeichneten Karriere funkelt ein ganz besonderer Diamant: The Kinks are the Village Green Preservation Society. Das im November 1968 bei Pye Records erschienene Album war in den zwei Jahren zuvor entstanden und stellt eine richtige Popsongperlenkette dar. Stücke aus einer anderen Zeit. Sie stehen in eindeutigem Gegensatz zur Popmusik dieses auslaufenden Jahrzehnts, wenn die meisten Gruppen und ihre langhaarigen Musiker ganze Lautsprecheranlagen aufbauen und sich rückhaltlos ihren Soloeinlagen hingeben. Die königlichen Kinks machen genau das Gegenteil. Während die Beatles die Revolution anheizen und die Stones den Street Fighting Man feiern, ziehen sie es vor, leiser zu werden und uns etwas über Heuschrecken und Erdbeermarmelade ins Ohr zu flüstern. Als dieses sechste Album erscheint, ist Ray gerade mal 24 Jahre alt (und Dave sogar noch drei Jahre jünger), aber als Songwriter hat er bereits einiges zu bieten. Es ist vor allem so, dass Village Green nicht zufällig gerade zum richtigen Zeitpunkt kommt. In ihrer erst vierjährigen Existenz hat die Davies-Bande trotz einer äußerst komplizierten Zusammenarbeit schon alles Mögliche hinter sich. Unterschiedlicher könnten Dave und Ray nicht sein. Ersterer, ein besessener, schöner Jüngling, hat seine Gitarren im Griff und geht mit grenzenloser Spottlust an die Sache. Der verschlossene, nahezu introvertierte Ray steht mit seinen Texten hinter dem Mikrofon. Die beiden stammen aus Muswell Hill im Norden Londons und steigen anfangs in die Fußstapfen ihrer älteren Vorgänger Beatles und Stones, deren Macken sie mehr oder weniger kopieren. Sehr bald und dank eines einzigen Titels, der im August 1964 erscheint, steuern sie mit einem Uppercut gegen ihre platzraubenden Kollegen und erfinden den Garage Rock: You Really Got Me. Dieses in erster Linie von Shel Talmy produzierte, zwei Minuten vierzehn Sekunden lange Meisterwerk mit einem noch nie gehörten, höchst wirksamen Gitarrensound stellt das ganze Swinging London auf den Kopf. Mit Raffinesse und Fingerspitzengefühl jedoch setzt Ray Davies im Laufe der darauffolgenden Wochen und Monate seinen Stil durch und schlägt dabei einen Weg ein, der die anderen nicht mehr interessiert. Mit den herrlichen A Well Respected Man und Dedicated Follower of Fashion schreibt Ray dann Texte wie nie zuvor, um wie kein anderer mit viel Taktgefühl die britische Gesellschaft zu karikieren. Aber auch in der Musik steht etwas Gewaltiges wie You Really Got Me nicht mehr auf der Tagesordnung… Songs wie diese wahrhaftigen, musikalisch untermalten Gedichte Sunny Afternoon und Waterloo Sunset bilden einen richtigen Höhepunkt und verewigen dann für alle Zeiten diese Art von Humor und Bitterkeit, Melancholie und Nostalgie, die die Kinks so originell macht…

Mit diesem neuen Stil entsteht gleichzeitig ein neues Format: das Album. Die Rockgruppen verzichten immer mehr auf Singles und stellen sich von nun an ihre Werke wie Romane vor, mit Einleitung, Hauptteil und Schluss. Mit ihrem vierten, im Oktober 1966 geborenen Baby, Face to Face, veröffentlichen The Kinks eine Art Konzeptalbum. Ray hatte sogar vor, mit Soundeffekten die Songs untereinander zu verknüpfen. Dem Label Pye gefiel aber die seiner Meinung nach unkommerzielle, ja sogar avantgardistische Initiative gar nicht… Im darauffolgenden Jahr setzt Something Else einen weiteren Meilenstein in Ray Davies‘ Welt mit seinen typisch englischen Überlegungen, einem Hauch Nostalgie und sogar einer gewissen Gefühlsduselei … Village Green Preservation Society ist dann der Gipfel seiner Handwerkskunst. Diese Platte ist von seiner Fixierung auf dieses Ewige England samt dazugehörigen Klischees nachhaltig geprägt. Und die explodierende Popmusik stellt dieses England so nach und nach in den Schatten. EInige sollten ihm die vergangenheitsbezogene, beinahe reaktionäre Herangehensweise noch vorwerfen, denn diese schönen Lebensabschnitte, diese herrlich bunten Titel aus der Feder des Londoner Songwriters gefallen ihnen nicht. Village Green Preservation Society mit seinen „auseinander gegangenen Freundschaften, Biergläsern, Motorradfahrern, bösen Hexen und fliegenden Katzen“, die er in seiner Autobiografie X-Ray aus dem Jahre 1994 beschreibt, sagt nicht, dass „es früher besser war“, sondern beschreibt mit vielen Details und Sarkasmus zwei einander gegenüber stehende Welten. Musikalisch gesehen machen The Kinks es genau andersrum als ihre Zeitgenossen, die sich auf Gitarrensoli, donnernde Rhythmen und vor allem auf den Psychedelic Sound eingeschworen haben. Also das genaue Gegenteil dieses sechsten, von ziemlich viel Folkmusik beseelten Albums, das Nicky Hopkins mit Cembalo und Mellotron nur noch schöner macht. Witzig ist es doch, bedenkt man, dass zur gleichen Zeit in Übersee ein anderer Künstler, der sich auch keinen Deut um Modeerscheinungen kümmert, wie The Kinks, einen Blick in den Rückspiegel wirft: Bob Dylan.

Melden Sie sich kostenlos an, um weiterzulesen