Seit 40 Jahren stellt David Rodigan nun die Stimme des Reggae im britischen Radio dar. Seit seinen Anfängen beim BBC Radio London im Jahre 1978 ist er mehr als nur ein einfacher Radiosprecher, denn der leidenschaftliche Musikfan mixt auch auf Clubs und Festivals und wurde zum Weltmeister des Soundclashs ernannt, einer jamaikanischen Tradition, bei der DJs („Selectors“ genannt) sich mit einer Platte nach der anderen in der Hand gegenübertreten. Dafür benutzen sie spezielle Versionen von Reggae-Hits, die „Dubplates“ genannt werden, und auf denen der Künstler den Text ändert, um den Namen des Selectors anzupreisen. David Rogan, der Anfang 2018 sein Buch My Life in Reggae herausgebracht hat, erzählt Qobuz von geheimen Songs, Jamaika-Reisen, seinem leidenschaftlichen Bühnenspiel und seiner „mystischen“ Begegnung mit Bob Marley.

Sie haben gerade Ihre Biographie My Life in Reggae herausgebracht, in welcher Sie von Ihrem mehr als 40 Jahre langen Parcours durch dieses Musikgenre erzählen. Was war Ihre ursprüngliche Ambition hinter diesem Werdegang?

Alles, was ich damals wollte, war Theaterschauspieler für die Royal Shakespeare Company zu werden. Ich habe ein Jahr lang Wirtschaft studiert, doch das war nichts für mich. Daraufhin habe ich dann drei Jahre lang Schauspielunterricht genommen. Ich bin dann wirklich per Zufall auf den Reggae gestoßen. Eine Freundin hat eine Bewerbung für eine Stelle als Radiosprecher einer Reggae-Sendung unter meinem Namen an den BBC geschickt. Während des Vorstellungsgesprächs sagte der Chef der Sendung, der selbst weiß war, zu mir: „Herr Rodigan, es tut mir leid, aber sie haben nicht die richtige Hautfarbe.“ Ich antwortete: „Ok, das ist wenigstens ehrlich.“ Er schickte meine Kassetten anschließend an antillische Produzenten, die ihm rieten, mich unabhängig von meiner Hautfarbe einzustellen. Ich denke, sie konnten meine Leidenschaft für diese Musik heraushören. Und so habe ich beim BBC Radio London angefangen, für die sonntägliche Mittags-Sendung. Ich war einfach nur glücklich darüber, meine Platten einmal pro Woche 90 Minuten lang mit anderen teilen zu können. Viel weiter ging das Ganze gar nicht. Ich war niemals auf der Suche nach dem großen Erfolg, sondern habe einfach nur die Möglichkeit genutzt, mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, so wie jeder, der sich für etwas begeistert, das auch tun würde. Manche arbeiten im Museum oder im Zoo, weil das eben ihre Leidenschaft ist. Genau so war das bei mir mit dem Reggae.

Auf der Bühne sind Sie sehr energisch. Sie reden, springen und tanzen die ganze Zeit. Ist das eine Art, Ihr letztendlich niemals so wirklich ausgeschöpftes schauspielerisches Talent auszuleben?

Es steckt sicherlich ein Teil an theatralischer Performance darin, aber das Ganze ist vor allem ein natürlicher Ausdruck meiner Leidenschaft zur Musik. Ich liebe die Musik so sehr, dass ich mich nicht vom Tanzen abhalten kann. Als ich als Jugendlicher in Clubs ging, wartete ich immer ungeduldig darauf, endlich mit dem Tanzen anfangen zu können. Ich liebe es, der Musik mit Bewegungen meines Körpers antworten zu können. Ich habe das seit meinen ganz jungen Jahren in mir drin. Doch als ich Ende der 70er Jahre als DJ anfing, war ich schüchtern, nervös und hektisch, ich murmelte nur ins Mikro hinein. Das war übrigens der Grund, warum ich den MC Papa Face engagiert habe und mich selbst damit begnügte, die Platten mit verstecktem Gesicht aufzulegen. Hinter seinem Table fühlt der DJ sich beschützt und außer von Zeit zu Zeit mal die Hände in die Luft zu schmeißen, konzentriert er sich auf seinen Mix und das ist völlig ausreichend. Ich selbst habe aber überhaupt kein Talent fürs Mixen, es bringt also nichts, so zu tun. Mit der Zeit habe ich dann an Vertrauen gewonnen und eines Tages habe ich diese durchsichtige Mauer zwischen dem DJ und dem Publikum dann durchbrochen. Ich dachte, dass ich eine Verbindung zu den Leuten herstellen könnte, indem ich mich ihnen annähere, und fing an, Dinge über die Platten, die ich auflegte, ins Mikro hinein zu erzählen. Auf diese Weise konnte ich die Geschichte des Reggae mit den Zuhörern teilen. Und nachdem ich einige Wörter über den Song und den Künstler gesagt hatte, spielte ich endlich die Platte ab. Und warum dann nicht auch gleich dazu tanzen? Und so fing das Ganze an. Ich bevorzuge es, meine Leidenschaft mit dem Publikum zu teilen und ein paar lächelnde Gesichter zu erzeugen, als ein Publikum zu sehen, das von weitem einem sehr ernsthaften DJ hinter seinem Pult zuschaut.

Im Januar 1979 sind Sie zum ersten Mal nach Jamaika gereist, um die Großen der Reggae-Szene kennenzulernen. Wie haben Sie es geschafft, sich dort einen Platz zu schaffen? Mussten Sie die Türen der Studios eintreten?

Nein, ich hatte einige Kontakte und vor allen Dingen eine schöne Visitenkarte der BBC. Ich war zu dem Zeitpunkt seit fünf Monaten professioneller Radio-DJ bei Radio London und der BBC öffnet einem überall in der Welt Türen. Und ich verspürte eine unerbittliche Entschlossenheit in mir. Ich bin zur Maxwell Avenue in Kingston gegangen, zu den Studios von Channel One und Harry J, dann auf die Orange Street zu King Tubby, wo ich außerdem King Jammy kennenlernte (der damals nur Prince Jammy hieß, Anm. d. Red.). Es war verrückt: Jeden Tag erlebte ich etwas Neues. Ich fragte nach dem Standort von Treasure Island (ein mythisches Label der Rocksteady-Periode der 60er Jahre, Anm. d. Red.) und ob mich jemand dorthin bringen könnte. Danach ging ich zum JBC, dem jamaikanischen Nationalradio, wo ich auf Errol Thompson traf (einem der größten Tontechniker des Genres, Anm. d. Red.). Mickey Dread war ebenfalls anwesend (Sänger, Produzent und Radiosprecher, Anm. d. Red.), zu diesem Zeitpunkt vom JBC suspendiert, wir diskutierten also unter Kollegen. Auf dem Dach traf ich dann Marcia Griffiths (Mitglied der I-Threes, die Choristen von Bob Marley & Wailers, Anm. d. Red.). Ein Kontakt brachte mich zum Nächsten, ohne dass ich irgendwie Druck ausgeübt hätte. Ich war einfach nur dazu entschlossen, soviel wie möglich von meiner Zeit dort mitzunehmen. Ich wollte keine Zeit damit verschwenden, unter einer Palme in der Sonne zu sitzen. Ich hatte Mo Claridge von Ballistic Records an meiner Seite, einem englischen Label und Vertreiber mit Spezialisierung auf Reggae-Musik, und Mo war dort, um Künstler unter Vertrag zu nehmen. Als dies bekannt wurde, wollten alle Musiker sich mit ihm treffen und ich habe die Gelegenheit natürlich genutzt. Ich habe legendäre Produzenten wie Bunny Lee (einer der Pioniere des Dubs, Anm. d. Red.) oder Henry “Junjo” Lawes (der Produzent, der Barrington Levy entdeckt hat, ndlr) kennengelernt, der mich in Kingston mit seinem BMW herumgefahren hat… Es sind so viele Dinge passiert während dieses Aufenthaltes.

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