Filmmusik funktioniert nur auf der Leinwand? Von wegen. Der Komponist Hans Zimmer beweist mit seinen Konzerten und einem Live-Album, dass seine Stücke für sich stehen können.

Wenn man eben noch mit den Menschenmassen in der belebten Einkaufsstraße Oxford Street konfrontiert war, erscheint einem das Soho Hotel in London wie eine Oase der Ruhe. Der Lift schwebt geräuschlos ein paar Etagen höher. Ein verwinkelter Flur führt zu einer lichtdurchfluteten Suite. Dort wartet Hans Zimmer, mittlerweile einer der erfolgreichsten Filmkomponisten Hollywoods. Sein Händedruck ist fest, seine Offenheit erfrischend. Weil der gebürtige Frankfurter, der den Großteil seiner Kindheit in Kronberg im Taunus verbrachte und heute zwischen London und Los Angeles pendelt, mittlerweile besser Englisch als Deutsch spricht, beantwortet er die meisten Fragen auf Englisch.

Mit ihm innerhalb von Sekunden ins Gespräch zu kommen, ist leicht. Der mittlerweile 65-Jährige redet gern und viel. Zum Beispiel über sein erstes Filmprojekt in den USA. 1988 holte der amerikanische Regisseur Barry Levinson ihn nach Hollywood – mit dem Auftrag, für sein Drama « Rain Main » den Soundtrack zu komponieren. « Im Grunde pendelte ich damals nur zwischen meinem Hotel und Barrys Büro », sagt Hans Zimmer. « Ich habe die Stadt Los Angeles nicht wirklich gesehen. »

Bis heute ist diese Metropole für ihn vor allem ein Ort zum Arbeiten: « Ich musste dorthin gehen, um mit großartigen europäischen Regisseuren wie Ridley Scott, Chris Nolan und Tony Scott kooperieren zu können. » Also eröffnete der Sohn eines Chemieunternehmers mit Remote Control Productions 1989 im Stadtteil Santa Monica ein eigenes Studio, inzwischen beschäftigt er dort zahlreiche Mitarbeiter. Einige von ihnen, etwa Harry Gregson-Williamson oder John Powell, haben sich längst einen eigenen Namen als Filmkomponisten gemacht: « Ich animierte sie, ihren eigenen Weg zu gehen. »

Acht Schulen warfen ihn raus, bevor er in einem englischen Internat Abitur machte

So wie Hans Zimmer selbst. Konventionen haben ihn nie wirklich interessiert. Er spielte zwar bereits als Kind Klavier, hatte aber nur kurze Zeit einen Klavierlehrer, weil er sich dessen Regeln nicht unterwerfen wollte. Disziplin war einfach nichts für ihn, acht Schulen warfen ihn raus, bevor er in einem englischen Internat schließlich Abitur machte. Schon während seiner Schulzeit hatte er den Synthesizer für sich entdeckt. Dieses Instrument und Computer setzt er immer noch gern für seine Soundtracks ein. Zum Beispiel für die Musik für Denis Villeneuves Science Fiction Streifen « Dune », für die Hans Zimmer 2022 mit seinem zweiten Oscar ausgezeichnet wurde. Seinen ersten bekam er bereits 1995 – für den « König der Löwen »-Score. Was ihn so herausragend macht: die Mischung aus Klassik und Weltmusik. Mal entdeckt man Anleihen bei Mozarts Requiem, mal afrikanische Rhythmen.

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Live baut Hans Zimmer auf die Unterstützung einer 20-köpfigen Band, Sängern, dem Odessa Opera Orchestra und einem Chor. © Frank Embacher

Hans Zimmer war eben nie ein Verfechter der strikten Trennung zwischen E- und U-Musik: « Ich arbeite nicht immer mit einen 120-köpfigen Orchester, sondern auch mit Bands. » Vielleicht liegt das daran, dass er im Gegensatz zu seinem Vorbild Ennio Morricone auf keinem Konservato­rium war. Das, glaubt er, sei der Grund, warum ihm zunächst in Deutschland niemand einen Job angeboten habe – außer Bernd Eichinger: « In Deutschland giltst Du nur etwas mit einem Hochschulabschluss. Anderswo hat sich niemand dafür interessiert. » Zu Recht, findet Hans Zimmer: « Was sagt ein Diplom über die Imaginationskraft eines Menschen aus? Nichts! » Er sieht seine Aufgabe so: « Ein Regisseur schildert mir seine Vorstellungen, die ich dann in meinem Kopf weiterspinne. Ich versuche, Ideen zu entwickeln, auf die er niemals gekommen wäre. »

Sein Handwerk muss Hans Zimmer natürlich trotzdem beherrschen. Nach einem Ausflug in die Welt der Popmusik im The-Buggles-Clip « Video Killed The Radio Star » am Synthesizer und etlichen Werbejingles lernte der Vater von vier Kindern den britischen Filmmusik-Komponisten Stanley Myers kennen. Der nahm den jungen Deutschen unter seine Fittiche und brachte ihm bei, wie man Musik für Orchester schreibt. Danach standen Hans Zimmer künstlerisch alle Türen offen. Für « Interstellar » erschuf er einen sphärischen Soundtrack, Orgelklänge werden dort mit elektronischen Sounds und klassischen Motiven des Orchesters zusammengeführt. Die « Gladiator »-Musik changiert zwischen Monumentalem und Mystischem – mit klassischer Orchestrierung, gepaart mit dem Gesang der Popmusikerin Lisa Gerrard.

Passagen aus diesen Werken hat Hans Zimmer, der 2016 seine erste große Tournee durch Europa machte, für seine Konzerte neu abgemischt. « Sie haben jetzt eine andere Energie », analysiert er. « Manchmal erkenne ich meine eigenen Stücke gar nicht mehr wieder. » Dabei bekommt er auf der Bühne jede Menge Unterstützung – von einer 20-köpfigen Band, Sängern, dem Odessa Opera Orchestra und einem Chor. Auf einen Dirigenten hat er bewusst verzichtet: « Es stört mich, dass er in einem klassischen Konzert dem Publikum den ganzen Abend nur den Rücken zukehrt. » Notenständer mit Partituren wollte Hans Zimmer ebenfalls nicht um sich haben: « Die Noten können über Bildschirme laufen. Das macht die moderne Technik ohne Weiteres möglich. »

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© Frank Embacher

Sein Ensemble scheint keine Probleme mit diesen Entscheidungen zu haben. Heraus sticht vor allem Cellistin Tina Guo. Die klassisch ausgebildete Musikerin setzt immer wieder Akzente, etwa bei der « Wonder Woman Suite ». Diese findet sich natürlich auch auf dem Album « Hans Zimmer Live », neben Kompositionen aus « Fluch der Karibik », « Dunkirk » oder « Last Samurai ». Mitgeschnitten wurden sie an zehn Abenden im vergangenen Frühjahr, Hans Zimmer hat sie mit dem Produzenten Stephen Lipson in Form gebracht.

In der Aufnahme verdichten sich Klassik, Elektronik und Rock zu einem schlüssigen Ganzen. Kein Wunder, dass sich Hans Zimmer für ein Doppelalbum entschieden hat. Weil er mehr als 100 Filme mit Musik unterlegt hat, konnte er für sein Bühnenprogramm aus dem Vollen schöpfen: « Mit der Setlist tat ich mich ziemlich schwer. Anfangs hatte ich ein fünfeinhalbstündiges Programm konzipiert, das war viel zu lang. » In der Konsequenz suchte er einen Kompromiss. Er wählte seine ganz persönlichen Favoriten aus, darunter die « Dark Phoenix Suite », vernachlässigte aber auch die Wünsche des Publikums nicht – in der Zugabe kann dieses sich auf die spannungsgeladene Suite « No Time To Die » aus dem James-Bond-Film « Keine Zeit zu sterben » freuen.

Aber egal, welches Stück live erklingt: Es werden grundsätzlich keine Filmausschnitte eingeblendet. « Ich möchte meine Musik ohne Bilder für sich sprechen lassen », erläutert Hans Zimmer. Seiner Ansicht nach hat das für die Zuschauer keinen Nachteil: « Ich denke, die Leute realisieren bei meinen Auftritten gar nicht, dass sie den Film nicht sehen. » Einfach, weil das Repertoire viele Hinhörer birgt.

Dieses lässt nicht den geringsten Zweifel daran, wie vielschichtig Hans Zimmers Inspirationsquellen sind. B.B. King oder die Beatles, sagt er, hätten ihm genauso Impulse gegeben wie Bartók, Beethoven, Bach oder Berlioz. Den Engländer Thomas Adès, einen der meistgespielten zeitgenössischen Komponisten, bewundert er ebenfalls – wegen seiner Experimentierfreude. Kuhglocken eröffnen dessen Werk « Asyla ». Der dritte Satz heißt nicht umsonst « Ecstasio », er ist eine Reminiszenz an den Techno der 1990er-Jahre. Mit einer Selbstverständlichkeit, die ihresgleichen sucht, überführt Adès Popularmusik in E-Musik. Genau diese Offenheit macht seine Stücke für Hans Zimmer so hörenswert:

« Kulturelle Kollisionen in der Musik sind für mich sehr aufregend. »

Hans Zimmer Live

Hans Zimmer, Odessa Opera Orchestra, Tina Guo u.a.; Sony (2 CDs)

Deutschland-Termine:

23.4. Oberhausen, Rudolf Weber-Arena

27.4. Frankfurt, Festhalle

29.4. Stuttgart, Hanns-Martin-Schleyer-Halle

20.5. Hannover, ZAG Arena

24.5. München, Olympiahalle

26./27.5. Berlin, Mercedes-Benz-Arena

28.5. Hamburg, Barclays Arena

9.6. Köln, Lanxess Arena

Weitere Infos unter www.semmel.de

*Beitrag aus dem Fono Forum/April 2023. Das monatlich erscheinende Magazin Fono Forum bietet mit seinen Rezensionen, Artikeln und Interviews einen umfassenden Blick über die neuesten Plattenerscheinungen sowie das Musikgeschehen der Genres Klassik und Jazz.