Joe Hisaishi ist Japans einflussreichster Komponist für Film und Klassik und wird auch weltweit für seine Werke gefeiert, nicht zuletzt dank seiner Filmmusik für die Studio Ghibli-Filme. Im exklusiven Gespräch mit dem Künstler erfahren wir mehr über seine Anfänge, minimalistischen Werke und die besondere Verbindung zu Miyazaki.

Was wäre das Kino ohne die richtige Filmmusik? Auch wenn große Regisseure und Regisseurinnen uns mit ihren außergewöhnlichen Geschichten auf der großen Leinwand in den Bann ziehen, so spielt die Musik dahinter wohl eine mindestens genauso zentrale Rolle. Handlungen werden plötzlich zur Realität, die Magie der Vorstellungskraft holt uns ein, Bild und Ton fließen ineinander über. Legendäre Duos wie Alfred Hitchcock und Bernard Herrmann, Federico Fellini und Nino Rota, Sergio Leone und Ennio Morricone oder Steven Spielberg und John Williams haben uns mehrmals diese besondere Verbindung bewiesen und sind auch Jahre später noch in unseren Gedächtnissen geblieben. Zu diesen Beziehungen gehören auch Komponist Joe Hisaishi und Regisseur Hayao Miyazaki.

@ Nick Rutter
@ Nick Rutter

Joe Hisaishis internationaler Durchbruch erfolgte zwar durch Miyazaki und die Studio Ghibli-Produktionen, die Karriere des japanischen Komponisten ist jedoch von vielen weiteren Erfolgen und Werken geprägt. 1950 in Nakano, Nagano, unter dem Namen Mamoru Fujisawa geboren, kam Hisaishi das erste Mal im Alter von vier Jahren mit klassischer Musik in Kontakt, als er an der Violin School Suzuki Shinichi Geigenunterricht erhielt. Während seiner Jugend entdeckte er seine Leidenschaft zum Komponieren und studierte später Komposition am Kunitachi College of Music, wo er Anfang der 1970er Jahre mit minimalistischer Musik vertraut gemacht wurde. Mit den ersten Kompositionsaufträgen für Anime-Serien (Gyātoruzu, Sasuga no Sarutobi - Academy of Ninja, Futari Daka) und eigenen Werken, änderte er auch seinen Namen in Joe Hisaishi, beeinflusst vom amerikanischen Musiker und Komponisten Quincy Jones. Aus “Quincy” wurde “Hisaishi” (“Quincy”, im Japanischen “Kuinshī” ausgesprochen kann mit demselben Kanji wie “Hisaishi” geschrieben werden) und aus “Jones” wurde “Joe”.

Klassische und besonders minimalistische Musik spielten schon früh eine wichtige Rolle in seinem Schaffen. Hisaishis erste Kompositionen wurden einerseits stark von japanischer Popmusik, elektronischer sowie New-Age-Musik beeinflusst, andererseits spielten Figuren der minimalistischen Musik wie Philip Glass, Terry Riley, John Adams oder Steve Reich eine zentrale Rolle in der Entwicklung seines eigenen Stils. Im Gespräch erzählt er uns: “Es ist schwer zu sagen, denn ich werde von so vielen Sachen beeinflusst. Ich komponiere vor allem moderne Werke und da gibt es tausende äußere Einflüsse, die auf mich einwirken, genauso, wenn ich dirigiere. Aber als ich Terry Riley zum ersten Mal hörte, war ich überwältigt.” 1981 erschien sein erstes Album MKWAJU, ein Jahr später folgte Information im elektronisch-minimalistischen Gewand. Seitdem hat der Komponist über 100 Filmpartituren sowie 30 Studioalben veröffentlicht.

Heute gehört Hisaishi zu den gefeiertsten Komponisten und Dirigenten unserer Zeit und ist auch längst in Europa und im Westen angekommen. Vor kurzem dirigierte er die Wiener Philharmoniker und berichtet uns, wie sich das Klassik-Verständnis in den verschiedenen Kulturen unterscheidet: “Klassische Musik kommt ja sozusagen aus Europa, hier hat alles angefangen. Das merkt man auch im Konzert, die Leute sind sehr enthusiastisch und stolz auf ihre Musik. Wenn ich diese Musik nach Japan bringe und dort spiele, wird sie dort auch sehr geschätzt, das Publikum ist aber viel verhaltener. Das liegt auch an den kulturellen Unterschieden, in unserer Kultur zeigen wir weniger offen unsere Emotionen.

Diese “verdeckten” Emotionen verhindern jedoch keineswegs, dass die japanische Kultur, ob Film, Kunst oder Musik, uns nicht genauso tief im Herzen berührt. Wer bereits einen Studio Ghibli-Film gesehen hat, der weiß genau, wovon die Rede ist. 1983 sollte also die erste Zusammenarbeit von Hisaishi und Miyazaki für den Anime-Film Nausicaä aus dem Tal der Winde entstehen — noch vor der Gründung von Studio Ghibli, welches erst zwei Jahre später und dank den Erfolgen von Nausicaä ins Leben gerufen wurde. Seitdem sind die beiden Künstler nicht mehr voneinander zu trennen. Angefangen mit den ersten Produktionen wie Das Schloss im Himmel (1985), Mein Nachbar Totoro (1988) oder Kikis kleiner Lieferservice (1989), sollte schließlich ab den 90er Jahren mit Porco Rosso (1992), Prinzessin Mononoke (1997) und Chihiros Reise ins Zauberland (2001) der Stellenwert von Studio Ghibli und Kino aus Japan im Allgemeinen über die Landesgrenzen hinaus verankert sein. Die japanische Disney-Variante bewährte sich nicht nur im Film, auch Hisaishis Musik gewann an immenser Bedeutung, oft verglichen mit John Williams oder Hans Zimmer. Und auch Miyazaki selbst berichtet, dass Hisaishis Filmmusik maßgebend zum Erfolg von Studio Ghibli beigetragen hat.

Joe Hisaishi — auf der einen Seite minimalistischer Komponist, auf der anderen Filmkomponist, ob zusammen mit Miyazaki, Takeshi Kitano oder zahlreichen anderen Projekten. Wir haben uns gefragt, ob Hisaishi anders an die beiden musikalischen Säulen herangeht: “Das ist eine sehr gute Frage, ich weiß es selbst nicht so genau. Wenn ich zusammen mit Miyazaki komponiere, dann ist das eher, sagen wir, “klassische symphonische Musik”. Und wenn ich meinen eigenen Werke komponiere, dann geht das eben sehr in die minimalistische Richtung. Ich versuche immer mehr, die beiden Stränge zusammenzubringen, denn das eine muss das andere nicht ausschließen, aber es ist nicht einfach.” Und tatsächlich können sich die beiden Strömungen in vielerlei Hinsicht ergänzen und voneinander profitieren. Etwas zögernd fügt Hisaishi hinzu: “Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt schon verraten darf, aber ich mache es einfach trotzdem… Diesen Sommer (2023) wird ein neues Projekt von Miyazaki herauskommen und meine Musik dazu ist sehr minimalistisch. Miyazaki war zuerst etwas distanziert von der Idee, aber als ich ihm dann die ersten Versionen gezeigt habe, war er davon überzeugt. Ich bin sehr gespannt, wie es beim Publikum ankommen wird, es ist anders als die anderen Studio Ghibli-Produktionen.

Eine künstlerische Verbindung, die sich seit fast 40 Jahren bewährt — gibt es dafür denn ein bestimmtes Rezept? Hisaishis Reaktion ist eindeutig: “Das ist unser Geheimnis! (lacht) Aber eine Sache kann ich ihnen verraten: Hayao Miyazaki und ich arbeiten nur beruflich zusammen und haben privat überhaupt keinen Kontakt. Wir verstehen uns sehr gut und wir schätzen uns, nach diesen vielen Jahren, sehr, aber wir belassen das alles bei der Arbeit. Das ist vielleicht unser Geheimnis.”

Kein Geheimnis ist sicherlich, dass wir nun diese wunderschöne Filmmusik das erste Mal in einer Deutschen Grammophon-Aufnahme hören können. Hisaishi arrangierte die größten Studio Ghibli-Hits für Symphonieorchester neu und spielte es mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter eigener Leitung ein. Ein weiterer Beweis dafür, dass Hisaishis Musik für sich alleine schon ein Meisterwerk darstellt — ohne an die Kinoleinwand gebunden zu sein.


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