Mit seinem neuen Album Legacy erkundet Christian-Pierre La Marca die Bedeutung des Cellos in der italienischen und Wiener Klassik. In unserem Gespräch berührt er Themen, die ihm am Herzen liegen, wie seine Leidenschaft für die Singstimme, seine intime Beziehung zu Werken und Interpreten sowie sein ökologisches Engagement. Eine Begegnung mit einem aufgeschlossenen und vielseitigen Künstler.

Wir treffen Christian-Pierre La Marca im Hinterzimmer einer Kneipe in einem Vorort von Paris. An diesem Tag Anfang Januar beeinträchtigen weder die frühe Morgenstunde noch Kälte oder Regen die Energie des Cellisten, der uns nach einem herzlichen Händedruck gleich das “Du” anbietet. Mit derselben Offenheit weiht er uns in die Geheimnisse der Entstehung von Legacy ein, seinem neuen Album mit Julien Chauvin und dem Concert de la Loge, das heute bei Naïve erschienen ist. Auf dem Programm: Werke von Porpora, Haydn und Mozart. “Kurz gesagt, der Leitgedanke bei Legacy war, die Entwicklung des klassischen Cellorepertoires aufzuzeigen, vom Beginn der italienischen Klassik mit Porpora bis zur Wiener Klassik mit Mozart. Und dazwischen gibt es diese wunderbaren Konzerte von Haydn. Mich fasziniert die Idee des Zusammenhangs, der Nachfolge!”

Haydn, Porpora, Glück... La Marca hatte noch keine Gelegenheit, diese drei Komponisten aufzunehmen. Eine neue Herausforderung, die der Cellist über einen langen Zeitraum und mit der Geduld eines Menschen angeht, der seine Arbeitsstunden nicht zählt: „Haydns Cellokonzerte Nr. 1 und 2 sind Eckpfeiler des Repertoires. Nr. 2 ist eines der häufigsten Pflichtstücke bei Wettbewerben. Diese Werke begleiten jeden Celloschüler... Die Musik ist sehr positiv und subtil, und gleichzeitig auch leicht zugänglich: Genau das macht sie übrigens spieltechnisch gesehen so schwierig. Ich habe lange gebraucht, bis mir das alles bewusst wurde!“

Seine besonnene Herangehensweise hat den Musiker dazu veranlasst, sich mit den besten Interpreten auf diesem Gebiet zu umgeben: „Le Concert de la Loge ist DIE Referenz für Haydns Musik. Sie haben bereits fast das gesamte Repertoire durchgearbeitet und dabei einen faszinierenden neuen Blick auf die sinfonischen und kammermusikalischen Werke geworfen.“ Ausgezeichnete Weggefährten für Christian-Pierre La Marca, der sich bei seiner sorgfältigen historischen und ästhetischen Recherche auf sie verlassen konnte: "Wir befinden uns an einem Wendepunkt in der Musikgeschichte, an dem das Cello seinen Status als Begleitinstrument aufgibt. Plötzlich ist es kein einfacher Basso continuo mehr, ihm wird eine hoch virtuose Rolle zugewiesen. Zum ersten Mal erreichen Kompositionen für dieses Instrument ein derart hohes technisches Niveau." Dabei ging es La Marca immer darum, eine authentische Musik zu übermitteln: "Wir haben in der 415er-Stimmung aufgenommen und ich habe mit einem historischen Bogen gespielt: Es war uns sehr wichtig, den Klangvorstellungen des Komponisten so nah wie möglich zu kommen!"

Christian-Pierre La Marca © Marco Borggreve/naïve
Christian-Pierre La Marca © Marco Borggreve/naïve

Die Besessenheit vom Gesang

Christian-Pierre La Marca will sich jedoch nicht auf einen rein theoretischen, akademischen Ansatz beschränken und betont eine andere grundlegende Dimension seiner Arbeit: "Ich bin besessen davon, wie man das Instrument zum Singen bringt. Ich habe von Natur aus einen sehr starken Bezug zu Sängern und zum Gesang im Allgemeinen." Der Gesang ist dem Cellisten schon früh in Fleisch und Blut übergegangen, von seiner Zeit bei den „Petit Chanteurs d'Aix-en-Provence“ als Kind bis hin zur jüngsten Zusammenarbeit mit den Sopranistinnen Sabine Devieilhe oder Patricia Petibon sowie der Mezzosopranistin Karine Deshayes. „Die Polyphonie und das gemeinsame Singen hat mich entscheidend geprägt. Das setzt sich bis heute fort: Mein Instrument muss singen. Das ist die natürliche Grundlage für den Ausdruck einer Melodielinie.“ Und wenn man ihn nach seinen Lieblings-Opernsängern fragt, nennt uns der Musiker, ohne Unterscheidung der Epoche, Fritz Wunderlich und Philippe Jaroussky. Letzterer, mit dem Christian-Pierre La Marca gut befreundet ist, gesellt sich übrigens bei einem Titel des Albums, einem Auszug aus Porporas Oper Gli orti esperidi, zu ihm. „Wenn ich mit Philippe oder Julien [Chauvin] und dem Concert de la loge spiele, fühle ich mich wie zu Hause, wie in der Familie.“

Dieser Ausdruck darf hier wörtlich verstanden werden, denn zur Besetzung von Legacy gehört auch Christian-Pierres Bruder, der Bratschist Adrien La Marca, der im Studio die Sinfonia Concertante K320 von Mozart spielt. An diesem Punkt im Gespräch glänzt im hellen und offenen Blick des Cellisten Dankbarkeit: „Zwischen uns herrscht Wohlwollen, wir unterstützen uns gegenseitig. In einer Familie besteht manchmal die Gefahr, dass man keine Filter hat, und das kann sehr destruktiv sein. Wir haben ein Gleichgewicht gefunden, einen respektvollen Rahmen, in dem wir offen sein können für konstruktive Kritik.“ Angefangen bei der Auswahl des Programms hat La Marca sein Album in einem Geist von Teilhabe und Intimität konzipiert. Besonders hervorzuheben ist die Transkription des „Tanzes der glücklichen Schatten“ aus Orpheus und Eurydike, der für den Musiker eine besondere Bedeutung hat: „Ich war noch sehr jung, als meine Familie nach Aix-en-Provence zog. Mein Vater, ein Dirigent, war engagiert worden, um einen Zyklus von drei Gluck-Opern zu leiten, darunter auch Orpheus. Bei dieser Produktion war ich Statist. Ich erinnere mich noch an ein überwältigendes Flötensolo. In diesem Moment war ich nur Beobachter. Einem Kind prägen sich solche Erlebnisse für den Rest seines Lebens ein“. Für einen Künstler ist die Produktion eines Albums auch eine Herzensangelegenheit, bei der er das einbringen möchte, was ihm besonders am Herzen liegt. Er nennt es auch „eine persönliche Botschaft übermitteln“.

Christian-Pierre La Marca © Marco Borggreve/naïve
Christian-Pierre La Marca © Marco Borggreve/naïve

Eine Kollaboration mit Yann Arthus-Bertrand

Bote, Botschafter: So könnte man diesen großzügigen und humanistischen Musiker beschreiben. Ein Botschafter seiner Kunst, aber auch seines gesellschaftlichen Engagements. Im vergangenen Jahr krönte sein Konzeptalbum Wonderful World ein großes Projekt zur Sensibilisierung für Umweltfragen und Biodiversität, bei dem ein Teil der Verkaufserlöse an die Stiftung Good Planet gespendet wurde: „Da ich selbst Kinder habe und sehe, wie sie in einer Welt aufwachsen, deren Zustand sich immer mehr verschlechtert, hatte ich Lust, etwas zu unternehmen. Ich traf Yann Arthus-Bertrand, und wir organisierten gemeinsam ein Solidaritätskonzert, bei dem Dokumentaraufnahmen live projiziert wurden. Die Idee dahinter war, den Leuten klarzumachen, dass unsere Erde schön und schützenswert ist – schockierende Bilder rufen zwar auch Reaktionen hervor, aber einen stärkeren und vor allem nachhaltigeren Eindruck hinterlässt die Schönheit!“ Zu diesem Bewusstseinswandel gehört auch, dass die Musikbranche dringend umdenken muss, insbesondere was Tourneen betrifft, die wegen ihrer CO2-Emissionen immer mehr an den Pranger gestellt werden. „Es gibt Fortschritte, aber bei bestimmten Dingen wird noch nicht genug getan: Noch immer werden ganze Orchester für ein einziges Konzert ans andere Ende der Welt geflogen. Das ist bedauerlich, aber unser Konsumverhalten will es so: Wir globalisieren gerne. Doch man kann an jedem Ort, in der Umgebung jedes Konzertsaals Musiker:innen finden, die in der Nähe leben und sehr gut spielen! Wir sollten lokale Tourneen fördern. Für das lokale Publikum ist das viel sinnvoller!“ Dieser Mann mit Überzeugung ist jedoch auch ein Mann der Nuancen und der Bescheidenheit: „Ich bin kein Umweltexperte, ich bin Musiker: Jedem sein Beruf. Aber ich fühle mich einfach von all diesen Themen betroffen. Ohne missionieren oder belehren zu wollen, möchte ich nur auf meine persönliche Art und Weise handeln.“ Abschließend zitiert er Yann Arthus Bertrand: „Handeln macht glücklich.” Wenn man sieht, wie seine Augen strahlen, während er über seine Erinnerungen spricht, glaubt man ihm aufs Wort.

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