Der englische Klangabenteurer Steven Wilson liefert mit “The Harmony Codex” sein Opus magnum ab. In einem exklusiven Interview erzählt er uns alles über das Projekt und die Bedeutung von hochwertiger Klangqualität.

Steven Wilson tells us all about 'The Harmony Codex' and the importance of high quality audio!

Qobuz
*Deutsche Untertitel können im Video eingestellt werden.

Für viele ist Steven Wilsons Name fest mit der einen oder anderen Form des Progressive Rock verbunden, sei es als Frontmann und Leader von Porcupine Tree oder durch seine Rolle als Surround-Sound-Remixer klassischer Alben der 1970er Jahre von King Crimson und Yes. Aber, wie der 55-jährige Wilson betont: “Ich bin zu jung, um mit Progressive Rock aufgewachsen zu sein. Natürlich bin ich zurückgegangen und habe das entdeckt.”

Tatsächlich fühlte sich Wilson als Teenager in den 80er Jahren eher zum konzeptionellen Rock und Pop von Künstlern und Künstlerinnen wie Peter Gabriel, Talk Talk und Kate Bush sowie zu den aufwendigen, filmischen Produktionen von Trevor Horn hingezogen.

“Ich habe meine Platten immer mit dem Gedanken an Audiophile gemacht”, sagt er gegenüber Qobuz. “Ich weiß, dass es Leute gibt, die Platten für Leute machen, die sie auf ihrem Handy hören, und das ist auch gut so. Aber ich habe immer darüber nachgedacht, wie meine Musik auf einer fantastischen Stereoanlage klingen wird, und ich strebte nach diesem Klangerlebnis.” Ein Ansatz, der auf Wilsons höchst ambitioniertem siebten Soloalbum, dem 65-minütigen The Harmony Codex, deutlich wird. Es nimmt die Hörer und Hörerinnen mit auf eine klangliche Reise durch melodischen Space Rock, nervöse Electronica, von Drum & Bass beeinflussten Jazz und atmosphärische Synthesizer Landschaften. “Es ist ein gewaltiges, ausuferndes, episches Album, das einen ständig an Orte führt, die man nicht erwartet”, schwärmt er. “Über 65 Minuten hinweg wird man immer wieder auf interessante Art und Weise auf falsche Füße gestellt”.

Entsprechend dem abenteuerlichen Stil des Albums ist auf The Harmony Codex eine Vielzahl von Gastmusiker:innen zu hören, von Sam Fogarino (Interpol) über Jack Dangers (Meat Beat Manifesto) bis hin zu Guy Pratt (Pink Floyd, Bryan Ferry). Für Wilson war es eindeutig eine befreiende Erfahrung: “Wenn ich einen Pop-Track mache und ihn neben einen 10-minütigen Ambient-Track stelle, können sie zusammenpassen, denn für andere Leute klingen sie beide einfach wie Facetten von mir. Es fühlt sich an wie die planloseste Herangehensweise, die ich je bei einem Soloalbum gewählt habe.”

Als kleines Kind wurde Wilson zunächst von den Sounddesign-Aspekten der Musik inspiriert, die er zu Hause in der englischen Trabantenstadt Hemel Hempstead (nordwestlich von London) von seinen Eltern hörte - sei es nun Donna Summers Love To Love You Baby oder The Dark Side Of The Moon. Sein Vater, ein Elektronik-Ingenieur, unterstützte ihn in seinem Wunsch, Home-Recording zu erforschen und baute ihm seine erste Kassetten-Mehrspuranlage, ein Bandechogerät, einen Vocoder und einen Sequenzer. Aber weil er all diese Dinge aus Bausätzen und nach seiner eigenen Fantasie baute, “unterschieden sie sich immer in irgendeiner Weise von den Dingen, die auf dem kommerziellen Markt erhältlich waren. Sie hatten kleine Macken. So baute er einen Neun-Schritt-Sequenzer und pflanzte mir diese interessanten, kniffligen Taktarten ein, ohne dass er es wusste “, berichtet Wilson.

Es ist dieser inhärente Sinn für musikalische Erkundung, den Steven Wilson in The Harmony Codex mit sich trägt, nicht zuletzt im mehr als neunminütigen Ambient-Titeltrack des Albums, der als langwieriges Experiment mit sequenzierten analogen Synthesizern begann und der in vielerlei Hinsicht sowohl seine freilaufende Kreativität als auch seine Aufmerksamkeit für klangliche Details definiert.

Für ihn ist es hoffentlich ein Album, “das man sich zum 100. Mal anhören kann und sagt: ‘Oh, das ist mir noch nie aufgefallen’. Viele Leute denken jetzt darüber nach, wie sie einen Track in 15 Sekunden in einem TikTok-Video rüberbringen können. Ich gehe da einen ganz anderen Weg. Ich will eine Platte machen, die musikalisch und klanglich eine Stunde lang fesselt. Und ich möchte, dass die Leute sich hinsetzen und komplett darin eintauchen und sich in dieser Welt verlieren.”

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