Kaum jemand hat sich mit Mozarts Werk so intensiv auseinandergesetzt wie Robert Levin. Nun legt der Pianist und Musikwissenschaftler die erste Gesamteinspielung der Klaviersonaten auf dem originalen Instrument des Komponisten vor.

Stimmt es, dass Sie der erste Interpret sind, der alle Mozartsonaten auf seinem eigenen Walter-Flügel von 1782 spielen durfte?

Ich glaube tatsächlich, ich bin der erste, der das Privileg erhalten hat. Es ist ein unglaubliches Gefühl, vor diesem Instrument zu sitzen und die leicht gekrümmten Tasten zu sehen, auf denen Mozart seine großartigen Klavierkonzerte und Sonaten uraufgeführt hat. Es ist unheimlich und inspirierend und herausfordernd – alles auf einmal!

 

Ist an diesem Instrument denn noch viel Originalsubstanz erhalten?

Es gab mindestens zwei Überholungen. Die erste 1805 unter Aufsicht von Constanze Mozart, bevor es von Wien nach Mailand zu ihrem Sohn Carl Thomas transportiert wurde. Es ging an ihn, den Amateur, nicht an Franz Xaver Wolfgang, der in Lemberg als Klaviervirtuose lebte, weil der Tonumfang des Instrumentes nicht mehr zeitgemäß war. Carl Thomas hat es später dem Mozarteum geschenkt. In den 1930er-Jahren wurde es nochmal überholt, Saiten, Leder, das muss von Zeit zu Zeit erneuert werden. Als „Möbelstück“ ist es aber größtenteils erhalten.

 

Mich überrascht, dass das Instrument unter Ihren Händen so frisch und „neu“ klingt. Als hätten Sie eine Zeitreise unternommen ...

Ich habe eben viel Erfahrung mit alten Instrumenten und Nachbauten gesammelt, und da gibt es ja seit vielen Jahren exzellente Klavierbauer, Paul McNulty, Chris Maene und viele andere, so habe ich mich mit der Kultur des historischen Klanges vertraut gemacht. Man hört von Instrument zu Instrument, wie persönlich die klingen. Mozarts Flügel ist in dieser Reihe natürlich eine Art heilige Kuh – ich war unglaublich froh, als mir die Gelegenheit geboten wurde, auf diesem Instrument zu spielen, und das mache ich im Rahmen der Mozartwoche regelmäßig, auch im Duo mit Mozarts Geige.

Für so einen alten Flügel gilt übrigens das Gleiche wie für eine modernen Steinway oder Bösendorfer: Entdeckt man, wie er zufriedenzustellen ist, macht er alles für einen. Kämpft man dagegen, dann weiß sich das Instrument zu wehren!

 

Und Sie sind der Erste, der eine so konsequente und radikale Position bei der Auszierung des Textes einnimmt!

Zur Verzierungspraxis möchte ich etwas ausholen. Erstens: Eine Verzierung muss nicht zwangsläufig zu einer Vermehrung der Töne führen. Man kann einfach andere spielen. Die Musik bleibt erkennbar im Rahmen, aber man ist dennoch kreativ. Zweitens: Man tut das nicht, weil man es soll oder muss, sondern weil man das möchte. Man möchte Mozarts Partner sein, möchte wie ein Schauspieler das Theaterstück in die Hand bekommen und persönlich dazu beitragen, dass das Dramatische aktualisiert wird. Ansonsten kann man so pietätvoll oder elegant spielen wie man will, es ist nicht mehr als ein Bestattungsdienst.

Und der Gedanke der Texttreue?

Man weiß, dass Mozart stets in seinen öffentlichen Konzerten improvisiert hat, es gab keine „Text-Gehorsamkeit“, kein Konzept des „Unsterblichen“, und mein Kollege Cliff Eisen sagt zu Recht, „wer ein Mozart-Manuskript einsieht, merkt, dass die Schrift auch eine Art Aufführung ist. Es ist performativ, wie er Dinge im Sinne des Ablaufes ändert und korrigiert.“ Es kann demnach keine endgültige Bedeutung eines Meisterwerkes geben.

Woraus besteht eigentlich ein Werk? Aus den notierten Tönen, Rhythmen usw.? Ja, aber nicht ganz! Oft in Mozarts Klaviersonaten begegnen Sie einer ausgezierten Reprise, während die Exposition keine notierten Verzierungen enthielt. Aber was passiert, wenn man wiederholt? Spielt man die Exposition zweimal identisch unverziert und Durchführung und Reprise zweimal identisch mit Verzierungen? Das wäre ja absurd! Da man also nicht zweimal gleich verzieren kann, stellt sich die Frage: Repräsentiert die von Mozart notierte Fassung den ersten oder zweiten Durchgang? Muss man dann bei der Wiederholung noch mehr auszieren? Dies wird nirgends in der Fachliteratur besprochen.

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