Ein Jahrzehnt nach ihrem Debütalbum « Breathe Out » präsentiert uns das skandinavische Emil Brandqvist Trio ihr neues Projekt « Layers Of Life ». In einem exklusiven Gespräch erfahren wir mehr über die Entwicklung ihrer zehnjährigen Bandgeschichte, ihre musikalischen Einflüsse und warum man keine Angst davor haben muss, melancholisch zu sein…

Die skandinavische Jazzszene glänzt nur so voller außergewöhnlicher Ensembles sowie einzigartiger Klänge und mittendrin finden wir das Emil Brandqvist Trio. Die Stadt Göteborg sollte Komponist, Schlagzeuger und Bandleader Emil Brandqvist mit seinen zwei musikalischen Komplizen Tuomas Turunen (Klavier) und Max Thornberg (Bass) vor über zehn Jahren zusammenbringen und als Trio schließlich zu einem der wichtigsten Akteure der heutigen nordischen Jazzszene werden lassen.

Ihr samtweicher Sound, der sich zwischen skandinavischem Folk und klassischer Musik bewegt, fesselt Hörer:innen in einen Bann, der nicht auf pompöses Auftreten setzt, sondern das hervorhebt, wofür der Jazz aus dem Norden bekannt ist: musikalische Schlichtheit und einfache Melodien, die die Atmosphäre verzaubern. Nun veröffentlicht das Trio ihr sechsten Album Layers of Life. Und so minimalistisch ihre Aufnahmen sind, so bescheiden und bodenständig sind die Künstler auch in unserem Gespräch…

Glückwunsch, ihr feiert dieses Jahr ein kleines Jubiläum: Zehn Jahre sind nun vergangen seit der Veröffentlichung von eurem ersten Album Breathe Out! Wie würdet ihr das letzte Jahrzehnt eurer musikalischen Karriere beschreiben?

Emil: Es war bis jetzt eine sehr schöne Reise! Wir drei haben viel Zeit zusammen verbracht und für viele Leute gespielt — etwas, das wir vielleicht nicht so erwartet hatten, als wir das erste Album veröffentlichten. Wir haben im Trio eine gute Freundschaft aufgebaut und viele Alben zusammen aufgenommen. Außerdem haben wir bei den Konzerten so viele tolle Leute kennengelernt — Leute, die sich für unsere Musik und das, was wir machen, interessieren. Also ja, es war eine wirklich schöne Reise.

Tuomas: Dem stimme ich ganz zu. Diese Reise hat viel mehr gebracht, als ich mir je hätte vorstellen können. Vor zehn Jahren waren wir ein Trio, das hauptsächlich in Schweden gespielt hat, und Breathe Out war der Startpunkt für eine internationale Phase der Gruppe. Das brachte so viel mehr mit sich, als ich mir je vorzustellen wagte.

Wie kam es zu der ersten Zusammenarbeit des Trios?

Emil: Es begann mit Tuomas und mir. Tuomas kommt ursprünglich aus Finnland, zog aber zum Studieren nach Göteborg in Schweden, wo wir uns kennenlernten. Als ich Tuomas das erste Mal spielen hörte, dachte ich mir: « Ich muss diesen Typen in meiner Gruppe haben! ». Damals hatte ich gerade das Emil Brandqvist Orchestra gegründet und lud Tuomas zum Spielen ein — das war 2005. Dann traf ich eines Tages zufällig Max an einem verschneiten Wintertag in Göteborg wieder. Wir kommen ursprünglich aus derselben Stadt, kennen uns also schon seit vielen Jahren, und haben dann festgestellt, dass wir jetzt beide hier in Göteborg leben. Als die Idee aufkam, das Album Breathe Out aufzunehmen, waren wir auch auf der Suche nach einem Bassisten. Genau wie bei Tuomas war Max’ Bassspiel etwas, das ich unbedingt in meiner Musik haben wollte, also rief ich ihn an und fragte ihn, ob er Teil des Trios werden und das erste Album mit uns aufnehmen wolle. Der Rest ist Geschichte.

Abgesehen von eurer Freundschaft — wie hat sich die musikalische Zusammenarbeit des Trios in den Jahren verändert?

Emil: Wir haben bereits von Anfang an gut zusammengepasst, aber natürlich gab es eine enorme Entwicklung. Die letzten vier Alben haben wir im gleichen Studio aufgenommen, wo wir einen sehr kreativen Fluss entwickelt haben. Das Studio verfügt natürlich über einen Flügel, aber auch weitere verschiedene Tasteninstrumente, Orgeln und Synthesizer, wo wir sehr kreativ sein können. Dazu haben sich auch unsere Auftritte weiterentwickelt. Je mehr wir live gespielt haben, desto stärker wurde die Kommunikation zwischen uns. Ich konnte den Unterschied wirklich spüren. Ich muss mich auf unsere Performance komplett verlassen können, denn in jedem Moment können Max oder Tuomas eingreifen und sie in eine neue Richtung lenken. Wir folgen und helfen uns gegenseitig. Unsere Freundschaft hilft uns bei der Musik — es ist wirklich wichtig, dass wir uns gemeinsam auf der Bühne wohl und sicher fühlen. Nach den Konzerten gibt es meist glückliche Gesichter. Keiner sagt zum anderen: « Was hast du da gemacht? » (lacht)

Tuomas: Ich wohne nicht mehr in Göteborg, was bedeutet, dass wir nur sehr selten die Möglichkeit haben, zusammen zu proben, also ist der Hauptort, an dem wir uns gemeinsam konzentrieren können und an dem wir unsere musikalische Verbindung entwickeln, tatsächlich die Bühne. Aber auch die Tatsache, dass wir während einer Tournee viel im Auto unterwegs sind und wirklich Zeit zum Reden haben, geht mit der Freundschaft einher — zusammen zu sein und nicht unbedingt zu spielen, sondern über verschiedene Dinge zu reden, macht unsere Verbindung tiefer. Ich denke, das spiegelt sich auch in unserer Musik wider.

Emil: Wenn wir auf Tour sind, haben wir auch ein ‘normales’ Auto und keinen Van, also drei Leute, ein Schlagzeug, einen Kontrabass... Ja, da wird es ziemlich eng. (lacht)

Max: Emil ist hauptsächlich derjenige, der diese schönen Lieder komponiert, und das ist die Grundlage des ganzen Trios. In diesen zehn Jahren haben wir alle drei einen Weg gefunden, uns auf die Musik zu konzentrieren, und da wir auch so viele Stunden zusammen verbracht haben, kennen wir uns wirklich gut. Wir haben einige schöne Momente miteinander geteilt, aber auch einige Zeiten, die persönlich schwieriger waren. Wir fühlen uns sehr sicher im Umgang miteinander. Das bedeutet, dass es keinen Druck gibt oder die Notwendigkeit, etwas wirklich Besonderes abzuliefern, wenn man auf die Bühne geht, denn wir gehen zusammen auf die Bühne und versuchen, uns einfach darauf zu konzentrieren, die Musik zu spielen. Unser Zusammenspiel ist viel konzentrierter als 2013.

Tuomas: Jazzmusik ist in gewisser Weise einzigartig, weil sie auch sehr individuell sein kann. Man muss großartige Soli spielen und ein gewisses Selbstvertrauen haben, um zu beweisen, wie stark man ist. Aber es handelt sich trotzdem um Teamwork. Ich fühle mich — wie die anderen bereits gesagt haben — wirklich sicher und ermutigt. Jeder unterstützt den anderen. In dieser Gruppe geht es nur um die Musik, man hat nicht das Gefühl, dass man den Leuten etwas anderes zeigen muss als das, was man von Natur aus ist.

Emil Brandqvist Trio © Steven Haberland
Emil Brandqvist Trio © Steven Haberland

Die letzten drei Jahre waren aufgrund der Pandemie auf der ganzen Welt, aber besonders auch in der Musik eine sehr besondere und schwierige Phase. Wie habt ihr die Zeit seit eurem letzten Album Entering The Woods (2020) erlebt und wie verlief der Entstehungsprozess eures neuen Albums?

Emil: Das letzte Album, Entering the Woods, wurde genau zu Beginn der Pandemie veröffentlicht. Wir hatten eine Tour geplant und waren sehr darauf fokussiert, aber das hat natürlich alles nicht geklappt. Seitdem ist es ein bisschen wie auf einer Achterbahn: Es geht auf und ab... Es gab ein paar Zeitfenster, in denen es lockerer war und wir spielen konnten, aber ja, es war extrem schwierig für die ganze Welt und ein harter Start für das Album. Glücklicherweise konnten wir später die Tourneen fortsetzen und eine Menge Konzerte mit diesem Album spielen. Aber nicht lange nach der Veröffentlichung von Entering The Woods hatte ich bereits die Idee für das neue Album. Ich war schon dabei, mir Gedanken über die neue Musik zu machen und wie wir sie aufnehmen und planen sollten... Ich hatte « ein bisschen » mehr Zeit, um diese Songs zu schreiben, und am Ende war ich wirklich glücklich mit dem Ergebnis. Vielleicht war es in gewisser Weise gut, dass ich mich nicht so sehr gestresst habe...

Tuomas: Normalerweise liegen nur ein oder zwei Jahre zwischen unseren Alben, es ist also jetzt das erste Mal, dass drei Jahre dazwischen liegen. Wir sind also sehr motiviert, das neue Material zu spielen!

Woher nehmt ihr eure musikalische Inspiration? Alle eure Alben haben einen engen Bezug zur Natur und sind sowohl von schwedischem Folk als auch klassischer Musik beeinflusst.

Emil: Ich lasse mich vom Moment inspirieren. Wenn ich mich hinsetze und versuche herauszufinden, wohin die Musik gehen soll und wie ein Stück am Ende aussehen soll, das ist für mich wirklich inspirierend. Einfach die Arbeit und die Musik selbst. Natürlich kann man Einflüsse von Dingen entdecken, die ich im Laufe der Jahre gehört habe, wie Jazz, klassische Musik oder Popmusik. Wenn ich komponiere, fließen manchmal Erinnerungen an Phrasen und Passagen aus anderen Musikstücken in meine Ideen ein. Aber meistens kommt es von meinen inneren Gefühlen — eine Art Sehnsucht könnte man sagen, wenn ich am Meer oder im Wald sein möchte.

Max: Du möchtest also draußen im Wald oder am Meer sein — aber du sitzt in Göteborg fest. (alle lachen)

Wenn du dich entscheiden müsstest: Meer oder Wald?

Emil: Ich liebe das Meer und das Gefühl, dass es offen ist und dass ich das Ende nicht sehen kann. Aber im Wald mag ich den Geruch und die Stille, den Wind, der leise durch die Bäume weht. Das ist eine schwierige Frage, aber ich glaube, wenn ich am Strand stehe und auf den Ozean hinaus schaue, ist das wie ein einziges großes Ausatmen...

Es scheint, als ob eure Alben - mit ihrer Verbindung zur Natur und ihren Titeln - oft ein Konzept haben. Ist das etwas, das für das Komponieren wichtig ist?

Emil: Nein, eigentlich gar nicht. Am Anfang ist die Musik selbst die Inspiration, oder wenn ich mit Max und Tuomas zusammenarbeite, sehen wir, wie sich die Songs entwickeln, während wir sie spielen. Die Inspiration für die Titel kommt meistens erst später, wenn die Musik fertig ist. Die Musik sagt mir, wo ich bin und wo ich hin will. Ich schreibe zuerst die Musik, und dann verbinde ich sie mit der Welt in meinem Kopf. Das ist eine sehr schöne Erfahrung, denn dann wird die Musik zu etwas Größerem. Wenn ich anfange zu spielen, und ich selbst weiß, dass es in den Songs um den Wald oder meine Kinder oder etwas anderes geht, dann fange ich an, es selbst zu fühlen, auch wenn ich beim Komponieren nicht unbedingt daran gedacht habe.

Tuomas: Letztendlich scheinen die Stücke auf einem Album ein Ganzes zu bilden, ein bisschen wie ein Konzept, wie du sagtest. Wir haben noch nicht so viel darüber gesprochen, aber das Konzept von Entering The Woods drehte sich um den Wald und die Natur, aber bei Layers of Life fühlt es sich für mich wie etwas mehr Persönlicheres an.

Emil: Es gibt verschiedene Schichten: Einige sind ganz oben, andere liegen tiefer. Beziehungen und Familie — sie sind tiefgründig, wenn nicht sogar das Fundament. Dann gibt es weitere Ebenen, die darüber liegen. Wenn du dich hinlegst und dem Meer lauschst, kann das zum Beispiel mit einer Schicht ganz oben zu tun haben, aber auch mit einer Schicht aus deiner Kindheit oder mit Erinnerungen von damals. Das ist die Idee und das Gefühl, das ich bei diesem Titel habe.

Eure Musik wird oft als melancholisch beschrieben...

Emil: Das Gefühl, irgendwo sein zu wollen oder irgendwohin zu kommen, und nicht dort zu sein, könnte ein melancholisches Gefühl sein. Ich meine, es kann auch etwas Gutes sein, sich nach etwas zu sehnen. Vielleicht bin ich einfach ein bisschen melancholisch... (alle lachen)

Tuomas: Ich glaube, es könnte auch ein kultureller Aspekt sein — das ist etwas, das ich bemerkt habe, seitdem ich in Frankreich lebe. Als ich aus Finnland nach Schweden kam, war der kulturelle Unterschied nicht so groß. Aber in Frankreich, als wir beispielsweise ein Konzert mit lokalen Musikern vorbereiteten, meinte sie: « Wir müssen diese fröhliche Musik spielen ». Es war fast so, als hätten sie Angst, zu melancholisch zu sein. Ich denke, in unserer Kultur haben wir keine Angst, diese melancholische Seite zu zeigen. Wir haben keine Angst vor der Stille oder dem Minimalismus oder solchen Dingen.

Max: Wenn wir über eine Art nordischen Sound oder nordischen Jazz sprechen (viele unserer Hörer:innen haben das Gefühl, dass unsere Musik einen nordischen Touch hat), dann ist das für mich mit der Melancholie und den Moll-Tonarten verbunden. Die Moll-Stimmungen sind ein großer Teil der schwedischen Volksmusik. Man wächst damit auf, so dass es schwer ist zu erkennen, was unser persönlicher Stil ist und was in der nordischen Tradition und Kultur verankert ist. Aber ich denke, es gibt etwas an Minimalismus und Melancholie, das die Musik mit Schweden und den nordischen Ländern zu verbinden scheint.

Emil Brandqvist Trio © Steven Haberland
Emil Brandqvist Trio © Steven Haberland

Emil, neben Max und Tuomas bringst du auch andere musikalische Partner ins Spiel, wie zum Beispiel das Sjoströmska String Quartet. Wie verläuft da eure musikalische Zusammenarbeit — bei euren Aufnahmen und Konzerten?

Emil: Wir drei bilden das Fundament mit unseren Improvisationen, Melodien und Rhythmen — all die Dinge, die zwischen uns ablaufen. Aber dann kann man z.B. die Farbe eines Streichquartetts darüber legen und plötzlich passiert etwas anderes. Wie ich schon sagte, gibt es bei der Arbeit im Studio immer die Möglichkeit, mit vielen verschiedenen Instrumenten verschiedene Farben hinzuzufügen. Bei diesem Album haben wir, wie du bereits erwähnt hast, mit dem Sjoströmska String Quartet zusammengearbeitet. Ihre Instrumente verändern die Musik völlig. Ich war schon immer daran interessiert, verschiedene musikalische Farben zusammenzustellen und die Partitur in etwas Größeres zu verwandeln.

Tuomas: Ich bewundere Emils Fähigkeit, all diese Arbeit zu leisten, denn es gibt so viele Künstler:innen, die es sich einfach machen: Wenn man zu dritt ist, kann man einfach ins Studio gehen, die Musik aufnehmen, abmischen und mastern und dann das Album veröffentlichen. Aber Emil ist bereit, hart zu arbeiten. Ich bin immer wieder beeindruckt von seiner Fähigkeit, mit einfachen Melodien anzufangen, die bis zu diesen großen Arrangements zu gehen. Natürlich möchten wir einige der Lieder nur im Trio spielen, aber viele der Stücke sind große Kunstwerke. Ich denke, ein sehr wichtiger Teil davon ist, dass Emil die ganze Vision hat und auch bereit ist, die nötige Arbeit zu leisten — und das ist eine riesige Menge Arbeit! Ich denke, das ist etwas, was nicht viele Leute haben.

Max: Es sind zwei verschiedene Reisen, die gleichzeitig stattfinden. Unsere Aufnahmen im Studio sowie unsere Live-Performances. Meistens sind wir nur zu dritt, und es ist oft ein bisschen spontaner, manche Teile sind sogar völlig improvisiert. Ich habe auch oft das Gefühl, dass wir bei Live-Shows mit etwas mehr Energie spielen. Wir nehmen verschiedene Aspekte der Musik heraus und versuchen nicht, die Alben auf der Bühne exakt zu reproduzieren.

Was sind eure nächsten Projekte in der Zukunft?

Emil: Im Moment ist es sehr seltsam. Ich habe keine neuen Songs für das Trio, aber hoffentlich fange ich bald an, Sachen für ein neues Album in zwei Jahren oder so zu schreiben. (lacht) Der Fokus liegt jetzt auf den Live-Shows und der Veröffentlichung von Layers Of Life, und darauf, wie das Publikum diese Musik aufnimmt. Dieses Jahr werden wir weiterhin Shows in Deutschland, Schweden, Finnland und hoffentlich auch Frankreich spielen und sehen, wie die Leute auf das Album reagieren.

Tuomas: Und ich möchte gar nicht über all die anderen Projekte sprechen, die wir neben dem Trio haben. Ich würde es nicht wagen, solange der Chef hier ist... (alle lachen)


Das Interview wurde geführt von Lena Germann, 28. Februar 2023.

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