Rhythmus, Farben und Erinnerungsbilder. Von der Harlem Renaissance zur Avantgarde von heute. Erinnerung und Neubestimmung: Die metaphorische Bedeutung von Jazz in der Kunst.

Die Verbindung von Jazz und Kunst besteht seit den Anfängen des Jazz, seit dem Ragtime und später, in den 1920er-Jahren, der Kunst- und Literaturbewegung Harlem Renaissance in den USA und parallel in Europa. Romare Bearden und Norman Lewis malten Jazzbands in den Clubs von Harlem, Otto Dix inszenierte 1927 das „Jazzzeitalter“ auf seinem Triptychon „Großstadt“, Piet Mondrian beschrieb seine Abstraktionen als „Übersetzung von Jazz auf die Leinwand“. Abstrakte Expressionisten wie Mark Rothko, Robert Rauschenberg und Jackson Pollock waren von Jazz beeinflusst. Pollocks „Drip Paintings“ werden als Improvisationen auf der Leinwand gesehen, sein „White Light“ (1954) zierte das Cover von Ornette Colemans Album Free Jazz. Jean-Michel Basquiat malte 1983 das Triptychon „Horn Players“ mit Charlie Parker und Dizzy ­Gillespie, Louis Armstrong stellte er 1986 als „King Zulu“ dar. Der Dresdner Maler Ralf Winkler alias A. R. Penck spielte als Jazzschlagzeuger und gestaltete die LP-Covers für seine Band TTT, die etwa mit Peter Kowald (Bass) und Louis Moholo (Drums) auftrat. Auch Martin Kippenberger und Albert Oehlen waren von Jazz inspiriert, insbesondere vom dadaistischen, performativ-fluxusbetonten Ansatz des Schlagzeugers und Perkussionisten Sven-Åke Johansson, der auf Materialien wie Schaumstoff oder Karton spielt. Oehlen gab einigen seiner Arbeiten Jazztitel, etwa der „Conduction“-Serie als Hommage an die Aufführungspraxis des amerikanischen Improvisationsmusikers ­ Lawrence „Butch“ Morris.

Die gegenseitigen Einflüsse von Jazz und Kunst gehen bis zur heutigen Darstellung von Wynton Marsalis in Faith Ringolds „Wynton’s Tune“ (2004) oder Stan Douglas’ Videoarbeit „Luanda Kinshasa“ (2013), Arthur Jafas „Love Is The Message, The Message Is ­Death“ (2017) und Tyshawn Soreys Komposition „Monochromatic Light (After­life)“ für die Rothko Chapel in Houston, Texas. Das Stück wurde im Februar 2022 uraufgeführt, fünfzig Jahre nach Einweihung der gleichnamigen achteckigen Kapelle in Erinnerung an den abstrakten Expressionisten Mark Rothko. Das Werk des Komponisten und Schlagzeugers Sorey für Ensemble und Chor ist eine Hommage an Morton Feldmans Requiem „Rothko Chapel“ für seinen Freund Rothko und dessen letzte Serie von 14 großformatigen monochromatischen Arbeiten, die nur durch das Tageslicht von oben beleuchtet werden.

Rothkos Arbeiten beeinflussten auch den mittlerweile 76-jährigen Maler Stanley Whitney. Dessen Farbfeld-Anordnungen in Gelb, Orange und Blau, von einem Raster unterteilt, wirken wie eine Architektur aus Klängen, wie Notenlinien, auf denen Farben balancieren. Seit den 1970er-Jahren malt Whitney seine großformatigen Bilder, die von seiner Liebe zum Jazz inspiriert und gerade auf der Kunstbiennale in Venedig zu sehen sind, mit einer Kombination aus vorgegebener Struktur und Improvisation. Diesen kompositorischen Prozess vergleicht er mit dem „Call and Response“-Schema der Ursprünge von Blues und Jazz, bei dem eine Farbe eine andere hervorrufe und die Struktur des Werks bestimme. „Die Bilder sagen mir, was ich zu tun habe“, so Whitney. Für seine Galerie Nordenhake erstellte er während der Pandemie eine Playlist, die auf Spotify abrufbar ist, darunter Aufnahmen von Sun Ra und Ornette Coleman, nach denen er auch seine Bilder betitelt. Während seiner Arbeit im Atelier höre er jedoch ausschließlich das Album Bitches Brew von Miles Davis. Im Gespräch beschreibt er es als einen vertrauten Raum aus Klang, den er betritt, um sich darin vollkommen frei der Energie und dem Rhythmus der Musik hinzugeben. „Man wird sozusagen selbst zu Musik.“ In seiner langjährigen Beschäftigung mit dem Raster geht es ihm um die Frage, wie man die visuelle Ordnung aufbrechen und mit Musik und Poesie füllen kann. So sei er auf die Idee gekommen, die Farbblöcke zu stapeln, ähnlich Akkorden und tonalen Clustern. Rasse jedoch, so Whitney, der auch eng mit vielen Musikerinnen und Musikern, darunter Butch Morris, befreundet war, sei immer ein Faktor gewesen. So habe er für mehrere Jahre die USA verlassen und in Rom gelebt. Die Kunstwelt erwarte, dass man der hippe Schwarze Typ ist, doch er sei nie ein Entertainer gewesen.

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