"Rock'n'Roll will never die!" brüllen, ohne sich dabei lächerlich zu machen? Neil Young kann das. Seit mehr als einem halben Jahrhundert beweist der kanadische Riese, dass er einer der größten Singer-Songwriter seiner Generation ist. Er ist immer offen für Neues und hat den Rock sowohl aufs Land als auch über rauere Wege geführt. Zehn Alben zum Beweis.

Mit rund fünfzig Soloaufnahmen ist Neil Young einer der produktivsten Künstler in der Geschichte des Rock. Der eigenwillige und widerspruchsvolle Loner hat seit Ende der 60er Jahre vieles ausprobiert. Als Elektro-Rebell, Folk-Hippie, Neo-Cowboy und Vater des Grunge hat er Jahrzehnte und Stilrichtungen durchquert und es immer geschafft, alle Generationen anzusprechen. Trotz seiner häufig veränderten Frisur ist Neil Young – aufgrund seiner Freiheitsliebe und der Fähigkeit, seine Kunst immer wieder in Frage zu stellen – wie ein David Bowie imstande, dort erfolgreich zu sein, wo man ihn nicht erwartet hätte.

Everybody Knows This Is Nowhere (1969)

Wenige Monate nach dem Ende der Band Buffalo Springfield, mit der es ihm nie gelungen war, sich einen Namen zu machen, begann Neil Young seine Solokarriere mit einem (zu?) braven, nach ihm selbst benannten Album, das im Januar 1969 erschien. Dieses Album hatte trotz origineller Titel, wie die von Jack Nitzsche arrangierte Komposition The Old Laughing Lady, keinen großen Erfolg. Vier Monate später folgte das Gegenteil mit Everybody Knows This Is Nowhere, seinem ersten Meisterwerk, auf dem alle seine stilistischen und klanglichen Vorlieben vereint sind. Der 23-jährige Kanadier wird von Musikern begleitet, die später die Crazy-Horse-Band bildeten: der Gitarrist Danny Whitten, der Bassist Billy Talbot und der Schlagzeuger Ralph Molina. Er stand zum ersten Mal zu seiner Leidenschaft für Elektro und raue Gitarren (in den Klassikern Down by the River und Cinnamon Girl). In einem ungezügelten Rock'n'Roll-Ambiente mit fernen Anklängen an Folk und Country ließ Young hier viel Raum für Improvisation (etwas im langen Solo von Down by the River). Dieser ausufernde Stil, bei dem die Gitarren wie wilde Vollblüter freigelassen werden und seine ebenso entfesselte Stimme machen den Crazy-Horse-Sound so einzigartig, wild und spontan. Aber der kanadische Songwriter ist auch ein Experte für feinere und ruhigere Momente. In diesem Register ist Round & Round (It Won't Be Long) mit seinem berühmten, unnachahmlichen Falsett ein Meisterwerk an Subtilität. Ohne Zweifel, Neil Young war bereits seit 1969 an der Spitze.

After the Goldrush (1970)

Wenige Wochen nach Everybody Knows This is Nowhere unterzeichnete Neil Young einen gewinnbringenden Pakt mit David Crosby, Stephen Stills und Graham Nash, der im Album Déjà Vu Gestalt annahm: ein Hippie-Traum zu viert, der auf den ersten Platz der Charts aufstieg und seine Songwriter zu Weltstars machte! Er profitierte von diesem höllischen Arbeitstakt und veröffentlichte im Sommer 1970 – diesmal ohne Crazy Horse – sein drittes Soloalbum mit einigen seiner schönsten Liedern, die größtenteils in seinem Haus in Topanga Canyon, Kalifornien, aufgenommen wurden. Desillusionierung und Verwirrung trugen seine Texte auf eine höhere Ebene, seine Folk-Rock-Melodien sind wunderbar (Only Love Can Break Your Heart), wie auch seine Harmonien, von denen eine exquisiter ist als die andere (I Believe in You). Als Kind seiner Zeit waren ihm die Hippie-Utopien ebenso wichtig wie sein politisches Engagement in der berühmten Anti-Redneck-Hymne Southern Man (auf die Lynyrd Skynyrd mit Sweet Home Alabama antwortete). After the Goldrush ist in seiner perfekten Balance zwischen Rock, Folk und Country (der Loner covert Don Gibsons Oh, Lonesome Me) ein magisches Album. Eine Mischung, auf die sich Neil Young wie kein anderer versteht.

Harvest (1972) 

Für die breite Öffentlichkeit und viele Fans ist Harvest der Höhepunkt seiner Diskographie der 70er Jahre. Auf diesem vierten Album, das im Februar 1972 veröffentlicht wurde, glänzt die Kunst des Loners vor einem höchst melancholischen Hintergrund aus Country-Rock und Folk. Das Opus, eine Art alternativer idyllischer und ländlicher Gral, das zuweilen seine stürmische Beziehung zur Schauspielerin Carrie Snodgress, der Mutter seines ersten Sohnes Zeke, enthüllt, bietet beeindruckende Songs wie The Needle and the Damage Done, eine Ballade über die Heroinabhängigkeit seines Gitarristen Danny Whitten, der im November desselben Jahres an einer Überdosis starb, kurz nachdem Neil Young ihn aus der Band geworfen hatte. Doch trotz seiner Peace & Love-Glückseligkeit, zu der auch Crosby, Stills & Nash sowie James Taylor und Linda Ronstadt beigetragen haben, ist Harvest ein reiches, stürmisches und melodisch großartiges Werk. Ein weiteres makelloses Album, auf dem sogar die Geigen des London Symphony Orchestra (A Man Needs a Maid und There's a World) mit Sorgfalt und Geschmack eingesetzt wurden. Ein Album, das viele Generationen beeinflusst hat.

Time Fades Away (1973)

Neil Young ging mit seinem beliebten Harvest auf Tournee... Time Fades Away enthält acht Songs, die zwischen Februar und April 1973 live aufgenommen wurden (nur Love in Mind war schon im Januar 1971 entstanden). Der Kanadier spielte sie im Wesentlichen als akustisches Solo oder mit den elektrischen Stray Gators, die sich übrigens nicht ausstehen konnten (Ben Keith an der Pedal Steel und Slide-Gitarre, Jack Nitzsche am Klavier, Tim Drummond am Bass und Johnny Barbata am Schlagzeug). David Crosby und Graham Nash sind in einigen Titeln als Gäste zu hören. "Es ist mein schlechtestes Album! Aber dadurch, dass es dokumentiert, was mir damals passierte, ist es großartig. Ich stand auf der Bühne und spielte diese Lieder, die niemand zuvor gehört hatte, ich nahm sie live auf und ich hatte nicht die richtige Band. Es war eine chaotische Tournee. Ich fühlte mich wie ein Produkt und war mit dieser Gruppe von Stars unterwegs, die nicht miteinander auskommen konnten." Nachdem es im Oktober 1973 herausgekommen war, verriss der Kanadier das Live-Album völlig und wollte es beim Aufkommen der CD zu Beginn der 80er Jahre nicht neu veröffentlichen! Das Publikum wollte ein neues Harvest, während er, der gerne gegen den Strom schwamm und noch immer unter dem Schock von Danny Whittens Tod im Alter von nur 29 Jahren stand, ganz andere Wunder produzierte. Sie verbreiteten den Geruch von Tod, Unbehagen und Schuldgefühlen, ein brutales Spiegelbild dieses Amerika voller Zweifel, mit Nixon im Weißen Haus und Studenten an der vietnamesischen Front. So wie die Vision eines zerstörten Los Angeles in LA, einem irren Elektrorausch, oder im abschließenden, ebenso apokalyptischen Last Dance. Wie immer bei dem stark geprüften Mann hellt sich die Katerstimmung ab und zu durch wunderschöne Melodien auf: etwa in Don't Be Denied, wo er Kindheitserinnerungen an die Scheidung seiner Eltern mit seinem Dasein als Star mit vollem Bankkonto, aber einer leeren Seele verknüpft. Die folgenden Alben sollten nicht unbedingt lustiger, aber dafür kraftvoller werden...

On the Beach (1974)

On the Beach erschien neun Monate nach Time Fades Away. Das hatte Neil Young so aber nicht geplant: Seine Plattenfirma weigerte sich, das kürzlich aufgenommene Album Tonight's the Night zu veröffentlichen, weil sie es zu deprimierend fand. Eine paradoxe Entscheidung, denn On the Beach war auch nicht gerade fröhlich... Drogen, Zweifel, der Tod nahstehender Menschen und ein Hippie-Traum, der sich im Kopf von Neil Young, der seine dunkelste Zeit durchschreitet, immer weiter in Luft auflöst. Sein untypischer Folk im Paso-Doble mit klebrig-giftigem Elektro-Blues. Und seine Texte schlängeln sich zwischen schonungsloser Introspektion und bissigen Abbildungen des Zeitgeistes hindurch. In Revolution Blues spricht er vom mörderischen Wahnsinn von Charles Manson (den er gekannt hatte) und in Vampire Blues greift er die Ölindustrie an. Ambulance Blues handelt von der Entführung von Patty Hearst und der Watergate-Affäre. In Motion Pictures (For Carrie) geht es um seine Beziehung zu Carrie Snodgress. Mit der Zeit ist diese grandiose Karambolage zu einem Klassiker geworden. Ein beunruhigender Klassiker wie das Cover, auf dem Neil Young am Strand in einer gelben Anzugsjacke mit dem Rücken zur Kamera posiert, mit Blick aufs Meer. Im Vordergrund ein Cadillac, der neben einem geblümten Sonnenschirm im Sand steckt, an dessen Fuß eine Tageszeitung mit der Überschrift "Senator Buckley fordert Nixon zum Rücktritt auf".

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