Pianist, Dirigent, Komponist und Pädagoge: Leonard Bernstein führte ein ziemlich erfülltes Leben. Der Komponist von West Side Story und einer der wichtigsten Figuren der amerikanischen Musik führte die unterschiedlichsten Welten zusammen: den Belcanto, Mahlers Romantik, Jazz-Rhythmen, seine Lehrer Walter Piston und Aaron Copland sowie den Broadway.

Bernstein und vielfältig? Auf jeden Fall, aber seine Musik ist noch viel mehr als das! Sie hat den Sinn dieses Wortes erweitert und den negativen Beigeschmack entfernt, dem die Europäer ihm gerne mal anhängen, indem sie eine überreichliche Masse an verschiedenen Stilen als schädlich für die Kunst empfinden. Darüber scheint man sich in Amerika von Gershwin bis John Adams so überhaupt keine Sorgen gemacht zu haben. Dies ist wahrscheinlich der Grund, wieso der Komponist Bernstein auf unserer Seite des Atlantiks nie so richtig Fuß gefasst hat. Von seinen Theaterkompositionen mal abgesehen, welche seit geraumer Zeit große Erfolge einheimsen können. Von Trouble in Tahiti bis hin zu Candide, ohne dabei On The Town und West Side Story zu vergessen, wurden viele davon in Europa aufgeführt. Viel zu oft werden dabei seine drei Symphonien, seine Serenade, Songfest, das Divertimento, Aria and Barcarolles sowie Jubilee Games vergessen, ganz zu schweigen von Chichester Psalms, Dybbuk und Mass, die von der existentiellen Frage des Glaubens handeln und in welchen die Musik geradezu überirdisch erscheint. Denn mal ehrlich, wer, außer seinen eigenen Schülern, spielt die pulsierende Jazzmusik aus seiner Prelude, Fugue and Riffs? Auch seine Pianokompositionen sind nicht besser dran. Und das trotz all der unglaublichen Feinheiten in seinen kostbaren Anniversaries-Heften. Diese wurden zuerst einmal „im kleinen Komitee, bei ihm zuhause während des Abendessens“ gespielt, erinnert sich der Pianist Jay Gottlieb: „Wie Skizzen, Portraits, die seiner Frau Felicia, Freunden und seinem engsten Umkreis gewidmet waren… Mehrere wurden herausgebracht und sogar öffentlich aufgeführt, aber Berstein wollte ihren eher intimen Charakter beibehalten.“

Wie allen großen Künstlern gefiel es auch Bernstein, sich alle möglichen Stile anzueignen und dann nur das Wesentliche davon zu behalten, um etwas Neues zu erschaffen. Es wäre sinnlos, herausfinden zu wollen, welche einzelnen musikalischen Traditionen bei ihm vorzufinden sind… Meint man Bruchstücke jüdischer Folklore herauszuhören, so erklingen kurz darauf latein-amerikanische Rhythmen, um diesen Anschein direkt wieder vom Tisch zu wischen. Und so wird Mahler mal mit einem Jazzriff modernisiert, mal erscheint Berg plötzlich auf der Bühne des Broadways – was für ein verblüffender Bernstein! Musikologen, die eine gewisse Tradition pflegen, reißen sich die Haare daran aus, die verschiedenen Einflüsse in seiner Musik erkenntlich zu machen und zu identifizieren. Vom Ende der 30er Jahre an wird er Teil von The Revuers, einer Truppe, die von Adolph Green und Betty Comden kreiert wurde: dem legendären Textdichter-Paar, dem man Kinoerfolge wie Du sollst mein Glücksstern sein, Vorhang auf! und Anruf genügt - komme ins Haus zu verdanken hat. Obwohl sein Studium in Harvard noch nicht abgeschlossen ist und er noch die Grundkenntnisse des Dirigierens bei Serge Koussevitzky in Tanglewood erlernt, arbeitet er bereits an der Musik zu The Girl With the Two Left Feet für die Greenwich Village-Bühne. Der Broadway schlummert bereits in seinen Gedanken. Übrigens ist in diesem Team neben Alvin Hammer und John Franck die spritzige Stimme von Judith Tuvim zu hören, welche später unter dem Namen Judy Holliday zu Erfolg gelangt. Ein bezauberndes Zeitdokument aus dem Jahre 1940, das zum Glück aufgenommen wurde! (*)

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