Martin Kohlstedt
Martin Kohlstedt bewegt sich mit seinen Klavierstücken irgendwo zwischen E- und U-Musik. Dabei vermischt er seine Piano-Töne oftmals mit Geräuschen, Elektronik und Chören. Damit schafft er es sowohl in die Hamburger Elbphilharmonie als auch auf popmusikalische Festivals.
Oftmals bezeichnen Kritiker seine Musik als "Neo-Klassik" oder "Klassik-Rave". Jedoch hält es Kohlstedt nicht so mit Schubladen. Vielmehr interessiert er sich für die Reibungspunkte zwischen organischen und artifiziellen Klängen.
Er komponiert für seine Alben und seine Konzerte Themen, die er zu Modulen weiterentwickelt. Diese Module bauen sich bei seinen Liveshows wie Legosteine zu Soundgebäuden auf. Jedes seiner Themen interpretiert er dabei kontinuierlich neu, so dass sie sich mit jedem Auftritt verändern. Die Themen besitzen auch keine Titel, sondern Buchstaben-Codes, so dass die Musik eine Menge Interpretationsspielraum offen lässt. Für die Vorgehensweise verwendet Kohlstedt die Bezeichnung "modulares Kompositionskonzept".
Kohlstedt kommt am 24. Januar 1988 im thüringischen Breitenworbis auf die Welt, wo er auch aufwächst. Dort gelten noch ostdeutsches Leistungsdenken und erzkatholische Werte, so dass Musik nur in der Kirche oder am Lagerfeuer stattfindet. Zum Glück steht im Elternhaus ein Klavier, auf dem Kohlstedt gerne stundenlang improvisiert. Dieses Kindliche, Intuitive bewahrt er sich auch später in seiner Musik.
In seiner Jugend besucht er die Musikschule in Leinefelde. Nach fünf Jahren als Autodidakt am Piano bekommt er dort musiktheoretische Grundlagen vermittelt. Seinen Oberstufenabschluss absolviert er am Jazz-Klavier. Danach geht er nach Weimar, um an der Bauhaus Universität ein Medienkunst-Studium zu beginnen. In der Kulturstadt probiert er sich neben dem Studium in mehreren musikalischen Projekten aus.
In Erfurt schließt er sich dem Zughafen, dem Künstlernetzwerk rund um Clueso, an, das sich von seinem Hip Hop-Projekt The Awesome Soundsystem begeistert zeigt. In diesem musikalischen Umfeld lotet er stilistische Grenzen aus. Dennoch möchte er sich wieder aufs Klavier rückbesinnen. Deswegen gründet er die Musikproduktionsfirma Mamaro, um neben kommerziellen Projekten auch eigene Filmsoundtracks und Science-Fiction-Hörspiele zu veröffentlichen.
Im Anschluss bricht er sein Studium ab, um sich ganz auf die Musik und das Label zu konzentrieren. 2012 hebt er in Leipzig die Plattenfirma Edition Kohlstedt aus der Taufe, um diverse Kooperationen in der Musikindustrie einzugehen, sich aber auch von den etablierten Abläufen dort zu distanzieren.
Seine ersten beiden Alben "Tag" und "Nacht" erscheinen 2012 und 2014 und bilden eine zusammengehörige Einheit. Auf den beiden Platten konzentriert sich der Thüringer ganz auf sein emotionales und rauschhaftes Solo-Piano-Spiel. 2013 und 2015 gesellen sich noch die beiden Remix-Scheiben "Tag Remixes" und "Nacht Reworks" dazu. Bei Kritikern und Veranstaltern stößt Kohlstedt damit auf offene Ohren. Bei der Weltausstellung EXPO 2015 in Mailand tritt er im Deutschlandpavillon auf. Auch international populäre Festivals wie das Reeperbahn Festival oder das SXSW Festival in Texas bespielt er.
Mit den nachfolgenden Soloalben rückt er vom Solo-Piano ein wenig ab. "Strom" von 2017 weist neben reinen Klavierstücken auch mehrschichtige Kompositionen mit Klavier- und Elektronikkomponenten auf. "Ströme" enthält sowohl ältere als auch neue Module, die mit eigens dafür entwickelten Chor-Kompositionen für den Leipziger GewandhausChor verschmelzen.
Dazwischen bestreitet der Komponist, Musiker, Pianist und Produzent Ende 2017 einen umjubelten Auftritt in der ausverkauften Elbphilharmonie in Hamburg. Shows mit dem Leipziger GewandhausChor und eine Solo-Tournee durch Deutschland, Österreich und die Schweiz folgen 2019.
Sein nächstes Album "Flur" spielt Martin Kohlstedt während der Corona-Pandemie 2020 zu Hause in seiner Dachgeschosswohnung in Weimar am Klavier ein. Dabei lässt er auch Klänge aus der Natur in das Werk mit einfließen. Zudem legt der zurückhaltende Thüringer, der sich normalerweise als Perfektionist sieht, auch diesmal mehr Wert auf das Unvollkommene und Unverfälschte, so dass sein bislang intimstes Werk bleibt.
Wenn er mal nicht hinter dem Piano sitzt, dann kümmert er sich um ein Baumprojekt, das er in Weimar initiiert hat, um sich gegen den Klimawandel einzusetzen.
© Laut
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