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Pongo

Als Engrácia Domingues unter dem Namen Pongolove zur Gruppe Buraka Som Sistema stößt, ist sie Teenager. Zu dieser Zeit, 2008, bricht die reduzierte elektronische Musik des portugiesischen Sound-Kollektivs etliche Hörgewohnheiten. Kuduro, einen angolanischen Tanzstil, heben sie auf eine neue Ebene, in einem düsteren, mit Grime gekreuzten Stimmungsbild – andererseits trifft die tropische Ausgelassenheit von Moombahton, einem neuen Subgenre der House Music mitten in die Knie. Pongolove hüpft über die Bühne, und man lernt sie mit wuscheligen Locken kennen, passend auch zum damaligen Äußeren der Frontfrau des Buraka Som Sistema, Blaya Rodrigues. Pongolove, geboren um 1991 bis '93 – die Angaben schwanken – ist ein paar Jahre jünger als die '87 geborene Blaya und erobert mit ihren Gastgebern Platz 1 der portugiesischen und spanischen Charts – "Kalemba (Wegue Wegue)" heißt der Hit, "Black Diamond" das Album, und das Soundsystem setzt sich hell-/dunkelhäutig-'mixed' zusammen. Buraca, so heißt ein Stadtteil von Amadora. Die einstige Nachbarstadt von Lissabon ist mit dieser zusammengewachsen. Es ist eine typische Vorort-Gegend, in der viele Familien mit Migrationshintergrund leben, Buraka Som Sistema in Buraca, Pongos Familie in den Suburbs von Pontinha, insgesamt wohnen etwa 180.000 Leute in Amadora auf engstem Raum. Pongo a.k.a. Pongolove a.k.a. Engrácia stammt aus Angola. Als sie dort in der Hauptstadt Luanda zur Welt kommt, beherrschen Unruhen, Gewalt, Bürgerkriegsszenen die Tropenmetropole. Damals leben dort circa zwei Millionen Menschen, Stand 2014 sind es fast sieben Millionen Menschen – obwohl etliche längst geflohen sind. In der Schule in Portugal erlebt Pongo Rassismus: "Sie sagten 'Geh zurück in dein Land', 'du hast ja gar keine richtigen Klamotten'", ich musste dann eine Klasse wiederholen und schließlich die Schule wechseln, weil es so schlimm war." Sie kann Portugiesisch, da dies die Verkehrssprache auch in Angola ist, bis 1975 portugiesische Kolonie. Aus diesem Grund entschieden sich Pongos Eltern für Portugal. Doch man hört Pongos fremdländischen Akzent heraus, wenn sie Portugiesisch spricht – die Mitschüler machen sich auch darüber lustig. Pongos Eltern sind noch unter der portugiesischen Diktatur groß geworden, die auch mehrere Länder Afrikas im Würgegriff hielt. Als billige Arbeitskräfte werden sie gebraucht. Pongos Papa arbeitet auf dem Bau, ihre Mama als private Haushaltshilfe und Reinigungskraft. Der Papa ist nebenbei Kuduro-Tänzer. Das Geld reicht hinten und vorne nicht, um Pongo und ihre Geschwister angemessen durchzubringen. Es fehlt tatsächlich an Geld für Schuhe und Kleidung, Pongo wird entsprechend gehänselt. Als ihr Vater beginnt, ihre Mutter zu schlagen, dann auch sie und ihre Schwestern, weil man das in Angola als Mann so mache, überspielt sie die Erlebnisse zuhause nicht lange. Zur Polizei zu gehen, stellt sich aber als weniger gute Idee heraus: Polizisten missbrauchen sie sexuell, als sie dort vorstellig wird. In der Schule vertraut sie einem Lehrer an, was passiert. Sie begreift, dass zwei Dinge sie aus der Misere ihres Milieus herausbringen können: Bildung und Musik. Sie eignet sich viele Skills an und bemüht sich auch, besser Englisch zu lernen, was schwer fällt. Musik heißt für sie zunächst Kuduro-Tanz. Ihr Vater unterstützt sie darin nicht. Musik, das weiß er aus eigener Erfahrung, stellt keine Sicherheit dar, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein Zufall hilft Pongo. Sie muss wegen einer gebrochenen Rippe – Pongo stürzte mehrere Stockwerke aus einem offenen Fenster – bei einem Physio-Spezialisten in der Nachbarstadt Queluz behandeln lassen. Dort kommt sie nur mit dem Zug hin und muss vom Bahnhof noch eine Weile laufen. Auf dem Weg stoppt sie jede Woche bei einer Gruppe von Jungs, die Kuduro tanzen, freundet sich mit ihnen an. Für sie steht fest: Dort muss sie hinziehen, das will sie machen! Mit der gebrochenen Rippe kann sie immerhin noch rappen, zu den Bewegungen der Tänzer. Rap und Kuduro-Tanz fließen später bei ihr mit der Melancholie des brasilianischen Samba und Samba-Soul, auch einer Musik des portugiesischsprachigen Raums, und mit modernen elektronischen Beats zusammen. Doch es dauert lange, bis sie für ihre Rezeptur die passenden Songs beisammen hat. "Ich ziehe es vor, die traurigen Abschnitte meines Lebens zu verdrängen und statt dessen über meine Kindheit in Angola zu singen, mich an all die Anekdoten zu erinnern, die es wert sind gesungen zu werden. Kleine Spiele, die ich mit meinen Freunden dort machte, wie wir tanzten, was wir für Slang-Wörter benutzten. Da gibt es unendlich viele Geschichten", erzählt Pongo dem Blog Pan-African-Music.com. Im Frühsommer 2019 erscheint mit "Baia" ihre erste EP. Dafür entwirft der im Rap- und Trap-Umfeld aktive DJ 20Syl, der für Diam's gearbeitet hat, einen Remix des Songs "Kuzola". Die Nummer wird zum Streaming-Hit, lanciert vom französischen Mode- und Elektropop-Label Kitsuné. Nun steht Pongo der Weg ins Ausland frei. Auftritte in Paris, London und Berlin folgen. Bei der ersten Promo-Reise lernt Pongo bereits Hindernisse kennen wie den Streik des französischen Flugpersonals und natürlich die Sprachbarriere: Portugiesisch kann unterwegs fast niemand mit ihr sprechen. Sie muss sich auf Englisch mitteilen. In ihren Songs bleibt sie, auch auf der zweiten EP "Uwa", bis auf wenige englische Zeilen, Anfang 2020 noch bei Portugiesisch. Und bei Kimbundu, einer Sprache aus dem Norden Angolas. Im Norden grenzt Angola an den Kongo an. Dort gab es eine 1990 verstorbene feministische Sängerin namens M'Pongo Love. Von ihr trägt sie den Künstlernamen Pongo weiter. Die Haare sind jetzt stoppelkurz und golden gefärbt. Für eine Karriere in der elektronischen Bassmusik passt das.
© Laut

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