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Martha Reeves & The Vandellas

"Mir wurde direkt zum ersten Mal gesagt: 'Hier ist der Star der Show, und das bist nicht du'", resümiert Soul-Star Martha Reeves einen Schlüsselmoment, den sie mit ihrem Chef Berry Gordy erlebte. Sie war von einer Londoner Musikkollegin ins englische Fernsehen vermittelt worden. Doch als Gordy das spitz kriegte, tauschte er Martha und die Vandellas gegen Diana Ross und die Supremes aus. In einem Interview mit dem Sender ABC, Jahrzehnte später, redet sich Reeves in Rage. "Er erzählte mir nicht mal davon. Er hatten einen Plan für die Supremes. Die standen bei ihm ganz oben auf der Tagesordnung. Für jemand wie mich blieb da eigentlich nur: 'Tu, was dir gesagt wird.' Denn es war seine Firma. Aber ich protestierte! Denn ich fühlte mich im Stich gelassen." Erst 1994 rechnet Reeves in einem Buch mit dieser Zeit ab, und die liegt da schon 30 Jahre zurück. Benannt ist es nach dem Superhit "Dancing In The Street" - in Deutschland der größte Erfolg der Gruppe Martha and the Vandellas. Das Potenzial: Riesig! Am Anfang der Vandellas-Geschichte steht die Motown-Legende Marvin Gaye! Martha Rose Reeves wächst in Michigans Metropole Detroit auf. Die Mama, Ruby Reeves, bringt ihre Kids mit Kirchenchor und Vocal Jazz-Standards in Kontakt. Martha steppt außerdem als Cheerleaderin auf heißen Rhythmen. Und als sich mit 16 für sie die Frage stellt, was sie denn so mit ihrer Zukunft anfangen würde, gibt es keinen rechten Plan. Aber einen großen urbanen Trend: Doo-Wop! Den will sie leben. So lässt sie sich für Auftritte in Nightclubs engagieren, wobei dort eher die Jazz-Standards gefragt sind. Und es eigentlich nicht 'Night' ist: "Ich musste zwischen fünf und zehn Uhr abends auftreten, in der 'Happy Hour', um den Bus zurück nach Hause zu bekommen. Denn mein Vater hätte mich nach Mitternacht gar nicht mehr ins Haus gelassen", plaudert Reeves im Gespräch mit Signed Media. Sie schließt sich einer Gruppe namens The Del-Phis an. Zum finanziellen Überleben übt sie dennoch eine Reihe anderer Gelegenheits-Jobs aus, zum Beispiel im Verkauf. Als sie bei einem Auftritt der Del-Phis entdeckt wird, lockt man sie als 'Sekretärin' zu Motown Records. Ihre Hauptaufgabe wird es, nicht Diktate abzutippen. Auch nicht, welche zu sprechen, sondern: welche zu singen! So sollen sich die Background-Sängerinnen in der Hitfabrik die Texte und Akkordfolgen neuer Lieder schnell auditiv einprägen. Der Künstlerbetreuer findet die Resultate der Sängerinnen oft nicht so toll. Die Vorlagen von Martha gefallen ihm besser. Ihre Del-Phis sind erst ein Vokal-Quartett, dann ein Trio. Dazu gehört Rosalind Ashford, geboren am 2. September 1943, damals noch in der Pubertät. Sie bringt die typische Kirchenchor-Erfahrung ein, beweist sich als talentiert im Tanzen. Auftritte bekommen die Del-Phis bei Schul-Feiern, Veranstaltungen christlicher Jugendverbände oder Privat-Partys. Entdeckt vom Motown-Mitarbeiter Mickey Stevenson, Manager und Songwriter, singen die Del-Phis Background für Marvin Gaye in mehreren Songs, darunter seinem Hit "Stubborn Kind Of Fellow". Die Mädchen bekommen in der Besetzung Annette Beard, Rosalind Ashford und Martha Reeves einen Vertrag unter dem Namen Martha and the Vandellas und landen sofort Hits. Die zweite Single "Heat Wave" schießt auf die Vier der US-Charts, bald gefolgt vom gleichnamigen Album. Zwischen Debütalbum und zweitem Longplayer liegt nur ein Vierteljahr. Die beliebte Stand-alone-Single "Quicksand" (Platz 8) wird getoppt von "Dancing In The Street" (Rang 2). An dem Tag, als die Vandellas den Song einstudieren, es ist der 19. Juni 1964, empfiehlt Marvin Gaye den Girls im Studio eine Instrumentalfassung von "Dancing In The Street". Gaye trommelt darauf. Schneeketten aus Stahl und ein Brecheisen aus dem Auto von Produzent Ivy Jo Hunter sind auf der Bass-Drum befestigt, so dass deren Schall mit einer gewissen Wucht herüber kommt, schleppend und massiv wirkt. Stevenson hatte die berühmte Idee mit den Hydranten: Kindern, die auf der Straße die Zapfsäulen der Feuerwehr aufschrauben, um im Sprudelstrahl der Wasser-Hydranten zu tanzen. Der Track ruft unzählige Cover-Versionen auf den Plan. Die bekanntesten und bedeutendsten sind von den Kinks (1965 auf "Kinda Kinks"), den Grateful Dead (ab 1966 live als XL-Deepfunk, dann 1977 auf dem Album "Terrapin Station"), von Van Halen (1982 auf "Diver Down") und von den Leningrad Cowboys als Mitgröl-Sause (1994). Eine der schlechtesten Aufnahmen wird die meistverkaufte, mit Mick Jagger und David Bowie im Duett (1985). Der Songtext nennt 1964, in Zeiten des Aufbegehrens gegen die US-'Rassen'trennung, genau die Namen der Städte, in denen es am meisten rumort. Zeilen wie "Callin' out around the world" und "let's form a big strong line" wirken wie ein Aufruf zum lauten sichtbaren Protestmarsch, der knallende Beat unterstreicht das. In den Worten des Musikkritikers Dave Marsh: "In dem Maße, wie Marthas Stimme die Verkörperung dessen war, was sich bereits auf den Straßen abspielte, fungiert das Schlagzeug als Prophezeiung dessen, was sich in der noch viel raueren Realität abzeichnen würde." Unbeabsichtigt wird das ursprünglich nur als Sommer-Laune-Hit gedachte Lied zum ersten Symbol-Song der Auflehnung gegen die Ungleichbehandlung von 'Weiß' und 'Schwarz', wie sie in der Gesetzgebung noch tief verankert war. Und zum Signature-Song von Martha Reeeves und ihren Vandellas. Entsprechend muss das zweite Album "Dance Party" heißen. Spannend auf der Platte ist im übrigen auch das Marvin Gaye-Cover "Hitch Hike". Die Vandellas-Version des "Jimmy Mack" (1967) setzt die Hit-Serie fort. Die nächsten Hits heißen "Love Bug Leave My Heart Alone", "Honey Chile" und "We've Got Honey Love" und stammen von der LP "Ridin' High". Doch mit dem Abgang von Marthas Entdecker Mickey Stevenson, der die Firma Motown verlässt, und mit dem Ausscheiden von Sängerin Betty Kelly, die zu manchen Show-Terminen nicht erscheint und sich mit Martha in die Haare gerät, setzt Unruhe ein. Songautoren, Musiker, Sängerinnen rund um Martha wechseln. Sie selbst leidet immer mehr unter dem Druck des Showbiz und 'funktioniert' nur mehr vollgepumpt mit Schmerzmitteln, die sie aufputschen und abhängig machen. Die Nebenwirkungen kompensiert sie mit weiteren Analgetika. Motown gewährt ihr keine Auszeit. Für Betty rückt Marthas gerade 18 gewordene Schwester Lois als neue Vandella nach. Sie kümmert sich fortan auch ums Geschäftliche, wird Bookerin und Tourmanagerin der Gruppe. Als dritte Stimme wird kurz darauf nach einem Rausschmiss Rosalinds dann die bereits bei Motown aktive Sandra Tilley an. Wer wirklich auf den Aufnahmen singt, wird zur Formsache. Ein Teil der folgenden Einspielungen bestreitet eine andere Gruppe, The Andantes. Lois und Sandra prangen derweil als Gesichter auf dem Cover des Albums "Sugar'n'Spice" oder treten als Vandellas im TV auf. Parallel dreht sich auch bei den Supremes das Personalkarussell. Die Motown-Erfolgsrezepte scheinen an ihr Ende zu kommen. Dennoch: Martha bekommt sich nach ihrer persönlichen Krise wieder in den Griff, landet im Februar 1970 ihren größten Coup und wendet das Blatt fürs Label. Mit einem Lied, das viele Radio-Stationen nicht auflegen. "I Should Be Proud" ist vordergründig ein Liebeslied, handelt aber davon, wie eine junge Frau ihren Freund vermisst. Der fiel aber für die US-Armee in Vietnam. Der Song setzt sich damit auseinander, wie sie diese Nachricht erhält und verarbeitet. Einer der Brüder der elf Geschwister reichen Martha war gerade tatsächlich in Vietnam als Soldat ums Leben gekommen. Trotz des Airplay-Boykotts wird der Song immerhin ein Platz 80 in den Charts und signalisiert im Hause Motown, dass man über Polit-Songs nachdenken könnte. So räumt Reeves die Bühne frei für Marvin Gayes "What's Going On" (Januar 1971), das visionäre "Mercy Mercy Me (The Ecology)" (Fridays for Future-Rhetorik im Juni 1971) und "Inner City Blues (Make Me Wanna Holler)" (September '71), außerdem für Stevie Wonders Rassismus-Studie "I Wanna Talk To You" (April 1971) und weitere kritische Songs, die z.B. auf Vietnam anspielen, auf der LP "Where I'm Coming From", ferner die sozialkritische Familienstudie "Papa Was A Rollin' Stone" der Temptations (1972) - um nur ein paar zu nennen. Mit dem Umzug der Plattenfirma nach Los Angeles lässt Berry Gordy die Vandellas dann nach dem ziemlich schönen Album "Black Magic" fallen. Keine der Sängerinnen möchte an die Westcoast ziehen. Martha hat gerade einen kleinen Sohn zur Welt gebracht. Lois Reeves bleibt grundsätzlich in Detroit, tourt aber mit den Temptations und singt für sie als Vor-Act in einer neuen Dreier-Gruppe namens Quiet Elegance. Ein Label-Kollege von Al Greens wirbt die drei Sängerinnen dann als Background-Stimmen für die Auftritte des "Let's Stay Together"-Sängers ab. Weitere Jobs findet Lois bei einer Bürgerrechts-Organisation und beim Detroiter Sinfonieorchester. Auch Martha hält ihrer Heimatstadt die Treue. Ihre nächste Plattenfirma residiert wiederum in Kalifornien. Für einen Soundtrack steuert sie den Titeltrack bei, "Willie D" über die Hauptfigur "Willie Dynamite" - und ihr zweites Kind heißt dann Willie Dee. Vom Soundtrack zum Film: Über L.A. liegt immer ein Hauch Hollywood-Luft, und so nimmt Reeves dann dort Schauspielunterricht. Immerhin, ihr Talent reicht für manche Fernsehproduktion. In der Musikindustrie folgt sie als nächstes dem Ruf des Whitney Houston-Entdeckers Clive Davis an die Eastcoast. Ein Album entsteht in New York fürs renommierte Arista-Label, dann ist die Soul-Expertise der wiederum in L.A. beheimateten Firma Fantasy Records gefragt. Nachdem die LPs kaum noch was einspielen, wechselt Martha an den Broadway und wirkt an einem Musical mit. Die geschasste Betty Kelly zieht unabhängig von der Musik nach Kalifornien und arbeitet fortan in einem Kreditinstitut am Schreibtisch. Sandra Tilley wird Hausfrau, zieht nach Texas und stirbt 1983 nach schwerer Krankheit in jungen Jahren. Rosalind Ashford arbeitet schlicht und einfach im Büro für die staatliche Telefongesellschaft von Detroit und ganz Michigan. Dass der Verdienst dort nicht an Gagen von Stars heran reicht, ist die eine Sache. Dass die Gagen und Tantiemen der Vandellas im Missverhältnis zu ihren hohen Verkaufszahlen und stattlichen Charts-Erfolgen stehen, ist die andere Sache. Nachdem der Kino-Blockbuster "Good Morning, Vietnam!" Unsummen einspielt, fällt es auf: Eigentlich müssten für die Vandellas-Aufnahme "Nowhere To Run" dort im Soundtrack eigentlich Tantiemen fließen. Nachdem die Song-Lieferanten Holland, Dozier, Holland bereits vorgemacht haben, wie man gegen Motown klagt, ziehen 1989 Reeves, Ashford und ihre erste Trio-Kollegin Annette Beard nach. 1995 macht dann Songautor Richard Morris, der für die Vandellas einige Hits verfasst hatte, Anspruch auf ausstehende Vergütung gegen Berry Gordy geltend. Eine englische Plattenfirma spezialisiert sich zu dieser Zeit aufs Ausgraben alter Motown-Acts und nennt sich frech Motorcity Records. Das Label produziert mit Lois Reeves die Disco-Nummer "Patience Is A Virtue" und mit Annette und Rosalind den Song "Step Into My Shoes". In den 90ern schreibt Martha ihre Autobiographie. 2004 erscheint ihr selbst produziertes Album "Home To You". Danach lässt sie sich in den Stadtrat der Motor City wählen. Ihre Vandellas heißen nun Lois und Delphine Reeves, ihre beiden Schwestern - während Rosalind und Annette ihrerseits als 'The Original Vandellas' Auftritte absolvieren. 2011 filmt VH-1 einen Auftritt, bei dem Sharon Jones an Marthas Seite eine Vandella mimt. Ab 2012 kann man die Seniorin wieder für Tourneen buchen. Auch mit 82 Jahren lässt sie sich im Jahr 2023 bei einigen Shows in den USA blicken. Einer der weltweit größten Fans der Gruppe dürfte Phil Collins sein, der vier Hit-Singles der Vandellas nachgesungen hat. Martha Reeves geht in die Geschichte als eine der besten Soul-Sängerinnen ein, sowohl in hoher Stimmlage als auch, was 'uptempo'-Stücke betrifft. Das Vermächtnis der Sängerin fasst die Feminismus-Autorin Cary O'Dell so zusammen: "Dancing In The Street" sei einer der wichtigsten Motown-Songs, teils trotz seiner Absicht eine mächtige Hymne und insgesamt eines der maßgebenden Werke der Popmusik.
© Laut

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