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Biosphere

Biosphere ist Geir Jenssen. Geir Jenssen macht ruhige, elektronische Musik. Also Ambient, wenn man denn ein Prädikat anheften möchte, das ungefähr das ausdrückt, was der Norweger in seinem Klanglabor so fabriziert. Was der Gute in unregelmäßigen Abständen in die Welt hinaus lässt, hebt sich qualitativ jedoch locker von 99% des übrigen Ambient-Quatsches ab. Für ihn gilt auf dem elektronischen Sektor, was ein Matthew Robert Cooper mit Eluvium im organisch klingenden Bereich macht: Geir Jenssen ist Visionär im wahrsten Wortsinne. Seine Kollagen, die er zusammen fügt, lassen Bilder vor dem inneren Auge entstehen. Das passt. Ist Jenssen doch ein anerkannter Naturfotograf und Bergsteiger noch dazu. Es ist ja auch praktisch, wenn man auf einem einsamen Gipfel steht, in die Ferne blickt und gleich den passenden Soundtrack zum sich bietenden Panorama in der Tasche hat. Was seinem Sound aber vollkommen abgeht - und das ist auch ganz gut so - ist das mystisch verklärte spirituelle Trallala, das viele Ambient-Produktionen umgibt. Seine ersten musikalischen Gehversuche wagt der Norweger mit dem Projekt E-Man, dessen gleichnamiges, minimalistisch wavig geprägtes Debüt 1984 erscheint. Danach schließt er sich einer wavig angehauchten Synthierock-Band namens Bel Canto an. Nachdem er Mitte der Achtziger sein Archäologiestudium hinwirft, musiziert er mit Anneli Marian Drecker und Nils Johansen im Stile der Cocteau Twins, nimmt zwei Alben auf (1987: "White-Out Conditions", 1989: "Birds Of Passage"), verabschiedet sich danach jedoch. Auf der Stelle treten ist nämlich nicht sein Ding, neue Herausforderungen warten. Und diese sucht er sich in elektronisch generierter Musik. Unter dem Pseudonym Bleep veröffentlicht Geir vier Singles und ein Album ("North Pole By Submarine"). Mit diesen Releases setzt er sich ganz stylish zwischen die Genre-Stühle. Zu krachig für New Age-Sounds, aber auch nicht mit dem heftigeren Bumms damals grassierender Acid-Klänge versehen, kreiert er etwas, das im Nachhinein mit sperrigen Wortkonstrukten wie Ambient Dance Music auskommen muss. Dass Jenssen derlei Kategorisierungen und Erwartungshaltungen ziemlich schnuppe sind, äußert sich unter anderem darin, dass er das recht erfolgreiche Pseudonym hinter sich lässt und fortan als Biosphere weiter programmiert, sampelt und werkelt. Die Idee zu ausgerechnet diesem Namen kommt ihm aufgrund des Projektes Biosphere 2, einem wissenschaftlichen Experiment, dessen Ziel es war, ein geschlossenes ökologisches System zu schaffen, das Menschen auf Dauer von einer lebensfeindlichen Umwelt autark machen sollte. Diesen Gedanken greift Geir für sein Schaffen auf und gründet so sein eigenes geschlossenes System. Der erste Output dieser Sphäre, "Microgravity", zählt mittlerweile zu den absoluten Meilensteinen des Elektro-Bereiches und klingt auch viele Jahre später noch kein bisschen angestaubt. Der Titel ist die Bezeichnung der unvollkommenen Schwerelosigkiet an Bord eines Raumschiffes. Die Atmosphäre der Tracks dieses Albums reichen von luftig/klar bis bedrückend düster. Wobei der Gesamteindruck keineswegs mechanisch und technoid ist, sondern im Gegenteil, eine im Elektrobereich selten gehörte emotionale Wärme und Tiefe besitzt. Ob der nahezu subsonischen Bässe, die die Platte kennzeichnen, dürfte so manche Hi Fi-Anlage in selbstmörderischer Absicht über den Jordan gehüpft sein. Die Anerkennung für das Album lässt jedoch auf sich warten. Die Zuständigen Leute seines bisherigen Label SSR wissen partout nicht, wie sie die seltsamen Klänge dem Hörer nahe bringen sollen. So dauert es über ein ganzes Jahr, ehe das Werk bei R&S Records erscheint und im kleinen Rahmen den Namen Biosphere etabliert. Der folgende Coup mit dem Album "Patashnik" gerät nicht minder fulminant. Zumal Levi's den Song "Novelty Waves" für einen Werbespot verwendet. Das ist doch recht ungewöhnlich, da der Jeans-Hersteller normalerweise eher mit rockigeren Klängen hausieren geht. "Patashnik" ist die russische Bezeichnung für einen Kosmonauten, dessen Sicherungskabel sich vom Raumschiff losreißt und der deshalb im Weltraum verloren geht. Und wieder wendet sich Geir von einem bewährten Erfolgsrezept ab. Von nun an spielt Techno, House oder allgemein beeatlastige Musik - in welcher Spielart auch immer - im Biosphere-Kontext keine entscheidende Rolle mehr. Die verwendeten Beats - sofern er überhaupt welche einsetzt - besitzen keinerlei tragendes Element mehr. Klangteppiche, Kollagen aus verschiedenen Sounds sowie Umweltgeräusche halten Einzug in seinen Soundkosmos. Manches Mal streift er auch absichtlich am klanglichen Nichts vorbei: Weniger ist mehr, wie es auf seiner Homepage steht. "Substrata" nennt sich 1997 der erste Output, der diese Richtung verfolgt und mit seinen traumhaften Texturen und Klanglandschaften zurecht als Meilenstein des Ambient gilt. Im selben Jahr erscheint für den 1929 entstandenen russischen Stummfilm "Man With A Movie Camera" ein Soundtrack, den Jenssen produziert, und auch für das Erstlingswerk "Insomnia" von Regisseur Erik Skjoldbjærg liefert er die klangliche Untermalung. Ein Remake dieses Streifens erscheint 2002 mit Al Pacino in der Hauptrolle. Das 2000er "Cirque" wiederum basiert auf der wahren Begebenheit von Christopher McCandless, dessen Ziel es war, 1992 in Alaska das Leben eines Asketen und Einsiedlers zu leben. Vier Monate später findet ihn ein Elchjäger tot auf. Gerüchte um das Leben von McCandless machen seither die Runde. Jenssen kleidet dies in Töne. Die klangliche Intensität der Umsetzung dieses Themas ist an mancher Stelle fast mit der Hand greifbar. Für das 2002er "Shenzou" folgt er der Tradition von Elektronik-Künstlern wie Art Of Noise oder Tomita und nimmt sich des Schaffens von Debussy an, dessen Werk er als Grundlage für eigene Klangskulpturen verwendet. 2004 folgt er der Einladung des französischen Radiosenders Radio France Culture. Bei ebenjenen darf er ausgiebig im Archiv schmökern. Dabei fällt ihm eine alte Hörspielfassung von Jules Vernes "Reise Zum Mond" in die Hände. Daraus verwendet er einige Samples. Zusammen mit Sprachfetzen der Raumstation Mir kreiert Geir seine eigene Mondfahrt "Autour De La Lune". Und die ist ganz sicher nicht von Hektik gekennzeichnet. Vielmehr lotet Jenssen hier aus, wie weit er mit der Reduktion gehen kann. Weitesgehend besteht das Album aus Bass-Teppichen nahe am Infraschall. Songstruktruren sind keine zu erkennen. Harter Ambient-Tobak. Das komplett abgeschottete Werkeln ist aber auch nicht so Jenssens Ding. Ab und an rutscht ihm auch eine Kollaboration raus. Zusammen mit Bobby Bird, aka Higher Intelligence Agency, dem deutschen Pete Namlock, Helge Stens Deathprod bringt er ab und an Alben heraus. 2005 ist wieder ein neues Biosphere-Album am Start. Mit "Dropsonde" erschließt sich Geir Jenssen den Jazz. Wenn auch eher am Rande und mit zart eingeflochtenen Elementen. Aber auch diesmal gilt: Jenssen scheint ernsthaft unfähig zu sein, weniger gutes Material zu veröffentlichen. Als begeisterter Bergsteiger kommt er nicht umhin, sich auch einmal den ganz großen Erhebungen der Erde zu widmen. 2001 besteigt er im Himalaya den Cho Oyu, einen 8201 Meter hohen Berg in Tibet. Während des Aufstieges nimmt er allerlei Umweltgeräusche auf, die er - angereichert mit allerlei Klängen aus dem Biosphere-Labor - fünf Jahre später unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlicht. 2011 sieht sich Jenssen ganz unvermittelt in der Rolle des musikalischen Propheten. Er arbeitet an einem Projekt, japanische Atomkraftwerke Jenssen arbeitet an einem Konzeptalbum über die Architektur, die Lage und die Risiken japanischer Kernkraftwerke. Nochj bevor im Fernen Osten die Erde bebt, schließt er seine Arbeit ab. Dann fliegt den Japanern Fukushima um die Ohren. "N-Plants" gerät somit zu einem mahnenden Werk. Danach widmet sich Jenssen auch gern mal klassischen Vorlagen. "L'incoronazione Di Poppea" von 2012 basiert auf der gleichnamigen Oper von Claudio Monteverdi und auf "Angel's Flight" von 2021 setzt er sich auf ambiente Weise mit Beethovens 14. Streichquartett auseinander. Wenn der Skandinavier nicht altes Material wiederverwurstet ("Patashnik 2") oder seine alten Alben wiederveröffentlicht ("Microgravity", "Patashnik"), scheut er sich auch sonst nicht davor, nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen. Für das 2015er-Werk "Stator" tut er sich mit dem Dark-Ambient-Meister Deathprod zusammen. Auf "Departed Glories" widmet er sich 2016 einem mystischen Konzept zwischen Feenwald und Unterwelt. Auf dem ein Jahr danach veröffentlichten Album "The Petrified Forest" besinnt er sich wieder mehr auf seine rhythmischen Qualitäten, erweitert den Biosphere-Sound jedoch um eine Prise Wave. Auf "The Senja Recordings" von 2019 verbindet Jenssen die Umwelt seiner norwegischen Umgebung mit Technologie auf minimalistische Art und Weise. Auf "Shortwave Memories" von 2021 kehrt er, wie er selbst sagt, "zur uralten analogen Hardware aus den späten 70ern und frühen 80ern" zurück und zollt zugleich Post Punk- und New Wave-Produzenten wie Daniel Miller oder Martin Hannett seinen Tribut. "Inland Delta" beinhaltet dann zwei Jahre später hauptsächlich improvisierte Performances auf neu restaurierten Vintage-Keyboards. Unter dem Alias Biosphere Alben zu veröffentlichen, ist jedoch nur ein Aspekt des umtriebigen Norwegers, der sich immer seine eigene stille Nische im hektischen Musikzirkus sucht. Wie auch immer diese aussehen mag ...
© Laut

Diskografie

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