New York, Berlin, Paris – über all diese Metropolen wurden schon unzählige Hymnen gesungen. Die nordrhein-westfälische Stadt Bochum blieb leer aus – bis Herbert Grönemeyer kam und die ganze Republik zum Singen brachte.

Die Geschichte von Herbert Grönemeyers Erfolg beginnt mit den Worten « Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es schöner, als man glaubt » und erzählt auf sentimentale, aber epische Art vom Leben im Ruhrpott. Klingt erstmal nach Lokalpatriotismus, der in den Kneipen der Stadt besungen wird. Aber der Schein trügt: Genau mit dieser Liebeserklärung schaffte es Grönemeyer, die Spitze der deutschen Charts knapp eineinhalb Jahre zu besetzen. Statt Thriller von Michael Jackson mitzutanzen, dem weltweit erfolgreichsten Album 1984, bekam Deutschland nicht genug von 4630 Bochum.


Herbert Grönemeyer kam zwar in Göttingen zur Welt, entdeckte sie aber in Bochum, wo er aufwuchs. Schon früh, im Alter von acht Jahren, lernte er das Klavierspielen und begann sich für Musik und Kultur zu interessieren, als er sich im Bochumer Schauspielhaus als Pianist sein erstes Geld verdiente. Mit nur 20 Jahren wurde er musikalischer Leiter des Theaterhauses und war gleichzeitig in einigen Fernsehfilmen als Schauspieler zu sehen. Obwohl der aufstrebende Künstler keine schauspielerische Ausbildung genossen hatte, wurde er bald für eine Rolle in Das Boot engagiert, einem der wenigen deutschen Filme, die eine Oscar-Nominierung erhalten sollten.

Grönemeyer 1984 © POP-EYE/ullstein bild via Getty Images
Grönemeyer 1984 © POP-EYE/ullstein bild via Getty Images

Was der Mann mit Ö anfasst, wird zu gold

Trotzdem schlug sein Herz für die Musik. Nachdem der VfL Bochum-Fan eingesehen hatte, dass es mit einer professionellen Fußballkarriere nichts mehr werden würde, schlägt sein Herz vollkommen für die Musik. Und es pocht auf seine ganz eigene Art: nachdenklich, emotional, schnörkellos und vor allem authentisch.

Bereits vor seinem Durchbruch 1984 veröffentlichte Grönemeyer drei Alben, die sich zwischen dem Sound der Neuen Deutschen Welle, Klavierballaden und klassischem 80er Jahre-Pop bewegen. Seine Texte machen ihn zum guten Kollegen und besten Freund der Hörer:innen, wenn er in Currywurst humorvoll im Dialekt über den beliebtesten Mittagstisch des kleinen Mannes sinniert – vielleicht sein erster Versuch einer Liebeserklärung ans Ruhrgebiet.

Doch Grönemeyer liebt nicht nur seine Region, er liebt die Menschen und das Normale. So singt er mal über all die herrlichen Alltäglichkeiten, die einem auf der Autobahn begegnen (Stau), mal über Sonderposten und Einkaufsbummel (Kaufen), später über die Marotten des männlichen Geschlechts (Männer) und die Lieblingsdroge der Deutschen, den Alkohol.

Grönemeyer mit Currywurst © Ambor/ullstein bild via Getty Images
Grönemeyer mit Currywurst © Ambor/ullstein bild via Getty Images


Vielleicht war es neben US-amerikanischen Megastars wie Prince, Michael Jackson und Stevie Wonder genau das, was man brauchte: Bodenständigkeit. Dafür steht der mittlerweile 67-jährige, obwohl er sämtliche Rekorde bricht. 4630 Bochum verkauft sich über 2,75 Millionen Mal, wird elf Mal mit Gold ausgezeichnet und legt den Grundstein für die kommenden Jahre, in denen jedes einzelne Grönemeyer-Album auf Platz 1 der Charts landet. Hunderttausende Besucher:innen bei jeder seiner Touren und sein Auftritt als erster deutschsprachiger Künstler bei MTV Unplugged beweisen, dass er nicht aufzuhalten ist – bis ihn November 1998 mit dem Tod seines Bruders und seiner Ehefrau zwei schwere Schicksalsschläge aus der Bahn werfen.

Er ist und bleibt einer von uns

Doch Grönemeyer tankt Kraft und kommt zurück mit einem Album, das noch deutlicher in die deutsche Musikgeschichte eingeht als die vorangegangenen. Mensch erscheint im August 2002 und wird noch vor der Veröffentlichung aufgrund der Vorbestellungen mit Platin ausgezeichnet, anschließend folgen 21 Goldauszeichnungen. So mancher, der in die Früchte seines Erfolgs beißt, erkrankt früher oder später an Arroganz. Nicht aber Grönemeyer.


Bis heute ist er der kommerziell erfolgreichste Musiker Deutschlands, hat mit seinem Label Grönland Records andere spannende Künstler:innen unter seinem Schirm und veröffentlicht weiterhin Alben (Schiffsverkehr, Dauernd jetzt, Tumult…), die allesamt mit mehrfachen Platinauszeichnungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sorgenfrei an seine Erfolge anknüpfen. 2023 erscheint sein neues Album Das ist Los, welches auf die Krisen und Ängste der letzten Jahre nicht anders antwortet, als wir es von Grönemeyer kennen: mit Hoffnung, Mut und vor allem Zusammenhalt.

Ein Benefiz-Abend zugunsten der Til Schweiger Foundation "Auch Ihr seid jetzt Deutschland! Die Flüchtlinge und die Kraft der Sprache" © Brill/ullstein bild via Getty Images)
Ein Benefiz-Abend zugunsten der Til Schweiger Foundation "Auch Ihr seid jetzt Deutschland! Die Flüchtlinge und die Kraft der Sprache" © Brill/ullstein bild via Getty Images)


Von Bochum in die Welt gilt nicht nur für den Musiker selbst, sondern auch für seine Prinzipien. Schon auf seinen ersten Alben zeigt er politische Haltung mit Songs wie Maß aller Dinge (1986). Später wird sein Engagement immer konkreter und er selbst das Gesicht für Kampagnen wie Band für Afrika und Deine Stimme gegen Armut. Er setzt sich für marginalisierte Gruppen, Frauenvereine und gegen Rechtsruck ein. Die Botschaft Grönemeyers bleibt immer gleich: Offenheit, Solidarität, Haltung. So läuft das im Ruhrgebiet eben und durch Grönemeyer nun im gesamten deutschsprachigen Raum.

Obwohl er bereits auf eine über 40-jährige Musikkarriere zurückblickt, hat er seine Richtung nie verloren. Die Zeiten haben sich geändert, das Leben ist passiert, aber seine schnörkellosen, emotionalen Überzeugungen sind geblieben. Denn: Im Herzen bleibt er Bochumer.

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