Während Frank Sinatra, Dean Martin, Bing Crosby und Sammy Davis, Jr. schon seit einer Ewigkeit nicht mehr dabei sind, ist Tony Bennett nun der letzte große Crooner schlechthin. Ein Sänger voller Charme, wie man im letzten Jahrhundert noch sagte, und was ihn so besonders macht, ist seine einzigartige Liebesgeschichte mit dem Jazz. Eine Lovestory, die nun mit dem Tod des New Yorkers im Alter von 96 Jahren zu Ende ging.

Tony Bennett weiß schon gar nicht mehr wohin mit all den Lorbeeren… Duke Ellington, Bill Evans, Louis Armstrong, Diana Krall, Barbra Streisand und sogar Lady Gaga, sie alle haben ihm ihre Bewunderung ausgesprochen. Der Beitrag vom Boss, Frank Sinatra, wiegt in diesem Bereich natürlich erst recht. „Tony Bennett ist der beste Sänger in diesem Business! Wenn ich ihm zusehe, bin ich ganz aufgeregt. Er bringt mich ganz aus dem Häuschen. Das ist ein Sänger, der genau weiß, was der Komponist im Kopf hatte, und wahrscheinlich weiß er sogar noch ein bisschen mehr.“ Im Laufe der Jahre haben auch die Schwerhörigen verstanden, dass Tony kein Klon von Frankie ist. Weder ist er ewiger Zweiter, noch ist er Handlanger oder Sprachrohr seines Lehrmeisters. Anthony Dominick Benedetto hat ihm nämlich seine eigene Welt geschaffen. Dank seines großen Stimmumfangs und seiner endlosen Vorliebe für Jazz hat er auf ganz spezielle Art die beliebten Songs seiner Epoche aufgegriffen, aber auch jene des Great American Songbook. Als dann ein neuer modischer Trend Tony Bennett vor die Tür zu setzen drohte, machte er plötzlich eine Kehrtwendung und dabei eroberte er gleich auch ein ganz neues Publikum. Wie etwa 1991 bei den MTV Music Awards Seite an Seite mit den Red Hot Chili Peppers. Drei Jahre später spielte er sogar zusammen mit seinen Gästen Elvis Costello und K.D. Lang ein Album mit dem Titel MTV Unplugged ein. Und 2016 sollte er im Duo zusammen mit Lady GaGa gleich ein ganzes Album wagen: Cheek to Cheek.

Für viele wird Tony Bennett für alle Zeiten The singer’s singer bleiben. Damit wird angedeutet, dass einer mehr Anerkennung von seinesgleichen erntet als seitens des Publikums… Immerhin hat sich dieses Publikum sehr schnell in diesen italienischstämmigen New-Yorker aus dem Stadtteil Queens verliebt, genauso wie er sich selbst recht bald in den Jazz verliebt hatte. Und mehr noch in dessen Instrumente als in dessen Sängerinnen und Sänger, wie er selbst unablässig betonen sollte. Der Legende nach soll er eines Abends in einem Jazz-Club in Cleveland den Pianisten Art Tatum gehört haben, der gerade Danny Boy spielte, und er war davon dermaßen beeindruckt, dass er später einem seiner Söhne diesen Vornamen Danny gab. Ist Tony Bennett ein Jazz-Sänger aus einer anderen Welt? Eine dumme Frage, die immer wieder gestellt wird, die aber nichts der Tatsache anhaben kann, dass ihm immer wieder die Jazzmusiker – die echten unter ihnen – über den Weg laufen. Und allen voran Count Basie. Dessen Big Band bringt zusammen mit Tony 1959 ein essentielles Album heraus, Strike Up the Band, das gleichfalls unter dem Titel Basie Swings, Bennett Sings erscheint. Der Count hat aber mit den sogenannten Pop-Sängern nicht viel zu tun, was beweist, dass er Dinge eines ganz anderen Kalibers zu bieten hat…

Unmittelbar nach dem Krieg, in dem er zwischen 1944 und 1946 gekämpft hat, unterschreibt Tony Bennett bei Columbia einen Vertrag und mit dem im April 1951 eingespielten Because of You landet er ziemlich schnell auf den vordersten Chartplätzen. Der inzwischen Fünfundzwanzigjährige ist nun der neue, modische Pop-Crooner und reiht einen Hit an den anderen, etwa Rags To Riches (den Martin Scorsese 1990 in seinem Film Good Fellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia ganz vorzüglich zum Einsatz bringt), Stranger in Paradise oder auch In the Middle of an Island. 1956 präsentiert er bei NBC seine Tony Bennett Show. Im darauffolgenden Jahr kommt es zu einem Wendepunkt in seiner Karriere, als er jenem Menschen begegnet, der ein halbes Jahrhundert lang sein wichtigster musikalischer Leiter und Arrangeur werden sollte: dem Jazz-Pianisten Ralph Sharon. Ziemlich bald aber, als der Rock’n’Roll sich anschickt, Pop-Sänger und sonstige Crooner in den Schatten zu stellen, rät dieser Tony, die Gelegenheit zu nutzen und sich auf den Jazz zu konzentrieren, an dem ihm doch so viel läge, so könnte er sich unter seinen Kollegen einen Namen machen. Das im Jahr 1957 erschienene The Beat of My Heart ist die köstliche Folge dieser neu eingeschlagenen Richtung. Sharon sitzt natürlich am Klavier und für diese Sessions hat er einige Größen des Jazz auf den Plan gerufen, etwa den Saxofonisten Al Cohn, den Trompeter Nat Adderley, den Flötisten Herbie Mann, den Vibrafonisten Eddie Costa und als Eckpfeiler dieser Platte die Schlagzeuger und Perkussionisten Art Blakey, Chico Hamilton, Jo Jones, Candido und Sabu. Ein rhythmisch verblüffendes The Beat of My Heart öffnet ihm dann Tür und Tor für seine Kooperationen mit Basie…

© Don Hunstein Sony Music Archives
© Don Hunstein Sony Music Archives

Bis zum Jahr 1962 und unmittelbar nach diesem von Publikum und Kritik gleichermaßen begrüßten Beat of My Heart befindet sich Tony Bennett am Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn und sitzt dann immer wieder im Studio, um Einspielungen zu machen, mal mit kleiner Besetzung, mal mit einem ganzen Streichorchester, um üppige Werke zu schaffen. Einmal ist es Jazz, dann wieder Lounge, insgesamt reiht er für Columbia ein ganzes Dutzend makelloser Platten aneinander: Long Ago and Far Away, In Person!, Strike Up The Band, Hometown My Hometown, To My Wonderful One, Tony Sings For Two (nur von Sharon am Klavier begleitet), Alone Together, Sings a String of Harold Arlen, My Heart Sings, sowie einen weiteren Höhepunkt in dieser endlos langen Diskografie: I Left My Heart in San Francisco zusammen mit Count Basies Orchester. Es ist ein Album, dessen gleichnamige Singleauskoppelung auch heute noch zu seinen größten Erfolgen zählt und gleichzeitig zur offiziellen Hymne der kalifornischen Stadt erhoben wurde. „Dieser Song ‘I Left My Heart in San Francisco’ hat aus mir einen Weltbürger gemacht. Ich hatte nunmehr die Möglichkeit, weltweit in jeder beliebigen Stadt zu leben, zu arbeiten und zu singen. Er hat mein Leben verändert“. Im gleichen Jahr, also am 9. Juni 1962 betritt Tony die Bühne der angesehenen Carnegie Hall in New York – die damals eher klassischen Musikern vorbehalten war – und er zeichnet dort ein Live-Doppelalbum auf, das sein bestes werden sollte: Tony Bennett at Carnegie Hall. Unterstützt von Ralph Sharons Orchester, das sich aus einigen großen Hausnummern des Jazz zusammensetzt (Gitarrist Kenny Burrell, Saxofonist Al Cohn, Conga-Spieler Càndio Camero, Vibrafonist Eddie Costa…), schlängelt er sich mit seinem göttlichen Gesang durch die von Sharon ausgetüftelten Arrangements aus Werken von Gershwin, Cole Porter, Irving Berlin, Johnny Mercer, Jerome Kern, Kurt Weill...

Mitten in den sechziger Jahren sollte dann die von den Beatles angeführte British Invasion die Spielregeln ändern, womit sie jenes Publikum für sich gewinnt, das nach und nach Tony Bennett und seinen Kollegen den Rücken kehrt. Dank seiner Aura bleiben ihm jedoch zahlreiche Fans treu und so gelingt es ihm noch, einige Erfolge nacheinander zu feiern, wie etwa I Wanna Be Around (1963) dank der Singleauskoppelung The Good Life, nach dem französischen Chanson, das Sacha Distel mit dem Titel „La belle vie“ in Frankreich berühmt gemacht hatte… 1965 beendet der New Yorker seine Kooperation mit Sharon, ohne recht zu wissen, wie es weitergehen soll. Clive Davis, der Labelboss von Columbia überredet ihn, die aktuellen Hits zu covern. Ohne recht davon überzeugt zu sein, beginnt er 1970 mit Tony Sings the Great Hits of Today!, was er später bedauert. Es handelt sich um ein mittelmäßiges Opus mit Coverversionen von den Beatles, aber auch von Jim Webb, Burt Bacharach und Stevie Wonder...

Die Siebziger Jahre ähneln eher einem dunklen Tunnel als einem Blumenmeer: Tony lässt sich scheiden, verlässt das Label, das er gegründet hatte, kämpft mit Steuerproblemen und flüchtet zu oft in die Drogenwelt des Kokain. Mitten in dieser traurigen Zeit gibt es immerhin ein kurzzeitiges, aber bezauberndes Comeback: zwei Alben im Duo mit Bill Evans. Im Juni 1975 und ein weiteres Mal im September des darauffolgenden Jahres begleitet der große Jazz-Pianist ganz allein Tony bei seinem Versuch, allerlei Hits in sein Repertoire einzubinden. Die beiden Männer, die sich gegenseitig bewundern, kennen sich seit etwa zehn Jahren, aber ihre gemeinsame, von der Sängerin Annie Ross, ins Leben gerufene Plattenproduktion ist eher verwunderlich. „Wie so manche Instrumentalisten“, erläuterte Bill Evans, „war auch ich nie ein großer Fan von Sängern gewesen. Tonys Werdegang war jedoch fantastisch, sodass er mein Lieblingssänger geworden ist. Er hat mich verblüfft, wie es keinem Sänger zuvor gelungen war. Der Grund dafür liegt darin, dass er sich allmählich, im Laufe eines langen und schwierigen Prozesses, der Musik und seinem eigenen Talent total verschrieben hat. Das Endergebnis einer derartigen Entwicklung ist sehr kostbar. Er beeindruckt mich mit seiner Tiefgründigkeit, seiner Qualität und seiner Makellosigkeit.“ Die erste der beiden Platten, The Tony Bennett Bill Evans Album, erscheint 1975 beim Label Fantasy. Zwei Jahre später bringt Tony Together Again bei seinem eigenen Label Improv Records heraus, dieser jedoch geht am Jahresende dann in Konkurs. 2009 taucht die komplette, so unglaubliche Kooperation unter dem Titel The Complete Tony Bennett/Bill Evans Recordings wieder auf, zusammen mit etwa zwanzig Alternative Takes und ein paar weiteren unveröffentlichten Aufnahmen. Die komplett aus dem Rahmen fallenden Sessions, die weder in die Zeit noch in den Mainstream passen, erstaunen uns einerseits wegen ihrer Schönheit, mehr noch aber wegen ihrer Originalität. Tony Bennett spielt hier nicht den Crooner, sondern singt mit beeindruckender Kreativität. Diese robuste, großzügige Stimme findet in Evans’ stimmungsvollem Klavierspiel den idealen Partner. Jeder lässt dem anderen unheimlich viel Raum und damit ist das Resultat mit keinem anderen Gesang-Klavier-Duo der gesamten Geschichte des Jazz vergleichbar…

Tony Bennett Live at Sahara © Don Hunstein Sony Music Archives
Tony Bennett Live at Sahara © Don Hunstein Sony Music Archives

Tony Bennetts Präsenz in den achtziger Jahren ist nicht der Rede wert und sein Comeback im darauffolgenden Jahrzehnt hat er im Großen und Ganzen seinem Sohn Danny zu verdanken. Der Sänger hat sich mit Ralph Sharon 1979 wieder versöhnt, wird erneut zu diversen Fernsehshows eingeladen (David Letterman, Conan O’Brien…) und so kommt es, dass er sogar in einer Episode der Simpsons zu sehen ist! Die MTV-Generation beginnt, diesen Sänger, der etwas oldschool ist, aber bei den Red Hot Chili Peppers ein und ausgeht, zu schätzen. Den Höhepunkt dieses Comebacks bildet eine MTV Unplugged Session mit dem Trio um Sharon am 15. April 1994, die zwei Monate später auf Platte erscheint. Der 68-jährige Tony ist zu neuem Leben erwacht! Vor allem steht er keineswegs mit dem Teufel im Bunde, sondern hat so seine richtige Freude daran, vor allem, wenn er Hommagen einspielt – 1997 etwa an Billie Holiday (Tony Bennett on Holiday) oder an Duke Ellington im Jahre 1999 (Bennett Sings Ellington: Hot & Cool) – oder wenn er 2015 Jerome Kerns Repertoire mit dem Jazz-Trio des Pianisten Bill Charlap covert (The Silver Lining: The Songs of Jerome Kern) oder 2018 das Great American Songbook im Duo mit Diana Krall auf Love Is Here to Stay. Was seine jüngeren Kollegen und Kolleginnen betrifft, so messen sich diese gerne mit ihm, wie zum Beispiel auf den beiden Duets-Alben, allen voran Amy Winehouse, Norah Jones, Mariah Carey, Michael Bublé, John Legend und Bono. Wie kommt es aber, dass Tony Bennett der jazzigste Crooner überhaupt bleibt… konnte er nichts anderes? Er betonte immer wieder: „Es gibt keinen Unterricht, in dem man Jazz singen lernt. Niemand kann einem das beibringen! Entweder können Sie Jazz singen, oder Sie können es nicht. Das ist alles.“

Deutsche Übersetzung: Irene Besson