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Bei Schuberts „Winterreise“ und der Eiger-Nordwand mag man ähnliche Assoziationen haben. So wollen sich an Letzterer viele Bergsteiger zumindest einmal im Leben bewähren; manche kommen regelmäßig zurück. Ähnliches gilt für Sänger und den Gipfel aller Liedzyklen. Thomas Oliemans nennt die „Winterreise“ einen Zauberberg, zu dem er jedes Jahr wiederkehre, sich daran messe und darin versenke, in diese „ungewöhnlich gedrängte, teilweise fast raue und dann plötzlich hinreißend zärtliche Klangwelt“. Der niederländische Bariton durchmisst sie nicht mit der Rastlosigkeit eines Ian Bostridge, aber doch suggestiv, ohne sich freilich dem lyrischen Ich vollkommen zu vermählen. So bleibt immer noch Abstand, Möglichkeit zur Teichoskopie, zur Mauerschau. Das tut auch dem „Lindenbaum“ gut, wo die Aufforderung zum Selbstmord („Komm her zu mir, Geselle/Hier findst du deine Ruh‘!“) für mein Gefühl einen ironischen Touch bekommt – oder auch dem „Irrlicht“, da Oliemans den Septime-Sext-Sprung bei „Jedes Leiden auch sein Grub“ nicht sentimental verschleift, sondern mit einem schmiegsamen Pianissimo Zurückhaltung zeigt. Paolo Giacometti ist ein empfindsamer, sich nicht vordrängender Begleiter.
Auch der Altist Xavier Sabata wagt sich auf diese Expedition, was nicht ungewöhnlich scheint, denn die „Winterreise“ ist zumindest seit Lotte Lehmann ja den Frauenlagen durchaus zugänglich. Wie der Sänger in seinem klugen Booklet-Beitrag darlegt, will er den Wanderer nicht emotional, nicht als „armen Mann“
bewerten, sondern sucht durchaus Distanz. Doch in der Expression wirkt er für meinen Geschmack sentimental, ein Eindruck, der nicht zuletzt durch sein häufiges Tremolo hervorgerufen wird. Zugleich sorgt der Katalane – begleitet vom formidablen Pianisten Francisco Poyato – doch auch für einige sehr berührende Momente, etwa im „Wegweiser“ („Eine Straße muß ich gehen/Die noch keiner ging zurück“). Seine deutsche Aussprache erscheint freilich allzu akzentbelastet, obwohl er sich durchaus um Textdeutlichkeit müht.
Peter Matteis Einspielung ist von der vokalen Qualität her unter den drei vorliegenden Aufnahmen konkurrenzlos. Mit kernig-edlem Stimmklang, technisch und auch idiomatisch souverän führt uns der schwedische Bariton auf des Wanderers versteckte Stege, entwickelt und formt dabei die Figur des Winterreisenden wie ein Bildhauer eine Skulptur. Wundersame Piani und Pianissimi erfreuen immer wieder, etwa bei den suizidalen Zuflüsterungen des Lindenbaums oder gleich zu Beginn im Zusammenhang mit der zarten und zugleich sarkastischen Rücksichtnahme auf die verlorene Geliebte („Will dich im Traum nicht stören“). Exquisit dazu Lars David Nilssons Kommentar aus der Sicht des Klaviers. Matteis Vortrag wirkt wie ein mit großem Mitgefühl vorgetragenes Referat über Einsamkeit und Erstarrung (man denkt unwillkürlich an Eugen Onegin, eine der Paraderollen des Sängers) – dies durchaus im Sinne einer Aussage Christian Gerhahers, man solle einen Charakter durch sich hindurchlassen, aber nicht verkörpern.
Bei allen drei Interpreten erscheint der Leiermann im Übrigen nicht als Tod, sondern als geheimnisvoller Schicksalsgenosse, mit dem der Wanderer vielleicht dem Eis der Seele entfliehen könnte.
© Persché, Gerhard / www.fonoforum.de
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Winterreise, D. 911 (Franz Schubert)
Franz Schubert, Composer - Copyright Control, MusicPublisher - Wilhelm Müller, Lyricist - Paolo Giacometti, MainArtist - Thomas Oliemans, MainArtist
2019 Channel Classics Records 2019 Channel Classics Records
Franz Schubert, Composer - Copyright Control, MusicPublisher - Wilhelm Müller, Lyricist - Paolo Giacometti, MainArtist - Thomas Oliemans, MainArtist
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2019 Channel Classics Records 2019 Channel Classics Records
Albumbeschreibung
Bei Schuberts „Winterreise“ und der Eiger-Nordwand mag man ähnliche Assoziationen haben. So wollen sich an Letzterer viele Bergsteiger zumindest einmal im Leben bewähren; manche kommen regelmäßig zurück. Ähnliches gilt für Sänger und den Gipfel aller Liedzyklen. Thomas Oliemans nennt die „Winterreise“ einen Zauberberg, zu dem er jedes Jahr wiederkehre, sich daran messe und darin versenke, in diese „ungewöhnlich gedrängte, teilweise fast raue und dann plötzlich hinreißend zärtliche Klangwelt“. Der niederländische Bariton durchmisst sie nicht mit der Rastlosigkeit eines Ian Bostridge, aber doch suggestiv, ohne sich freilich dem lyrischen Ich vollkommen zu vermählen. So bleibt immer noch Abstand, Möglichkeit zur Teichoskopie, zur Mauerschau. Das tut auch dem „Lindenbaum“ gut, wo die Aufforderung zum Selbstmord („Komm her zu mir, Geselle/Hier findst du deine Ruh‘!“) für mein Gefühl einen ironischen Touch bekommt – oder auch dem „Irrlicht“, da Oliemans den Septime-Sext-Sprung bei „Jedes Leiden auch sein Grub“ nicht sentimental verschleift, sondern mit einem schmiegsamen Pianissimo Zurückhaltung zeigt. Paolo Giacometti ist ein empfindsamer, sich nicht vordrängender Begleiter.
Auch der Altist Xavier Sabata wagt sich auf diese Expedition, was nicht ungewöhnlich scheint, denn die „Winterreise“ ist zumindest seit Lotte Lehmann ja den Frauenlagen durchaus zugänglich. Wie der Sänger in seinem klugen Booklet-Beitrag darlegt, will er den Wanderer nicht emotional, nicht als „armen Mann“
bewerten, sondern sucht durchaus Distanz. Doch in der Expression wirkt er für meinen Geschmack sentimental, ein Eindruck, der nicht zuletzt durch sein häufiges Tremolo hervorgerufen wird. Zugleich sorgt der Katalane – begleitet vom formidablen Pianisten Francisco Poyato – doch auch für einige sehr berührende Momente, etwa im „Wegweiser“ („Eine Straße muß ich gehen/Die noch keiner ging zurück“). Seine deutsche Aussprache erscheint freilich allzu akzentbelastet, obwohl er sich durchaus um Textdeutlichkeit müht.
Peter Matteis Einspielung ist von der vokalen Qualität her unter den drei vorliegenden Aufnahmen konkurrenzlos. Mit kernig-edlem Stimmklang, technisch und auch idiomatisch souverän führt uns der schwedische Bariton auf des Wanderers versteckte Stege, entwickelt und formt dabei die Figur des Winterreisenden wie ein Bildhauer eine Skulptur. Wundersame Piani und Pianissimi erfreuen immer wieder, etwa bei den suizidalen Zuflüsterungen des Lindenbaums oder gleich zu Beginn im Zusammenhang mit der zarten und zugleich sarkastischen Rücksichtnahme auf die verlorene Geliebte („Will dich im Traum nicht stören“). Exquisit dazu Lars David Nilssons Kommentar aus der Sicht des Klaviers. Matteis Vortrag wirkt wie ein mit großem Mitgefühl vorgetragenes Referat über Einsamkeit und Erstarrung (man denkt unwillkürlich an Eugen Onegin, eine der Paraderollen des Sängers) – dies durchaus im Sinne einer Aussage Christian Gerhahers, man solle einen Charakter durch sich hindurchlassen, aber nicht verkörpern.
Bei allen drei Interpreten erscheint der Leiermann im Übrigen nicht als Tod, sondern als geheimnisvoller Schicksalsgenosse, mit dem der Wanderer vielleicht dem Eis der Seele entfliehen könnte.
© Persché, Gerhard / www.fonoforum.de
Informationen zu dem Album
- 1 Disc(s) - 24 Track(s)
- Gesamte Laufzeit: 01:11:14
- 1 digitales Booklet
- Künstler: Thomas Oliemans Paolo Giacometti
- Komponist: Franz Schubert
- Label: Channel Classics
- Genre: Klassik
2019 Channel Classics Records 2019 Channel Classics Records
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