Nearness

Albumbeschreibung

Bebop ist und bleibt die Hohe Schule des Jazz. Im Hochgebirge erleben wir die beiden Meisterkletterer auf der Suche nach seltenen Vögeln. „Ornithology“ von Charlie Parker, da ist die Latte hoch angesetzt und das kontrapunktische Spiel dreieinhalb Minuten lang hochspannend. Der Pianist lenkt das Thema dann auf Nebenschauplätze, und im kurzen Wechsel mit Redman lässt er den Geist von Birds Freund Lennie Tristano aufleben.
Zuhause hat Brad einen Steinway B von 1949 stehen, den er Stephanie nennt. Der anfängliche Schrecken beim ersten Hören, Mehldau betastet hier ein E-Piano, verfliegt nach dem Zwischenapplaus. Ach so, ein Konzertmitschnitt, das erklärt natürlich den etwas dünnen Klaviersound, wenn beide Instrumente gleichzeitig ertönen! „Nearness“ präsentiert Aufnahmen der letzten gemeinsamen Europa-Tournee; vier Konzerte in Deutschland und der Schweiz folgen im Herbst.
Als zweiter Gang Mehldaus „Always August“, das er schon seit ein paar Jahren live spielt und hier mit Redman am Sopransaxofon sanft zum Leuchten bringt. Jazz für Bruce-Hornsby-Hörer, mit elf Minuten etwas arg auf Zeit gespielt. Alle Register seiner Phrasierungskunst zieht Redman blitzartig bei „In Walked Bud“ – Monks Hommage an seinen bizarren Freund Bud Powell. Nach wiederum dreieinhalb Minuten spaziert Mehldau völlig entspannt los und entpuppt sich einmal mehr als jemand, der Monks Message verinnerlicht hat. Drei jeweils über zwölf Minuten lange Stücke folgen: Redmans Walzer „Melancholy Mode“, vom Pianisten wieder im Duo anregender als beim Solo. Vor Mehldaus Americana-Finale „Old West“ (aus „Highway Rider“) knapp 17 Minuten lang das Highlight: „The Nearness Of You“, von Mehldau erst impressionistisch verrätselt, worauf Redman diese Ode vom Rendezvous bei blassem Mondlicht („all my wildest dreams came true“) grandios thematisiert. Kein magisches Tondokument, aber eine schöne Visitenkarte.

© Lippegaus, Karl / www.fonoforum.de