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Wenn wir Arcas Geschichte erzählen wollen, suchen wir oft nach Parallelen. Ein bisschen ist sie ja wie Aphex Twin, weil beide die Abgründe des elektronischen Genres ausloten. Ein bisschen ist sie auch wie Björk, nicht nur, weil sie zusammenarbeiten, sondern weil sie auch beide jedes neue Album als eigene Ära im eigenen Universum mit eigener Logik und eigenem Look begreifen. Ganz besonders ähnelt sie SOPHIE, denn ihre beiden Geschichten handeln vom Ans-Licht-Treten einer visionären Untergrund-Produzentin, als Gesicht der Musik, als ihre eigene Definition eines Star, als Frau.
Keiner von diesen Vergleichen mag falsch sein, aber sie nähern sich halt nur an. Denn auch, wenn Arca bislang nicht den selben Legenden-Status erreichte, hat sie doch schon lange bewiesen, dass sie nicht unter "ferner liefen" gehört. Und die jetzige Ära beweist das: Drei Alben in drei Tagen, und auf jedem weiteren Ableger der "Kick"-Serie mutiert sie ihren Sound weiter. Dieses Mal nicht nur ins Extremere, sondern auch ins Rundere. "Kick III" im Besonderen fühlt sich wie die Kernthese ihrer bisherigen Laufbahn an. Hier fusioniert sie Musik als Ausdruck und Worldbuilding, und die beiden Funktionen komplimentieren sich.
Fangen wir mit dem Aspekt des Worldbuildings an: Diesen Begriff hört man ja im musikalischen Kontext eher selten, aber Arca war eine Meisterin darin, ihre Soundpools und Stimmungsbilder so aufeinander abzustimmen, dass sie eine sehr spezifische Welt heraufbeschwören. "Kick III" zitiert diese finstere, synthetische Latex-Ästhetik, die sie auf "Xen" oder "Mutant" eingeführt hat. Songs wie "Incendio" verweben Percussion, die wie das Mahlen von futuristischer Schwerindustrie klingen, mit robotisch manipulierter Stimme und Synth-Echos wie dem Rauschen der Datenautobahn.
Kein Wunder, dass sie dieses Mal so in die Cover-Ästhetik investiert hat, denn die immer absurder und grenzüberschreitend wirkenden Cyberpunk-Illustrationen lassen sich auf diesem Album nahtlos ansiedeln. Jedes Element, vom Sound-Design über die Bilder bis zur Atmosphäre schafft mehr Rahmenbedingungen zur atmosphärischen Wirklichkeit dieser Platte, die in den kleinen Entscheidungen des Songwritings überraschend viele Feinheiten bietet. Die leisen Ambient-Einschübe auf "Skullqueen" zum Beispiel, die sie auf "Kick IIIII" weiter erkundet, die perkussive Komplexizität von "Rubberneck", auf die sie fast in Skat-Gesang ausbricht.
Und das liefert die Grundlage für die Ausdrucks-Ebene dieses Albums. Denn im Gegensatz zu "Xen" und "Mutant", die ihre Künstlerin hinter der schroffen Klangwelt verbergen, stellt sie sich hier als Popstar nach ganz eigener Fasson in den Vordergrund. Gut möglich, dass die Club-Banger aufs erste Hören quasi in offener Sicht versteckt sind. Aber immer wieder brechen die schweren Noise-Elemente auf und Reggaeton-Rhythmen betreten die Landschaft, Techno-Beats, mal schwere, mal leichtfüßige Electronica. Und unter der finsteren Fassade wird "Kick III" wahnsinnig tanzbar, zum Beispiel auf "Electra Rex" oder "Skullqueen". Da agiert Arca nicht als DJ, sondern als Performerin, als unwirklicher Popstar ihrer eigenen Paralleldimension.
Heraus kommen ein paar der eingängigsten Songs, die sie je gemacht hat. "Fiera" zum Beispiel bricht von der ersten Note an in eine so erschütternde Euphorie aus, die Kick schlägt wie ein Herz ans Jochbein, die Synthesizer recken sich in ihrer verzerrten Unförmigkeit zu einer energetischen Melodie auf – der Song praktiziert Gender-Euphorie für die letzte halbe Stunde Dancefloor vor dem Sonnenaufgang. Auf dem Opener "Bruja" agiert Arca als MC, wie die Reggaeton-Seelenverwandte von Princess Nokia oder Shygirl, mit einem magnetischen Charisma.
Das sind die Momente, in denen man auch die Progression zu alten Platten spürt. Auf ihre Weise waren die alle schon geil, radikal und prägend, aber in ihrer Fokussierung auf einen Effekt haben sie sich in sich selbst verschanzt. Hier kommen die besten Stellen zusammen, die Wut zur Performance von "KLK", die komplette klangliche Eigenwilligkeit von "Mutant" und die kompositorischen Bewegungs-Ideen von "Xen". Die Songs sind surreale, atmende Motive, die in ihren Lovecraft-schen Formen die Form von Popsongs andeuten. "Pity the fool, pity the fool", singt sie auf "Intimate Flesh", als wolle sie sich über die vergebene Liebesmüh lustig machen, die sie leistet. Es gibt nämlich kein Verstehen dieser Musik, kein "das verstehe ich", kein "das verstehe ich aber nicht", es ist einfach nur eine offene und verwundbare Darbietung von Arcas Jetztzustand. Von der Energie und dem Triumph, dass Arca 2021 nicht nur existiert, sondern blüht.
Aber all die Energie, all der Triumph, er ist unter einem Schleier versteckt. Ein Schleier aus Sprachbarrieren, aus sperriger Musik. Arca hatte im Gegensatz zu all ihren Vergleichspunkten nie den Anspruch, auf uns zuzugehen. Sie hatte nie die Absicht, ein Star in unserer Welt zu sein. Deswegen muss man den Willen zur Grenzüberschreitung ein bisschen zu ihr tragen, denn erst, wenn man sich auf ihren Boden begibt, ihrer musikalischen Logik folgt und gemeinsam die Barriere erodiert, merkt man: Arca ist das, was Aphex Twin in den Neunzigern war, was Eliane Radique in den Siebzigern war, was sie vor ein paar Jahren noch mit Sophie geteilt hat. Sie ist der verdammte brodelnde Nexus der musikalischen Progressivität, auf dem letzten Ende des Extremitäts-Spektrum. Sie wird ihr Ding machen – und jetzt gerade können wir nur zusehen und warten, bis die nächste große Produzenten-Generation uns ins zehn Jahren erklärt, was hier gerade wirklich passiert.
© Laut
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2021 Arca under exclusive license to XL Recordings Ltd. 2021 Arca under exclusive license to XL Recordings Ltd
Arca, Producer, Programmer, MainArtist, AssociatedPerformer, ComposerLyricist, MixingEngineer - Universal Music Publishing, MusicPublisher - Downtown Music Publishing, MusicPublisher - CMRRA, MusicPublisher - Mark Luva, Composer, Producer, Programmer
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Arca, Producer, Programmer, MainArtist, AssociatedPerformer, ComposerLyricist, MixingEngineer - Downtown Music Publishing, MusicPublisher - CMRRA, MusicPublisher
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Alex Epton, MixingEngineer - Arca, Producer, Programmer, MainArtist, AssociatedPerformer, ComposerLyricist - Downtown Music Publishing, MusicPublisher - CMRRA, MusicPublisher
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Max Tundra, Composer, Producer - Arca, Producer, Programmer, MainArtist, AssociatedPerformer, ComposerLyricist, MixingEngineer - Downtown Music Publishing, MusicPublisher - Domino Music Publishing, MusicPublisher - CMRRA, MusicPublisher
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Machinedrum, Composer, Producer - Arca, Producer, Programmer, MainArtist, AssociatedPerformer, ComposerLyricist, MixingEngineer - Downtown Music Publishing, MusicPublisher - CMRRA, MusicPublisher
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2021 Arca under exclusive license to XL Recordings Ltd. 2021 Arca under exclusive license to XL Recordings Ltd
Albumbeschreibung
Wenn wir Arcas Geschichte erzählen wollen, suchen wir oft nach Parallelen. Ein bisschen ist sie ja wie Aphex Twin, weil beide die Abgründe des elektronischen Genres ausloten. Ein bisschen ist sie auch wie Björk, nicht nur, weil sie zusammenarbeiten, sondern weil sie auch beide jedes neue Album als eigene Ära im eigenen Universum mit eigener Logik und eigenem Look begreifen. Ganz besonders ähnelt sie SOPHIE, denn ihre beiden Geschichten handeln vom Ans-Licht-Treten einer visionären Untergrund-Produzentin, als Gesicht der Musik, als ihre eigene Definition eines Star, als Frau.
Keiner von diesen Vergleichen mag falsch sein, aber sie nähern sich halt nur an. Denn auch, wenn Arca bislang nicht den selben Legenden-Status erreichte, hat sie doch schon lange bewiesen, dass sie nicht unter "ferner liefen" gehört. Und die jetzige Ära beweist das: Drei Alben in drei Tagen, und auf jedem weiteren Ableger der "Kick"-Serie mutiert sie ihren Sound weiter. Dieses Mal nicht nur ins Extremere, sondern auch ins Rundere. "Kick III" im Besonderen fühlt sich wie die Kernthese ihrer bisherigen Laufbahn an. Hier fusioniert sie Musik als Ausdruck und Worldbuilding, und die beiden Funktionen komplimentieren sich.
Fangen wir mit dem Aspekt des Worldbuildings an: Diesen Begriff hört man ja im musikalischen Kontext eher selten, aber Arca war eine Meisterin darin, ihre Soundpools und Stimmungsbilder so aufeinander abzustimmen, dass sie eine sehr spezifische Welt heraufbeschwören. "Kick III" zitiert diese finstere, synthetische Latex-Ästhetik, die sie auf "Xen" oder "Mutant" eingeführt hat. Songs wie "Incendio" verweben Percussion, die wie das Mahlen von futuristischer Schwerindustrie klingen, mit robotisch manipulierter Stimme und Synth-Echos wie dem Rauschen der Datenautobahn.
Kein Wunder, dass sie dieses Mal so in die Cover-Ästhetik investiert hat, denn die immer absurder und grenzüberschreitend wirkenden Cyberpunk-Illustrationen lassen sich auf diesem Album nahtlos ansiedeln. Jedes Element, vom Sound-Design über die Bilder bis zur Atmosphäre schafft mehr Rahmenbedingungen zur atmosphärischen Wirklichkeit dieser Platte, die in den kleinen Entscheidungen des Songwritings überraschend viele Feinheiten bietet. Die leisen Ambient-Einschübe auf "Skullqueen" zum Beispiel, die sie auf "Kick IIIII" weiter erkundet, die perkussive Komplexizität von "Rubberneck", auf die sie fast in Skat-Gesang ausbricht.
Und das liefert die Grundlage für die Ausdrucks-Ebene dieses Albums. Denn im Gegensatz zu "Xen" und "Mutant", die ihre Künstlerin hinter der schroffen Klangwelt verbergen, stellt sie sich hier als Popstar nach ganz eigener Fasson in den Vordergrund. Gut möglich, dass die Club-Banger aufs erste Hören quasi in offener Sicht versteckt sind. Aber immer wieder brechen die schweren Noise-Elemente auf und Reggaeton-Rhythmen betreten die Landschaft, Techno-Beats, mal schwere, mal leichtfüßige Electronica. Und unter der finsteren Fassade wird "Kick III" wahnsinnig tanzbar, zum Beispiel auf "Electra Rex" oder "Skullqueen". Da agiert Arca nicht als DJ, sondern als Performerin, als unwirklicher Popstar ihrer eigenen Paralleldimension.
Heraus kommen ein paar der eingängigsten Songs, die sie je gemacht hat. "Fiera" zum Beispiel bricht von der ersten Note an in eine so erschütternde Euphorie aus, die Kick schlägt wie ein Herz ans Jochbein, die Synthesizer recken sich in ihrer verzerrten Unförmigkeit zu einer energetischen Melodie auf – der Song praktiziert Gender-Euphorie für die letzte halbe Stunde Dancefloor vor dem Sonnenaufgang. Auf dem Opener "Bruja" agiert Arca als MC, wie die Reggaeton-Seelenverwandte von Princess Nokia oder Shygirl, mit einem magnetischen Charisma.
Das sind die Momente, in denen man auch die Progression zu alten Platten spürt. Auf ihre Weise waren die alle schon geil, radikal und prägend, aber in ihrer Fokussierung auf einen Effekt haben sie sich in sich selbst verschanzt. Hier kommen die besten Stellen zusammen, die Wut zur Performance von "KLK", die komplette klangliche Eigenwilligkeit von "Mutant" und die kompositorischen Bewegungs-Ideen von "Xen". Die Songs sind surreale, atmende Motive, die in ihren Lovecraft-schen Formen die Form von Popsongs andeuten. "Pity the fool, pity the fool", singt sie auf "Intimate Flesh", als wolle sie sich über die vergebene Liebesmüh lustig machen, die sie leistet. Es gibt nämlich kein Verstehen dieser Musik, kein "das verstehe ich", kein "das verstehe ich aber nicht", es ist einfach nur eine offene und verwundbare Darbietung von Arcas Jetztzustand. Von der Energie und dem Triumph, dass Arca 2021 nicht nur existiert, sondern blüht.
Aber all die Energie, all der Triumph, er ist unter einem Schleier versteckt. Ein Schleier aus Sprachbarrieren, aus sperriger Musik. Arca hatte im Gegensatz zu all ihren Vergleichspunkten nie den Anspruch, auf uns zuzugehen. Sie hatte nie die Absicht, ein Star in unserer Welt zu sein. Deswegen muss man den Willen zur Grenzüberschreitung ein bisschen zu ihr tragen, denn erst, wenn man sich auf ihren Boden begibt, ihrer musikalischen Logik folgt und gemeinsam die Barriere erodiert, merkt man: Arca ist das, was Aphex Twin in den Neunzigern war, was Eliane Radique in den Siebzigern war, was sie vor ein paar Jahren noch mit Sophie geteilt hat. Sie ist der verdammte brodelnde Nexus der musikalischen Progressivität, auf dem letzten Ende des Extremitäts-Spektrum. Sie wird ihr Ding machen – und jetzt gerade können wir nur zusehen und warten, bis die nächste große Produzenten-Generation uns ins zehn Jahren erklärt, was hier gerade wirklich passiert.
© Laut
Informationen zu dem Album
- 1 Disc(s) - 12 Track(s)
- Gesamte Laufzeit: 00:35:38
- Künstler: Arca
- Komponist: Various Composers
- Label: XL Recordings
- Genre: Electronic
2021 Arca under exclusive license to XL Recordings Ltd. 2021 Arca under exclusive license to XL Recordings Ltd.
Auszeichnungen:
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