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H.E.R.

Als Kind besteht H.E.R. darauf, Konzert-DVDs zum Frühstück zu gucken. Mit fünf Jahren trällert sie die Nationalhymne in einer Fernsehsendung. Mit neun hat sie bereits eine Management-Agentur. Gabi, wie sie sich damals nennt, schafft es in einen Spielfilm fürs Kinderprogramm Nickelodeon. Dieser spielt in einer Schule, Angie Stone mimt die Mutter des Mädchens. Gabis erste Rolle, vor der Kamera vereint mit der Urmutter weiblicher Offbeat-Mucke. Ein Zeichen, wie sich später zeigen wird. Musikalisch gibts ein paar weitere Schlüsselmomente. Ihr Vater schenkt ihr ein E-Piano von Casio. Sie lernt Klavier, tritt unter dem Namen Gabi Wilson als Alicia Keys- und Aretha Franklin-Cover-Künstlerin auf. Zum Beispiel interpretiert sie "If I Ain't Got You" und "Fallen" von Alicia, und "Freeway Of Love" (aus dem "Who's Zoomin' Who"-Album von Aretha). Später gehören auch Aaliyah und Clapton zum Cover-Katalog. Womit der Musikkosmos der kleinen Gabi nur ansatzweise beschrieben ist. "Als ich aufwuchs, gab es immer eine Gitarre neben meinem Bett stehen", erzählt sie auf dem YouTube-Kanal des Instrumente-Großhandels Guitar Center. "Mein Vater hatte eine Cover-Band, die im Wohnzimmer bei uns zuhause ihre Proben abhielt. Jeder war dabei und es gab immer eine Menge Leute, die im Haus nachts jammten. Bass, Gitarre, Schlagzeug ... Während meine Mama immer alle mit ihren Eintöpfen versorgte. Sie ist Filipino, und Filipinos lieben Eintöpfe. Meine Mutter ist außerdem großer James Brown-Fan. Beim Frühstücken hab ich dann mal ein Video mit Prince und Lenny Kravitz auf der Bühne gesehen und wollte unbedingt wissen, wo dieser verzerrte Sound herkommt, und wie man den macht. Ich war total aufgeregt". Sie verliebt sich Knall auf Fall in die Fender Stratocaster. "Ich bin das erste dunkelhäutige Mädchen, das eine Zusammenarbeit mit Fender einging und die Stratocaster in die Hand nahm, und ich will die Fackel weitergeben an die nächsten Frauen, die es reißen, killen, schreddern, fetzen lassen möchten an der Gitarre. Manchmal wird man da unterschätzt – bis man zum Spielen loslegt, und die Leute sagen: 'Oh, okay'. Und ich will halt, dass andere fühlen, sie können das auch so wie ich ", ist sich H.E.R. ihrer Rolle bewusst, während sie im Interview Luftgitarre spielt. Kein Wunder, dass man die Sängerin mit ihrem missionarischen Eifer so oft für den Ashford & Simpson-Gedächtnispreis nominierte, dass sie hier die am häufigsten vorgeschlagene Künstlerin. Eine Riesenehre! Denn Nickolas Ashford und Valerie Simpson schrieben unendlich viele Hits für Marvin Gaye, Diana Ross und die ganze Motown-Riege, bis sie mit "Solid" einen unsterblichen eigenen Hit landeten: Mit der Bürgerrechts-Poetin und ersten afroamerikanischen Straßenbahnführerin San Franciscos, Maya Angelou, machten sie krasse Spoken Word-Aufnahmen. H.E.R. ist wohl die richtige, um daran anzuknüpfen, repräsentiert doch auch sie das Black Power Movement und die Bay Area. Geboren in Vallejo, nördlich von San Francisco. Stolz drauf. Und true to her roots. Wobei sie nicht überall so ein multiethnisches Umfeld vorfindet, wie sie als Jugendliche bereits feststellt: "In manchen Momenten merke ich schon, dass ich zu sehr Filipino für 'schwarze' Kids bin, und zu 'schwarz' für Filipino-Kids. Diese Aspekte gehören wohl zum Leben", überlegt sie im Video-Talk mit der Songtexte-Datenbank Genius. Papa ist Afroamerikaner. Freunde und Familie machen eine Kindheit und Jugend der besonderen Art mit Gabi durch. Sie ist frühreifer Kinderstar, gibt schon als Prä-Pubertierende geschmeidige TV-Interviews, was ihr großes Vorbild Prince bis zu seinem Tod niemals je konnte oder wollte. In den USA rotierte sie unter dem Namen 'Gabi Wilson' auf Radio Disney, mit zwölf Jahren und ihrem ersten Stück ("My Music"). Es folgte ein Major-Vertrag, den sich der Teenager, so mutmaßt man, saftig bezahlen ließ, und 2016 dann die Abkürzung H.E.R. Zu dieser Zeit gibt es schon die Band Her und eine Solistin namens HER. H.E.R. mit Punkten steht laut der Songtexterin für "Having Everything Revealed". Zugleich appelliert das Wort 'H.E.R.' ans Female Empowerment. Die Künstlerin sieht das Akronym als einen Projektnamen, mit sie ihre Identität im Schatten hält, trotz sehr persönlicher Lieder. Sie möchte zum Beispiel ihr Empfinden als einst 16-Jährige schildern und sich auf dem Debüt "Back Of My Mind komplett in diese Lebensphase versetzen. Wie es damals war, als sie sich vornahm, nicht die gleichen Fehler wie die Generationen an Mädels vor ihr zu machen, nicht auf den falschen Typen reinzufallen. "Naja, und dann endete ich genauso. Es war hart für mich, darin ehrlich zu mir zu sein. Aber okay, jeder macht Fehler, jeder macht das durch, jeder stumpft ein bisschen ab, und wenn du super jung bist, bedeutet es das Ende der Welt für dich, und mein Künstlername repräsentiert diesen Entwicklungsabschnitt in meinem Erwachsenwerden, und verallgemeinert diese Erfahrungen unter dem Wort 'her', weils jedem passieren kann, solche Übergangsphasen zu erleben", erläutert die junge Frau dem New Yorker Radiosender 103.9 NY. Ans Debütalbum legen viele Co-Producer Hand an, Jeff Gitelman zum Beispiel, Gitarrist bei Anderson .Paaks "Oxnard"-Nummer "Tints" bzw. Co-Produzent und Bassist von Mac Millers CD-Opener "Come Back To Earth", der schon viel mit Ledisi arbeitete. H.E.R. kam am 27. Juni 1997, quasi ein paar Monate nach der Golden Era des Oldschool-Hip Hop, unter dem Namen Gabriella Sarmiento Wilson zur Welt. Mit 17, während des High School-Abschlusses, stand sie vor der Entscheidung: "Soll ich aufs College? Oder mich 100 Prozent dem Showgeschäft hingeben? Meine Familie unterstützte beide Varianten, aber sie forderte: Verpflichte dich auf eine Sache, was machst du konsequent? Schule oder Musik? Okay, ich hatte dauernd schon die Absicht Musik zu machen, also entschied ich mich dafür, und wie man sieht: Alles ist möglich. Ich war einfach nur ein Mädchen aus Vallejo, das Musik liebt, heute werde ich für Grammys nominiert", quasselt sie vor ihrem lokalen Fan-Publikum bei 106.1 drauf los. Die sympathisch ehrliche Art der jungen Künstlerin kommt an. Wobei ihre Musik allein schon ihren fest Platz in der R'n'B-History hat. Und ihr geht es hierbei um die Sache, weniger den Fame. Sie ist trotzdem groß genug in Social Media, dass sie nicht um Aufmerksamkeit buhlen muss. Irgendwas ist an ihr ist anders als im üblichen Zirkus. Alicia Keys gilt als Mentorin bzw. Vorbild, u.a. weil Lebensläufe und Musikgeschmack der beiden gut zueinander passen. Alicia beschreibt zudem in ihrer Autobiographie "More Myself" die dunkle Seite des Showgeschäfts: H.E.R. deutet immer wieder an, dass Alicia sie geprägte, ihr Tipps gab. Zumal die New Yorkerin selbst von H.E.R.s Talent früh überzeugt war und ihre Label-Kollegin ist. Es gibt auch Parallelen in puncto Intensität, Stilistik und Direktheit zwischen den H.E.R.-Musik und den beiden Alicia-Alben aus jener Phase, "Here" und "Alicia", die wegführen vom Mainstream. H.E.R.s relativ Dance- und Trap-freie Sorte R'n'B knüpft ebenfalls an Keys' Anfänge an. Zeitlose Songs, echte Instrumente und ehrliche Lyrik. Mit zwölf Jahren veröffentlichte H.E.R. den Gedichtband "Anything On Earth Poems". In die digitale R'n'B-Kiste braucht man sie jdenfalls nicht zu packen. Stevie Ray Vaughan, resümiert sie, der sei so ein Typ, dem sie gerne zuhöre, Hendrix natürlich auch, Mister Slowhand sowieso. Das Prinzip 'Feeling vor Technik' habe sie sich von B.B. King abgeschaut, sagt sie dem Rolling Stone, die als Jugendliche bereits vier Instrumente beherrscht, darunter die viersaitige Tenorgitarre. Die Bassgitarre wird mit elf Gabis Lieblingsinstrument, sagt die Teilzeit-Drummerin, Gelegenheits-Keyboarderin, Profi-Pianistin, Vollblut-Akustikgitarristin und E-Guitar-Liebhaberin. Warum ausgerechnet der Bass? "Weil der mehr Soul hat und mehr von der 'älteren Version von mir' zeigt", meint sie selbstbewusst in "The View" auf ABC, das nur Frauen moderieren. Auch NBC jazzt sie in diversen Fernsehshows hoch. Dass nur Frauen moderieren – im US-Fernsehen möglich seit 1997. Im Musikbusiness entlarvt H.E.R. dagegen den Gender-Stillstand, und zwar sogar, wenn sie das eigentlich recht ausgewogene Genre R'n'B in ihr Urteil einbezieht: "Es ist schon crazy, dass eine Menge weiblicher Künstlerinnen keine anderen Frauen supportet. Ich hab keine Ahnung, warum und was dahinter steckt. Ob das ein Konkurrenz-Ding ist ... weiß nicht. Aber ich finde, wir sitzen doch alle im selben Boot du", meint sie vehement gestikulierend auf der Frequenz 103.9. 2019 gründet H.E.R. das Lights On Festival, seit Dekaden und seit Sarah McLachlans Bemühungen das erste von Frauen geführte und kuratierte Festival mit Reichweite, wie ihr Label betont. Zu ihrer Instagram-Serie Girls With Guitars (2020) lädt sie Leute wie Sheryl Crow oder Melissa Etheridge, aber auch Alessia Cara und Lianne La Havas. Nebenbei möchte sie Musiktalente jeden Geschlechts in Schulen mit Förderprogrammen unterstützen, wie sie bei 106.1 erklärt: "An Schulen, die vielleicht zu wenig Instrumente haben. Da könnte ja ein neuer Quincy Jones drunter sein, und keiner merkt es, weil sie die Tools nicht haben. Da will ich mich drum kümmern." Eine Zeitlang wählt sie bevorzugt EPs als Format, was sie irgendwann selbst komisch findet: So flutscht die Zusammenstellung der EPs "H.E.R. Vol. 1", "H.E.R. Vol. 2" und "H.E.R. Vol. 2, The B-Sides" in die Grammy-Verleihungen und sahnt den Preis fürs beste R'n'B-Album und die Nominierung fürs beste Album überhaupt ab. Sie schlägt Donny Hathaways Tochter, Leon Bridges und Toni Braxton. Wiederum zwei EPs kombiniert der Release "I Used To Know Her". Wie so oft im Genre, ist R'n'B bei der Westcoast-Musikerin eine Skizze: eine kleine Lyrik-Idee, manchmal ein paar Zeilen nur, halb gerappt, halb gesungen, kühle Klänge auf einer warmen Harmonie ausgerollt, dazu eine Stimme, die wohl auch herzzerreißenden Gospel und exaltierten Jazz lässig drauf hätte. Princes "Purple Rain" ist ein zentraler Song für H.E.R., den sie beim Tribute-Konzert zum vierten Todestag ihres Heros nachspielte. Trotz aller Indizien für funky R'n'B: Sie selbst will sich dem Genreregime ungern unterwerfen. Man höre etwa das rockige Gitarrensoli "Focus": Schon sehr rockig! Die Dancehall- und Reggae-Pop-Szene nimmt H.E.R.s Vibes auch rasch auf. Punktuell beweist sie megaschöne Rap-Passagen. Andere Einflüssen gegenüber zeigt sie sich immer offen: "Ich war auf so vielen Shows zum Beispiel von Destiny's Child, bei Konzerten kriege ich viel Inspiration, und auch von Live-Videos. Was eine Live-Show großartig macht, ist ja auch gerade, von anderen Artists von überall her etwas zu übernehmen, und die nachzuempfinden". Und das beruht durchaus auf Gegenseitigkeit: Alicia Keys, Ginuwine und Rihanna retweeten und reposten ihre Releases, in Deutschland nennt Lena Meyer-Landrut sie im laut.de-Interview einen 'Artist to watch'. Mit Anfang 20 hat H.E.R. dann schon wahnsinnig viel erreicht. "I Can't Breathe" wird ihre Hymne, ein Black Lives Matter-Song, wobei sie sich auch als Fundraiserin für die #BLM-Bewegung engagiert. MTV feiert das Video als Clip des Jahres, die Grammy-Jury den Song als Lied des Jahres. In Kollabo mit Daniel Caesar und Missy Elliott entsteht eine witzige Coverversion des Stones-Klassikers "Paint It Black", der einen weltweit gepushten Cola-Werbespot unterlegt. Das US-Radio NPR beschrieb H.E.R. mal zutreffend als "Slow-burning R'n'B". Kelis war frecher, ganz anders, Destiny's Child auch. Die meisten R'n'B-Stars der großen Ära Ende der 90er, Anfang der 2000er groovten mehr, bewegten sich näher am Puls des Hip Hop, oder fügten sich in die Schlafzimmermusik-Fraktion rund um Brian McKnight und Chanté Moore ein: H.E.R. streunt irgendwo dazwischen, 2021 wirkt sie retro und doch höchst zeitgemäß zugleich.
© Laut

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