Die Symphonie fantastique von Berlioz hat als wahres Manifest der Entstehung der französischen Romantik das 19. Jahrhundert ebenso geprägt wie Strawinskys Sacre du printemps das 20. Diese beiden Meisterwerke, die in Paris – einst ein globaler Schmelztiegel künstlerischer Vielfalt – entstanden sind, haben die musikalische Sprache dauerhaft in eine andere Dimension versetzt. Am 5. Dezember 1830 rührte das revolutionäre Werk des 27-jährigen Hector Berlioz die Musiker, die in dem kleinen Saal des ehemaligen Konservatoriums versammelt waren, unter ihnen Meyerbeer und Liszt, die von der außergewöhnlichen Kühnheit dieses Werkes, das nur drei Jahre nach Beethovens Tod vorgestellt wurde, zutiefst beeindruckt waren.

Ein Katalog mit Neuheiten

Die Symphonie fantastique, auf der Grundlage eines weitgehend autobiographischen literarischen Programms aus Berlioz’ verrückter Fantasie komponiert, der „idée fixe“ eines verliebten und opiumsüchtigen Musikers, bietet einen ganzen Katalog kühner harmonischer Innovationen: parallele Akkorde, unaufgelöste Dissonanzen, eine in Diskurs und Anordnung völlig neue Kompositionsweise, exzessive Orchestrierung mit (mindestens) 4 Harfen, Glocken, Ophikleiden und mehreren Pauken, die 4 Paukenspieler erfordern, verrückte Ideen, die sich bis zu einem tumultartigen Schluss in Form eines unerhörten Klangkataklysmus steigern, der den Zuhörer heute noch sprachlos lässt. Wenn Berlioz auch zahlreichen Einflüssen unterlag – Beethovens letzte Sinfonien, Webers Freischütz, aber auch seine Lektüre von Goethe, Shakespeare oder Victor Hugo – so erfand der Komponist dennoch eine völlig neue Welt, deren Einfluss auf die Musikwelt bis nach Russland reichte, wo Berlioz' Orchestrierung von den einheimischen Komponisten bis hin zu Rimski-Korsakow und Strawinsky weitgehend verwendet und erweitert wurde. Diese Russen wurden später durch einen großen Bumerangeffekt von den jungen Franzosen des frühen 20. Jahrhunderts wie Debussy und Ravel wieder aufgegriffen, aber das ist eine andere Geschichte.

Eine Spielwiese für Dirigenten

Die Originalpartitur von 1830 ging verloren, es war aber nicht diejenige, die wir heute kennen. Berlioz war sich der Mängel seines neuen Werkes bewusst und überarbeitete es zwei Jahre lang, bevor es 1835 in der außergewöhnlicher Klavierfassung von Franz Liszt erstmals veröffentlicht wurde. Es sollte noch zehn Jahre dauern, bis die erste Orchesterpartitur endlich erschien. So drang die Symphonie fantastique durch Liszts Klaviertranskription in die deutsche Musikwelt, vermittelt durch den leidenschaftlichen Artikel von Robert Schumann. Die Symphonie fantastique wurde zu einem neuen Standard in der Programmmusik, der zahlreichen Komponisten wie Liszt, Mahler, Tschaikowsky oder Saint-Saëns sehr entgegen kam. Sie sollte auch einem neuen Demiurgen der Bühne goldene Zeiten bescheren, halb Gott, halb Despot: dem Dirigenten. Einige Dirigenten wurden oder haben sich mit diesem Werk identifiziert, wie wir später noch darlegen werden, manchmal sogar mit einer maßlosen Übertreibung, wie Leopold Stokowski oder Carlos Païta, die farbenprächtige, aber stilistisch höchst fragwürdige Schallplattenversionen hinterlassen haben.

Ein Rätsel für Toningenieure

Die Symphonie fantastique wurde 1925 nach dem Aufkommen der elektrischen Aufzeichnungen eingespielt. Wenn auch die Dirigenten mit ihr am Pult glänzen konnten, so stellte sie die Tonaufnahme vor enorme Probleme. Das Berlioz’sche Orchester klingt immer klar und offen, aber die Aufnahmetechnik erlaubte den Mikrofonen der damaligen Zeit keine exakte Wiedergabe. Erst mit den Verbesserungen der 1940er Jahre, dem Aufkommen der Langspielplatte zu Beginn der 1950er Jahre und der allgemeinen Verbreitung der Stereophonie im folgenden Jahrzehnt, konnte die Symphonie fantastique uneingeschränkt im Wohnzimmer genossen werden.

Wiederholungstäter

Mehrere Dirigenten haben sich auf dieses Werk spezialisiert und nahmen es entsprechend dem technologischen Fortschritt oder ihrer persönlichen Entwicklung immer wieder ins Programm. Zu den Rekordmännern des Genres gehören Charles Münch, der ein Dutzend Aufnahmen, im Studio und im Konzert, hinterließ, Pierre Monteux mit 11 Aufnahmen, fast alle fesselnd, Colin Davis, der so viel dazu beigetragen hat, Berlioz an die Spitze der internationalen Musikszene zu bringen, und dem Musikliebhaber 7 Versionen in einem makellosen Klassizismus verdanken, dem aber die für die Intentionen des französischen Komponisten unverzichtbare Dosis Verrücktheit fehlte. Auch Herbert von Karajan liebte diese Symphonie und hinterließ 11 Aufnahmen, die oft betörend, aber nicht sehr im Sinne des Werkes waren. Die Symphonie fantastique fasziniert auch heute noch große Dirigenten, wie die 5 aufeinanderfolgenden Aufnahmen von Valery Gergiev beweisen. 

10 Spitzenversionen 

Die großen Klassiker 

Charles Münch und Pierre Monteux setzten sofort eine Art Standard für die Aufnahmen der Symphonie fantastique. Monteux realisierte 1930 seine erste Aufnahme an der Spitze des Orchestre de Paris. Obwohl er sich in technischer Hinsicht längst selbst übertroffen hat, wird diese erste Aufnahme von Pierre Monteux immer einen besonderen Platz im Herzen ihres Urhebers einnehmen. 1945 kehrte der französische Dirigent in San Francisco in die Studios zurück. Seine Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern aus dem Jahr 1958 ist aber diejenige, die heute von Musikliebhabern und Kritikern auf der ganzen Welt am meisten geschätzt wird.

Die früheste klangliche Spur von Berlioz' Meisterwerk unter der Leitung von Charles Münch ist ein 1948 in New York aufgenommenes Konzert. Im darauffolgenden Jahr spielte er es in Paris mit dem Orchestre national ein. Er nahm es während seiner Jahre in Boston wiederholt auf, zuerst 1954, dann wieder 1962 in Stereophonie. Diese letzte Aufzeichnung wird oft als seine beste angesehen. 1967 wurde eine weitere legendäre Platte veröffentlicht, als der elsässische Dirigent nach Frankreich zurückkehrte, da er von André Malraux und Marcel Landowski dazu auserkoren worden war, das neue Orchestre de Paris zu leiten. Münch war damals 76 Jahre alt. Er hatte nur noch ein Jahr zu leben, aber er dirigierte diese Symphonie mit der Leidenschaft eines jungen Liebhabers. 

Ein weiterer französischer Dirigent, Paul Paray, hinterließ 1958 an der Spitze seines Detroit Symphony Orchestra eine unverzichtbare Aufnahme. Es war bestimmt nicht das beste amerikanische Orchester, aber Paray verwendete die etwas grellen Klänge der Bläser in perfekter Harmonie mit Berlioz' Partitur, was dieser sowohl motorischen als auch leidenschaftlichen Version einen besonders rauhen und scharfen Aspekt verleiht. Eine der schönsten Aufnahmen in der Geschichte der Schallplatte ist die des berühmten Igor Markevitch, die 1962 in Paris mit dem Orchestre Lamoureux entstand, dessen künstlerischer Leiter er war. Unter seinem elektrisierenden Taktstock ist die ehemalige Pariser sinfonische Institution zu einem der besten internationalen Orchestern aufgestiegen. Strenge, Kraft und Eleganz ergeben eine sehr persönliche Interpretation, die mehr in der Zeit der Entstehung des Werks als im Stil einer glühenden Romantik verwurzelt ist, in der es oft angesiedelt wird. 

André Cluytens war lange Zeit Leiter des legendären Orchestre de la Société des concerts du conservatoire, das das Werk 1830 unter der Leitung von François-Antoine Habeneck uraufgeführt hatte. Er hat die Symphonie fantastique 6 mal aufgenommen und oft im Konzert dirigiert. So wurde seine beste Version während einer Tournee am 10. Mai 1964 in Tokio in einer großartigen Stereophonie aufgenommen. Cluytens und sein Orchester waren damals in Höchstform. Drei Jahre vor der Auflösung des Orchesters, das zum Teil in das Orchestre de Paris überging, finden wir eine perfekte Beherrschung von Stil, Tempo und Farben, eine Anthologie-Version mit der Intensität einer Live-Aufführung und dem technischen Know-how japanischer Toningenieure. Die müssen Sie unbedingt hören und am besten laut!

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