Beethoven : The Piano Sonatas (Live)

András Schiff

Erschienen am 25.11.16 bei ECM New Series
Künstler: András Schiff
Genre: Klassik

Digitales Booklet

Verfügbar in

24-Bit/44.1 kHz Stereo

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Wem heute der Sinn nach einer Gesamteinspielung der 32 Klaviersonaten Beethovens steht, der stößt bei seiner Suche locker auf mehr als drei Dutzend Interpretationen. Nicht verwunderlich, dass ein (nicht ganz unbekannter) amerikanischer Pianist vor einiger Zeit meinte, es gebe für seinesgleichen nur noch zwei Gründe, dieses massige CD-Angebot durch den eigenen Beitrag aufzustocken: Erstens Eitelkeit, denn immerhin geht es bei diesem klassischen Kernstück der Klavierliteratur um den Tummelplatz der Elite, zu der man sich gern zurechnen lässt. Und zweitens die Überzeugung, zu diesem Werkkomplex noch wirklich Neues beitragen zu können. Das aber sei Eitelkeit im Quadrat.
András Schiff hat mit seinem Zürcher Live-Zyklus einen überzeugenden Gegenbeweis zu dieser These geliefert. Die Aufnahmen, jetzt von ECM in einem soliden Schuber zusammengefasst und um eine Sammlung von Schiffs Konzertzugaben ergänzt (die parallel dazu auch einzeln erschienen ist), bieten sich im Kreis der Beethoven-Zyklen eines Schnabel und Kempff, eines Arrau, Gulda und anderer Klavier-Größen von einst und jetzt als echte Alternative an.
Was für den Beethoven Schiffs von Anfang an einnimmt, ist neben der dezent-seriösen Aufmachung der Kassette ein Klangbild, das klare Konturen zeigt und auf alle Hall- und Präsenzschminke verzichtet. Dass der künstlerische Vorteil von Konzertmitschnitten in diesen Aufzeichnungen (nur die Sonaten op.109-111 sind im Studio produziert) nicht durch störende Publikumsgeräusche erkauft werden musste, ist schon bei der Besprechung der Erstveröffentlichungen oft hervorgehoben worden.
Ungewöhnlich, ja einzigartig reich und aufschlussreich sind Schiffs Kommentare im 250-Seiten-Beiheft, in denen er Satz für Satz Beethovens Komponieren und das eigene Interpretieren erläutert. Kleine Panne: Seine Ausführungen zum zweiten und dritten Satz der G-Dur-Sonate op. 14 Nr. 2 und zur B-Dur-Sonate op. 22 sind offenbar unter den Tisch gefallen, zwei Seiten Text fehlen; wer wissen will, was er zu diesen Sätzen zu sagen hat, muss dafür zur englischen Version springen.
Schließlich das Entscheidende, das Spiel des heute 63-Jährigen: Schon nach den ersten Veröffentlichungen wurde von der Kritik die akribisch genaue Beachtung und Umsetzung aller Vortragsangaben gerühmt – Dynamik, Bindungen, Legato und Staccato, Pedalbehandlung, vor allem die Beethoven-typischen Sforzati, die scharfen Akzente. Dies ist in der Tat außergewöhnlich und setzt Maßstäbe. Noch bemerkenswerter erscheint mir, wie es Schiff gelungen ist, seinen Ton dem Stil Beethovens anzuverwandeln. Er, dank seines natürlich weichen, warmen Anschlags zu einem Schubert- und Mozart-Spieler prädestiniert, spielt hier ungleich kerniger, härter, auch perlender, und beides zusammen ergibt eine hochdifferenzierte und charakteristische Beethoven-Deutung von ebenso stilvoll klassischer wie persönlicher – und, nebenbei, gänzlich uneitler – Prägung. Sie braucht auch in der manuellen Realisierung den Vergleich mit keinem der Vorgänger-Zyklen zu scheuen. Man muss nicht in allen Fällen mit Schiff völlig einverstanden sein. Aber vieles ist ihm herausragend gelungen, so etwa die Sonaten op. 2 und op. 31, aber auch die Hammerklaviersonate op. 106 mit ihrem betont fließend, in gut 15 (statt der üblichen 17 bis 20) Minuten genommenen langsamen Satz und einer wirklich eindrucksvoll gemeisterten Fuge.
PS: Wer mit Schiff noch tiefer in den Kosmos der Beethoven-Sonaten eindringen will, kann sich im Internet leicht in seine ausführlichen Londoner Vorlesungen (auf Englisch) einklicken.

© Harden, Ingo / www.fonoforum.de

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