Zwischen Protagonistin und Intrigantin, Così fan tutte und Figaros Hochzeit, Mozart und die Rolle der Frau in der Oper von heute – die französisch-dänische Sopranistin Elsa Dreisig spricht mit uns über ihr neues Album 'Mozart x 3', wie sie Musik interpretiert und was es für sie heißt, eine aufstrebende Sopranistin zu sein.

Elsa Dreisig sprießt nur so voller Freude vor der Zoom-Kamera aus ihrer Pariser Wohnung. Endlich ist es soweit: Ihr neues Album Mozart x 3 bei Warner Classics wird veröffentlicht. Es ist nach ihrem Erfolgsdebüt Miroir(s) (2018) - übrigens eines unserer Qobuzissimes - und Morgen (2020) nicht nur ihr drittes Soloalbum, sondern zudem ihr drittes Album, das mit dem Buchstaben ‘M’ anfängt und dann auch noch den Beinamen ‘mal drei’ trägt. Schicksal? “Das ist wirklich komisch, dass "Mozart x 3" mein drittes Album ist, vielleicht gibt es keinen Zufall, vielleicht hat das alles eine Bedeutung, die ich noch nicht kenne, dieser Buchstabe ‘M’.”

Bei dem ausgewählten Stücken des Album handelt es sich jedenfalls um alles andere als einen Zufall. Elsa Dreisigs Programme sind bis ins letzte Detail ausgefeilt, fein säuberlich ausgewählt und mit einem dazugehörigen Sinn versehen. Bereits in Miroir(s) durften wir eine Spiegelung sehr unterschiedlichen Repertoires sowie Komponisten erleben, ein bewusstes Aufeinandertreffen von verschiedenen Musikstilen, dramatischen Momenten und Epochen. In Mozart x 3 liegt eine weitere Gegenüberstellung vor: Dreisig präsentiert uns die Heldinnen der drei Da Ponte-Mozart-Opern Le nozze di Figaro, Così fan tutte sowie Don Giovanni und konfrontiert diese mit den Protagonistinnen dreier ‘opere serie’ (“ernste Opern”) von Mozart, Idomeneo (Elettra), Lucio Silla (Cecilio) und La clemenza di Tito (Vitellia). Wie sie zu dieser Auswahl gekommen ist, erzählt sie uns selbst: “Dieses Album war vielmehr ein Austausch. Ich habe mit Alain Lanceron gesprochen, dem Direktor von Warner Classics & Erato. Er erzählte mir von seiner etwas verrückten Idee, er wolle alle Da Ponte-Opern mit einer einzigen Sängerin aufnehmen. Und er wusste bereits, dass ich Herausforderungen mag, dass ich verrückte Dinge mag.”

© Simon Fowler

Es klingt tatsächlich etwas verrückt, wenn nicht sogar wagemutig. Doch Elsa Dreisig schreckt vor nichts zurück und ging im Juni 2021 mit dem Kammerorchester Basel und Dirigent Louis Langrée ins Studio, um dieses Riesenprojekt aufzunehmen. Eines wird schnell klar: Die Interpretation der Frau, ob als Heldin oder Intrigantin, Geliebte oder Herzensbrecherin, ist Mittelpunkt des Programms. Sie selbst beschreibt: “Wer sind diese Frauen, die ich singe? Was sind ihre Persönlichkeiten? Und wie kann ich mit der Musik, die bereits existiert, mit dem Text, der bereits existiert, umgehen, wie kann ich den Schlüssel zu dieser Person finden? Und in dieses Album, bei Mozart, mehr als bei allen anderen. Es gibt ähnliche Strukturen in die großen Hauptrollen, sei es Fiordiligi oder die Contessa, oder Donna Anna und Donna Elvira. Sie haben zu einem bestimmten Zeitpunkt diesen großen Auftritt auf der Bühne mit dieser großen Erzählung, mit dieser großen Arie. Und oft waren sie es, die den größten musikalischen Moment des Abends präsentieren.”

Dreisig kombiniert die großen Primadonnen des Abends mit den Figuren, die oft die Intrigantinnen sind, wie Susanna in Le nozze di Figaro oder Despina in Così fan tutte. “Sie sind das Herzstück der Handlung. Sie ziehen die Fäden und doch haben sie eine ganz andere musikalische Handschrift”, erklärt sie. Doch was ihr insgesamt am besten gefiel, war die Idee der Transformation und dabei gleichzeitig ihrer Stimme treu zu bleiben: “Es geht nicht darum, meine Stimme zu verwandeln oder plötzlich eine andere Stimme anzunehmen, um diese oder jene Figur zu singen, sondern das Wesen der Figur zu verstehen.”

Und Elsa Dreisig versteht es sehr gut, die einzelnen Figuren zu interpretieren und ihnen auf den Grund zu gehen, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Ganze 12 Rollen auf einem Album - gibt es da bestimmte Favoriten? Wir haben uns getraut die Gretchenfrage zu stellen. “Fiordiligi hat wirklich eine Art, die sich aus Extremem gestaltet. Sie liebt alles von Grund auf, mit vollem Herzen. Es ist ein bisschen alles oder nichts, aber ich muss sagen, dass es mir sehr, sehr viel Spaß gemacht hat, die Contessa zu singen. Fiordiligi, das ist fast zu extrem, es ist sehr sehr schwierig. Die Contessa zu singen ist für meine Stimmlage fast besser geschrieben und eine andere Figur, in der ich mich wirklich ausgetobt habe, ist Elettra. Auch wenn ich sie kaum kenne, aber sie hat Stimme, sie ist so wütend. Ich mag diese Figuren, die so vollkommen sind. Ich genieße es sehr, in dieser Mischung von bunten Farben zu sein, wo es explodiert und voll unter die Haut geht, das liebe ich.”

© Simon Fowler

Dreisig betrachtet sich nicht nur als eine Opernsängerin, die bis aufs letzte Detail in die Interpretationen der Figuren eintaucht. Sie möchte vor allem ihre gesungenen Partien im historischen Kontext verstehen und gleichzeitig zeitgemäß wiedergeben. Die Rolle der Contessa aus Figaros Hochzeit wäre heute für sie eine erfolgreiche Frau, ein Popstar oder eine Unternehmerin: “Es gibt keine Rolle, bei der ich mir denke, ‘wie würde ich das singen, wenn ich eine Frau aus dem 18. Jahrhundert wäre?’ Niemals. Ich interpretiere sie immer als Frau des 21. Jahrhunderts.” Über die Rolle der Frau im 18. Jahrhundert ist man sich sicherlich einig, dass sie weit weniger Rechte und Einfluss auf Gesellschaft und Politik hatte. Doch genau vor diesem Hintergrund findet es Dreisig umso erstaunlicher, welche tiefgründigen Frauenbilder Mozart und Da Ponte es gewagt haben, aufzuschreiben. Also alles andere als Frauenfeindlichkeit. “Zu sagen ‘Così fan tutte, das ist die Geschichte einer untreuen Frau, die von Männern reingelegt wird’ wäre eine oberflächliche Lektüre eines komplexen Librettos.”

Die junge Sopranisten macht mit ihren Operninterpretationen Tabula Rasa. Sie räumt alle alten Klischees weg, macht freien Tisch und kehrt zur wirklichen Basis des Librettos zurück. Eines ihrer größten Anliegen ist es, die Rollen, die sie verkörpert, jedes Mal neu wiederzugeben und neu zu definieren. “Die Frage, ob man eine Figur historisch interpretieren soll, interessiert mich überhaupt nicht und ich denke, das ist auch nicht die Aufgabe der Oper, sie ist kein Museum. Es gibt nichts, was jemandem gehört, und es gibt nichts, was in den Stein gemeißelt ist.”

© Simon Fowler

Doch selbst im Jahr 2022 können so manch fest verankerte Strukturen es aufstrebenden Künstlerinnen schwer machen, diese Rollenbilder neu zu erfinden. Selbstverständlich ist das jedenfalls nicht, denn auf der Bühne möchte Elsa Dreisig niemanden verkörpern, der sie selber nicht wäre. Die Rolle der Frau, verpackt in die eines Opfers oder einer verletzlichen, schüchternen Person, käme für sie nicht in Frage. Deshalb sieht Dreisig auch Kooperationen besonders mit weiblichen Opernregisseurinnen, wie beispielsweise Mariame Clément, für extrem gewinnbringend: “Es stimmt, dass es heute fast nur Männer gibt, die manchmal noch ein bisschen die Fantasie einer kleinen, zerbrechlichen Frau haben, die gerettet werden muss. Ich meine, das ist wirklich ‘out of the time’ und mit einer Regisseurin ist dieses Risiko geringer.”

Miroir(s), Morgen und jetzt Mozart x 3 - drei Alben, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch auf ein und derselben Tatsache beruhen: Dreisig liebt es Verbindungen zu schaffen und ihren Programmen eine persönliche Interpretation zu verpassen. Ihr gelingt es, Mozart auf einzigartige Weise in die heutige Zeit zu setzten und eine moderne, feministische Sopranistin zu sein ohne dabei die Tradition zu vernachlässigen. Wir ihre zukünftigen Projekte aussehen werden, kann sie jetzt noch nicht konkret sagen. Wahrscheinlich Strauss, wahrscheinlich Belcanto und Mozart sowieso. Elsa Dreisig lebt im Moment und findet jeden Tag aufs neue ihre Motivation. “Wenn es einen roten Faden in meinen Alben gibt, dann ist es mein Ethos, der darin besteht, absolut anspruchsvoll zu sein und immer alles in Frage zu stellen.” Und wer weiß, welches nächste Album wir von ihr erwarten dürfen. Wir tippen auf einen Namen mit ‘M’.

HÖREN SIE "MOZART X 3" VON ELSA DREISIG AUF QOBUZ

Künstler