Am 11. März 2021 wäre er 100 Jahre alt geworden: Astor Piazzolla, der Italo-Argentinier, der mit einem kleinen, unspekta­kulären Instrument eine neue Melange aus Volks­musik, Jazz und Klassik entwickelte.

Das Bandoneon hat einen traurigen, samtigen Klang“, sagte Astor Piazzolla 1989 in einem Interview mit der BBC. Und wer wissen möchte, was dieser Mann für ein Mensch war, der braucht nur genau zuzuhören, wie er über sein Instrument sprach. „Das Akkordeon klang immer lustig, aber das Bandoneon hat nichts Fröhliches an sich.“ Klar und knapp fasst der Maestro hier die Geschichte seines Instruments zusammen. Einst als Ersatz für eine Orgel in Chemnitz gebaut, wird es später von Heinrich Band in Krefeld zu seiner vollendeten Form weiterentwickelt. Später nehmen Matrosen das handliche Bandoneon mit in die neue Welt, wo es schließlich in den Freudenhäusern an der Küste Argentiniens eine neue Heimat findet. Dies ist kein Instrument, um sich zu schmücken, um sich in einer Kunstwelt zu positionieren. Das Bandoneon war schon immer ein Mittel des Ersatzes, des Defizits, sei es von Geld, Platz oder Ehre. Wer eines von diesen Dingen nicht hatte, der wählte die kleine Konzertina von Band. 152 unterschiedliche Töne kann man auf ihr produzieren, angeordnet in der sogenannten „rheinischen Lage“, die später „argentinische Lage“ genannt wurde.

Astor Piazzolla bekam mit neun Jahren sein erstes Bandoneon, sein Vater schenkte es ihm während der Zeit der Familie in New York. Doch damals interessierte sich der Einwandererjunge für den Jazz, der gerade in New York hochkochte. Das Bandoneon, der Tango – allenfalls eine Randnotiz in seinem Leben. Später, als der junge Mann Astor in Argentinien bei Alberto Ginastera Komposition studierte, suchte er sich mit aller Macht von diesem Underdog der Musikinstrumente zu befreien. Legendär sind die Berichte über seinen Besuch bei Nadia Boulanger in Paris. Sie machte ihm klar, wie verbunden er mit dem unterklassigen Instrument und dessen Musik, dem Tango, war und wie wichtig dies für seine Karriere als Künstler, als Komponist sein konnte. Aber wahrscheinlich wusste Piazzolla das damals längst. Es wird wohl eher so gewesen sein, dass er es sich nicht eingestehen, sondern sich irgendwie von seinen Wurzeln befreien wollte, um ein anderer zu sein. Doch die damalige Grande Dame der westlichen Kunstmusik machte es ihm ziemlich rüde klar. „Das ist deine Musik, du Dummkopf“, soll sie gesagt haben. „Alles andere kannst du wegschmeißen.

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