CYNE
Florida, the sunshine state: Seine wechselhafte Geschichte macht den Staat im Süden der USA nicht nur zum Sammelbecken für betuchte Rentner und Disneyland-Touristen sondern auch zu einem kulturellen Schmelztigel. Zudem erweist sich das sonnige Klima Miamis nicht nur für den Anbau von Zitrusfrüchten sondern auch für das Gedeihen cleverer, kritischer Reime und elaborierter Beats als ausgesprochen günstig. Cyne, kurz für "cultivating your new experience", gelingt, was ordentlicher Hip Hop leisten sollte: Sie bewegen Hirn UND Arsch.
Bis sich Cyne zum Quartett zusammen finden, vergeht allerdings einige Zeit. Die beiden MCs Akin und Cise Star entstammen äußerst unterschiedlichen familiären Hintergründen. Da beide von eigenen Beobachtungen, Erfahrungen und Sichtweisen erzählen, spiegelt sich die Herkunft stark in ihren Texten wider.
Akin Yai kommt im afrikanischen Benin zur Welt und zieht als Jugendlicher gemeinsam mit seiner Familie nach Gainesville in Florida. Seine Lyrics zeigen sich stellenweise von panafrikanischen Gedanken beeinflusst. Das Erbe des Schwarzen Kontinents ist nicht verloren gegangen.
Bei Clyde Gordon aka Cise Star dagegen schlägt die Erziehung in einer alteingesessenen, traditionellen Baptistenfamilie voll durch: Religion und Moral stellen immer wieder durchschimmernde Bestandteile seiner Rhymes. Beide treffen sich auf der Highschool und rappen seitdem, mal alleine, mal gemeinsam mit verschiedenen Hip Hop-Projekten. Akins drängender Style harmoniert dabei bestens mit Cise Stars gelassener Smoothness.
Fehlen eigentlich nur noch die passenden Beats. Enoch, mit bürgerlichem Namen David Newell, und Michael "Speck" Gesten lernen sich kennen, als Speck im Alter von 15 Jahren nach seinem Umzug von Miami Beach nach Gainesville an Enochs Schule wechselt. Seit 1997 mischen die beiden beatbastelnd im Geschäft mit.
Den Anfang bilden wie so oft, ein Sampler, ein Plattenspieler und ein nicht eben luxuriöser Vierspurrekorder. Aus Elementen aus Rock, Trip Hop und Jazz erschaffen Speck und Enoch komplexe, atmosphärische Soundlandschaften, deren Produktion Erinnerungen an den Stil der frühen 90er Jahre, an die Werke Gang Starrs und des jungen Common weckt. Die Liebe der Produzenten von Cyne zu Beats von Madlib, DJ Muggs, Prince Paul und RZA ist nicht zu leugnen.
Das Projekt Cyne bekommt im Sommer 2001 Hand und Fuß: Gemeinsame Freunde erkennen den Bedarf an einem soliden musikalischen Fundament auf der einen sowie an wortgewandten Lyricists auf der anderen Seite und stellen die beiden Pärchen einander vor. Obwohl sie sich bereits vorher bei einer von Speck und Enoch organisierten Open-Mic-Nacht über den Weg liefen, in deren Verlauf Akin und Cise Star mit ihrer damaligen Crew Phalanx die Bühne in ihre Gewalt brachten, springt erst bei der zweiten Begegnung der Funke über.
Dafür dann aber nachhaltig: Die Herren landen in Specks Wohnzimmer und spielen eine Demo-CD ein. "African Elephants" bildet Cynes Debüt-Veröffentlichung bei Rice & Beans, einem Sublabel von Miamis Beta Bodega, das später zur Hip Hop-Unterabteilung Botanica Del Jibaro mutiert. Cyne gelten lange Zeit als größte Talente des Labels; sie veröffentlichen hier mehrere 12"es sowie 2003 den ersten Longplayer "Time Being".
Die Lyrics auf "Time Being" stehen in der Tradition des politischen Raps, wie ihn beispielsweise Public Enemy und Paris zelebrierten. Akin und Cise Star prangern Materialismus und die im Hip Hop-Geschäft allgegenwärtige Egomanie an, thematisieren soziale Missstände ebenso wie persönliche Betroffenheiten. "Time Being" gerät zum starken Statement für die Liebe zum Hip Hop und die Freiheit des Wortes.
Anfangs stammen die Samples noch gänzlich von Vinyl. Später wagen sich Cyne zunehmend an die Einbindung von Live-Instrumenten. Cyne verfügen über eine starke Fangemeinde in Japan; hier erscheint (ebenfalls 2003) eine Kollektion der vorausgegangenen 12"-Releases auf Rice & Beans und Botanica Del Jibaro.
Direkt nach der Veröffentlichung des Albumdebüts bahnt sich der Kontakt zum Berliner Elektronic-Label City Centre Offices an. Speck kommt im Zusammenhang mit dessen Review zu "Time Being" (für das Magazin De:Bug) mit Thaddeus Herrmann, einem der Labelbetreiber, in Kontakt. Cyne wechseln zu CCO, als erster Release verlässt die EP "Growing" (2004) den neuen Stall. Diese und eine weitere EP ("Running Water", ebenfalls 2004) geben den Testballon für das Nachfolgealbum: "Evolution Fight" erscheint im August 2005.
In der Folge arbeiten Cyne mit zahlreichen Kollegen in- und außerhalb der Hip Hop-Szene zusammen. Sie nehmen zusammen mit Daedalus und Pattern Is Movement auf, teilen sich die Bühnen mit den Roots, El-P, KRS-One, Talib Kweli, Dälek, Atmosphere, den Beatnuts, Sage Francis und ungezählten anderen.
Bei alledem haben Cyne ihre Mitte gefunden: Besonders den Beats ist anzumerken, dass Ruhe eingekehrt ist. Dichte, melodische Strukturen, die problemlos in einem Atemzug mit Produktionen von Madlib oder RJD2 genannt werden können, untermauern scharfzüngige, intelligente Reime. "Still I'm trying to make a dollar out of what makes sense." Die besonders in Europa starke positive Resonanz auf die vier aus Miami wirft ein günstiges Licht auf dieses Vorhaben.
© Laut
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