Seit mehr als 50 Jahren gilt Jordi Savall als einer der produktivsten und talentiertesten Erneuerer der Barock- und Renaissancemusik. Mit den beiden Ensembles Le Concert des Nations und La Capella Reial de Catalunya, die er Ende der 1980er Jahre gegründet hat, klopft der katalanische Violinist und Dirigent den Staub von den schönsten Partituren vergangener Jahrhunderte. Dabei ist er stets auf präzise Gestik und reine Klangfarben bedacht, die inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden sind.

Während seiner langjährigen Karriere hat er immer wieder mit hochkarätigen Künstlern zusammengearbeitet, darunter die unvergessene Sopranistin Montserrat Figueras, die später seine Frau wurde. Er brachte unzählige Referenzaufnahmen hervor, wie etwa die Pièces de Viole von Marin Marais oder eine Gesamtaufnahme der Beethoven-Sinfonien.

Als er 1991 den Soundtrack zu Alain Corneaus Film Tous les matins du monde aufnahm, der das besondere Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Jean de Sainte-Colombe und Marin Marais thematisiert, wurde er international bekannt. Die Gründung seines eigenen Labels Alia Vox im Jahr 1997 gab ihm die Freiheit, sich ganz seinen Projekten zur Wiederbelebung verkannter und vergessener Werke zu widmen. Das Label hat seither über 200 Tonträger produziert, die regelmäßig ausgezeichnet und von der Kritik als erstklassige Aufnahmen gelobt werden. Die neueste Veröffentlichung, eine Neuinterpretation von Mozarts Requiem, wird sicher keine Ausnahme sein!

Wenn berühmte Musiker ihre Lieblingswerke im Abstand von mehreren Jahren neu aufnehmen, wird man leicht hellhörig. Man vergleicht die verschiedenen Aufnahmen miteinander und betrachtet sie gerne als Momentaufnahmen eines bestimmten ästhetischen Ethos und als Zeugen einer künstlerischen Entwicklung. In diesem Fall macht uns Jordi Savall ein schönes Geschenk: 30 Jahre nach seiner ersten Version des Requiems dirigiert er Mozarts Meisterwerk mit einem komplett neu besetzten Concert des Nations. Savall wirkt umso berührender, als er seine Geste mit einem persönlichen Ereignis erklärt, das er im Alter von 14 Jahren erlebte – die unerwartete und überwältigende Begegnung mit Mozarts testamentarischem Werk.

Jordi SAVALL a la Philharmonie de Paris le 9/05/2022
© Philippe Matsas

In seiner neuen Produktion führt der katalanische Meister die Liebe zum Detail und zur historisch informierten Interpretation noch weiter: von der Art, wie das Lateinische damals in Wien ausgesprochen wurde, über die Stimmung von 430 Hz bis hin zu den damals verwendeten Mundstücken für die Posaunen. Das Ensemble stützte sich dabei auch auf die bemerkenswerten Arbeiten des Musikwissenschaftlerpaares Jean und Brigitte Massin.

Dieses Requiem besticht durch sein beständiges Fließen. Die Solisten, vor allem der Bariton Manuel Walser und die umwerfende Sopranistin Rachel Redmond, sind hervorragend. Der Chor der Capella Nacional de Catalunya bildet mit dem Concert des Nations ein solides Fundament, wobei jede Gruppe die Unebenheiten der anderen ausgleicht und ein Spiel mit Kontrasten und Hell-Dunkel-Effekten betreibt, die das Mysterium von Mozarts zwiespältiger Beziehung zum christlichen Glauben beleuchten. Die Aufnahme erreicht im « Lacrymosa » mit einer überwältigenden Sinnlichkeit in den melodischen Linien ihren Höhepunkt. Diese neue Version gehört zu den allerbesten, denn sie berührt das Geheimnis des Mozartschen Genies, ohne es jemals zu verfälschen. © Pierre Lamy/Qobuz